Requiem für Unbekannt
Für wen Heinrich Ignaz Biber seine «kleinere» Requiemvertonung schrieb, ist nicht ersichtlich. Ihre hohe Qualität schon.

Dass sich Guido Adler im Jahr 1923 für die Edition der kleineren der beiden Requiemvertonungen von Heinrich Ignaz Biber, das Requiem in f, entschieden hat – beide lagen ihm im Salzburger Domarchiv vor –, mag in der überragenden musikalischen Qualität begründet sein.
Entstanden ist das Werk für fünf Vokalstimmen (zwei Soprane, Alt, Tenor, Bass), zwei Violinen, drei Violen, drei Posaunen ad libitum und Basso continuo nach 1692. Der fünfstimmige Chorsatz wird durch einen von den Violen dominierten Streichersatz sowie drei Colla-parte-Posaunen verstärkt, was dem Werk eine dunkle Klangfarbe verleiht. In den Ripieno-Abschnitten wird die erste Violine nicht colla parte geführt. Biber lässt sie als eigenständige Stimme über dem Vokalsatz erstrahlen. In formaler Hinsicht folgt Biber den üblichen Gattungstraditionen der süddeutsch-österreichischen Kirchenmusik. Die Komposition könnte möglicherweise für die Begräbnisfeierlichkeiten einer hochgestellten Persönlichkeit aus Salzburg vorgesehen gewesen sein, Genaueres konnte aber nicht eruiert werden.
Der Introitus ist vierteilig angelegt, das Offertorium hat fünf Abschnitte. Düster beginnt das Sanctus mit verminderten Intervallen. Beim Pleni sunt wendet sich die Klangfarbe nach As-Dur und steigert sich in ein strahlendes C-Dur. Agnus Dei, Communio und Lux aeterna sind zusammengefasst und nach der Struktur des Textes in mehrere Abschnitte gegliedert.
Mit der vorliegenden Ausgabe von Armin Kircher wird erstmals der authentische Notentext Bibers editiert. Guido Adler stützte seine Edition zwar ebenfalls auf das vorliegende Quellenmaterial, griff aber, wie sich bei der quellenkritischen Recherche zeigte, seinerseits mehrfach in den originalen Notentext ein.
Eine Abschrift von Bibers Requiem in f hat sich möglicherweise im Stift Michaelbeuren befunden. Das Musikinventar P(ater) Edmund Sengmüllers (1661–1714), eines ausgewiesenen Musikkenners, verweist auf eine umfangreiche Sammlung mit damals modernster Musik aus Salzburg, unter den Werken Bibers auch ein «Requiem à 11».
Heinrich Ignaz Franz Biber, Requiem in f für Soli (SSATB), Chor (SSATB), 2 Violinen, 3 Violen, Basso continuo, 3 Posaunen ad lib., hg. von Armin Kircher, Partitur, CV 27.318, € 52.50, Carus, Stuttgart 2015