Künstliche Intelligenz und Musik

Die ambivalente Beziehung zwischen Kunst und Technologie kommt seit einiger Zeit wieder in Schwung. Grund ist die generative künstliche Intelligenz mit ihrer Revolutionierung der Schaffensprozesse.

Es gibt noch Leute, die auf ihrem alten Mobiltelefon dreimal auf die Taste «2» drücken, um in einer SMS den Buchstaben «c» einzutippen. Die auf den Fortschritt bedachte und kompetitive Ordnung, in der wir leben, macht die Nummernblockanhängerschaft aber zu Out-, und alle anderen zu Insidern. Wir können es uns nämlich in der Regel nicht leisten, in etwas mehr Zeit als nötig zu investieren. Neue bahnbrechende Technologien, die uns bei alltäglichen Dingen Zeit ersparen, faszinieren uns deswegen gezwungenermassen – und sie machen uns gleichzeitig auch ein bisschen nervös.

Mit dem Oszillieren zwischen Faszination und Nervosität gegenüber technologischem Fortschritