Das Wichtigste findet im Kopf statt

„Das ist unmöglich“ – ein Satz, den Felix Klieser als Musikschüler immer wieder zu hören bekam. Schon mit vier Jahren entschied er, dass er Horn spielen wollte, und investierte später viele Stunden in die Entwicklung einer Technik, die es ihm ermöglichte, sein Instrument ohne Arme zu spielen. Heute ist er – trotz in seinem Beisein geäusserten Zweifeln von Lehrpersonen und Experten – als Hornsolist auf der ganzen Welt unterwegs. Im Gespräch gibt er Einblick in seine Arbeit als Musiker und als Hochschuldozent.

Lieber Felix, kannst du uns einen Einblick geben in deinen Alltag?
(lacht) Wenn es irgendwas nicht gibt in meinem Leben, ist das ein Alltag … Ich reise, probe, spiele, und jeder Tag ist ganz anders.

Gibt es kleine Rituale, die dir Halt geben?
Nein, gar nix. Ich versuche mein Leben so einfach wie möglich zu gestalten. Sobald man anfängt, sich Rituale oder Abläufe aufzubauen, läuft man Gefahr, dass etwas schief laufen kann. Selbst unter ganz schwierigen Bedingungen, die halt bei mir sehr oft vorkommen, sollte man in der Lage sein zu spielen. Rituale können da hinderlich sein – wenn ich mir vornehme, vor jedem Konzert eine Banane zu essen, oder vor dem Konzert ein Schläfchen zu machen, und dann haben Flüge Verspätung, man findet nichts zu essen, dann wirft einen das aus der Bahn. Deshalb versuche ich möglichst flexibel zu bleiben.

Das ist eine interessante Sichtweise. Wie machst du es dann mit deinem Instrument – bestimmt brauchst du tägliche Übezeit?
Ich sollte etwa drei Stunden am Tag mit dem Instrument verbringen, was auf Anhieb nicht nach viel klingt. Aber manchmal ist es schwierig, die auch zu bekommen. Vor ein paar Wochen bin ich nach Mexiko geflogen, und mein Hornständer ist in Paris stecken geblieben. Ich konnte vier Tage nicht üben, nicht proben – und trotzdem muss ich halt dann Konzerte spielen. Ich wusste, ich habe nur noch einen Tag Zeit, um mich vorzubereiten, und habe dann halt versucht, den möglichst effektiv auszunutzen.

Sowas stresst dich dann auch nicht?
Ich versuche, mit möglichst vielen Szenarien im Leben klarzukommen. Das ist glaube ich so ein Punkt. Wenn man das schafft, werden viele Dinge einfacher. Wenn man ein möglichst breites Spektrum an Möglichkeiten aufzubauen kann, kommt man durch schwierige Situationen bequemer durch und ist flexibler.

Mit deinem Instrument warst du wiederum gar nicht flexibel. Du wusstest schon als kleiner Junge, dass es das Horn sein musste. Warum denn das Horn?
Ich war damals vier Jahre alt und bin zu meinen Eltern gegangen mit dem Wunsch, Horn spielen zu lernen – und die wussten gar nicht, was das ist. Also haben sie geschaut in der Musikschule in Göttingen, wo ich aufgewachsen bin, ob es einen Hornlehrer gibt. Der hat gesagt, mein Gott, dann versuchen wir das mal. Woher das kam mit dem Horn, das weiss ich nicht. Ich war nicht an einem Konzert, habe niemanden getroffen, der Hornist war. Es ist mir bis heute selber ein Rätsel.

Gab es denn Momente wo du dir gedacht hast, du hättest besser ein anderes Instrument auswählen sollen?
Nein, eigentlich nicht. Es ging mir auch nie darum, Musik zu machen oder Karriere, ich wollte einfach Horn spielen. Genau das.

Vermutlich warst du ein Traummusikschüler – du wusstest, was du wolltest, und warst bereit, sehr viel zu investieren. Hast einen eisernen Willen mitgebracht.
Ich war gar nicht so lange an der Musikschule, mit 12 bin ich schon an die Hochschule gewechselt. Aber ich war alles andere als ein Traumschüler, glaube ich (lacht). Ich war nie derjenige, der einfach gemacht hat, was man von mir wollte. Wenn der Lehrer mir etwas gesagt hat, hab ich’s ausprobiert und versucht zu verstehen, ob es mir gut tut oder nicht, und wenn nicht, habe ich es nicht gemacht. Für Lehrpersonen war das oft eine sehr schwierige Situation.

Gab es Lehrpersonen, die dir das gesagt haben – im Sinne von hey, ich bin hier der Experte oder die Expertin?
Ja klar. Meine Art zu denken und Probleme zu lösen passte nicht zum System Schule, wo es einen Weg gibt, der gelaufen werden muss, und wer ihn absolviert, macht alles richtig. An der Hochschule war dann alles viel entspannter. Das hat auch damit zu tun, dass jemand, der oder die Professor*in an einer Hochschule ist, sehr erfolgreich ist – und erfolgreich sind nicht die, die etwas nachahmen, sondern die, die in der Lage sind, sich selber zu verstehen, und auch sich selber zu unterrichten.

Hattest du jemals Zweifel, ob du es richtig machst?
Natürlich. Zweifel sind doch der Hauptgrund, warum man etwas überhaupt macht. Wenn man nie zweifelt, sitzt man nur auf dem Sofa. Ganz konkretes Beispiel: Als ich etwa vierzehn war, habe ich festgestellt, dass ich total entspannt bin, wenn ich zuhause übe, mich aber total unwohl und nervös fühle, wenn ich das Haus meiner Eltern verlasse. Plötzlich habe ich entdeckt, dass diese Nervosität nichts mit Lampenfieber zu tun hatte, sondern dass ich zuhause nur in Räumen mit Teppichboden spielte. Also habe ich angefangen, in Räumen ohne Teppich zu spielen, im Badezimmer und im Keller. Dort würde man sonst nie im Leben üben, es klingt furchtbar und ist wahnsinnig laut, und am Anfang hatte ich sehr Mühe, weil es genau die Umgebung war, die ich nicht mochte. Aber nach einer gewissen Zeit hat sich das stabilisiert. Heute habe ich davon, dass ich überall spielen kann, auch im hässlichsten Raum mit der fürchterlichsten Akustik. Viele propagieren, man solle nur mit guter Akustik üben. Ich sage: Wenn du dich in der furchtbarsten Situation wohl fühlst, geht es überall. Ich habe einfach mein eigenes Ding gemacht, meine eigenen Abläufe verfolgt.

Die Musikbildungsszene ist im Aufbrauch – eigentlich wünschte man sich Schüler*innen wie dich. Man möchte sie ernst nehmen, individuell auf sie eingehen. Das hast du aber noch ganz anders erlebt.
Ich finde bei Musik einfach wichtig: 99.9999% und noch viele mehr 9s der Leute lernen ein Instrument, weil es ihnen Freude macht. Das soll so sein. Musik soll Freude machen, man soll sich wohl fühlen, etwas Gemeinsames erleben. Die Allerwenigsten werden Profis, und deshalb sollte man auch nicht Perfektionisten ausbilden, sonst führt das dazu, dass die Kinder keine Lust haben zum Üben. Man stelle sich vor, man würde jedesmal wenn Kinder auf der Strasse Fussball spielen, daran herummäkeln, die Technik verbessern wollen – dann hätten sie sehr schnell keine Lust mehr und würden aufhören zu spielen.

Du unterrichtest auch an einer Musikhochschule?
An der Hochschule in Münster. Es ist nur ein kleines Kontingent, eine Professur würde ich aktuell nicht schaffen, sonst müsste man den Konzertkalender ausdünnen. Es macht mir wahnsinnig Spass. Unterschiedliche Lebenswege sehen, Menschen zu unterrichten, ist sehr spannend.

Was möchtest du erreichen als Hochschuldozent? Hast du ein Ziel?
Das was mir geholfen hat im Leben – das Denken, das von der Norm abweicht – das versuche ich auf Studierende zu übertragen. 95% von dem, was man als Musiker*in leisten muss, findet im Kopf statt. Die Fähigkeit, die Einstellung, frei zu sein im Kopf. Wie oft spielt man etwas und urteilt dann über sich, das war nicht gut, das hat nicht funktioniert. Das führt dazu, dass man sich im Kopf limitiert. Wir haben einen so grossen Willen zur Verfügung, halten uns aber oft nur in der Besenkammer auf. Wenn jemandem gesagt wird, du spielst zwar toll, bist aber nicht für die Bühne gemacht, weil du so nervös bist, dann ist das der Todesstoss. Wenn man aber sagt, Nervosität kennen wir alle, das gehört dazu, wir müssen sie nicht bekämpfen, sondern damit umgehen, dann ist es etwas ganz anderes. Dann kann man versuchen, positive Erlebnisse zu schaffen. Andere haben kein Problem, die spielen einfach. Herauszufinden, wie die Leute ticken, was sie mögen, die Dinge, die sie erlebt haben – das ist es, wo ich meine Aufgabe sehe. Wo ich im Endeffekt versuchen möchte, den Leuten zu helfen.

Und was möchtest du als Hornist erreichen?
Das ist natürlich eine Frage, die ich unmöglich beantworten kann. Eine sehr grosse Frage. Das, was ich im Moment mache, das hätte ich niemals geglaubt, dass ich es jemals schaffen könnte. Als Hornsolist mein Geld zu verdienen und um die Welt zu reisen – davon habe ich als Kind nicht einmal geträumt, weil es so unrealistisch war. Ich dachte eher in die Richtung, eine Position in einem guten Orchester, das wäre toll. Dieses Trophäendenken, wie ich es nenne – wenn ich schnell genug laufe, werde ich Olympiasieger – das habe ich nicht mehr. Oder hatte es vielleicht gar nie. Ich finde es schön, Leute mit Musik fröhlich zu machen, das ist das, was mir Spass macht, mich fasziniert.

Dann ist man auch kein Gejagter, und freut sich einfach über das, was kommt.
Genau. Wenn man es schafft, völlig unabhängig von dem, was man macht – das muss ja nicht die Musik sein, es kann in irgendeinem Beruf sein, oder im Familienleben – im Reinen zu sein mit dem, was man hat, muss man sich nicht mehr ständig profilieren. Wenn man nicht mehr denkt, ich habe noch nicht genug Trophäen, ich muss der Welt zeigen, was ich wert bin. Wenn man mit sich im Reinen ist, hat man dieses Bedürfnis nicht mehr.

Felix Klieser kommt am 21. Januar in die Schweiz – er wird am Forum für musikalische Bildung in Baden ein Referat halten. Seine Website gibt Einblick in seinen vielfältigen Konzertkalender.

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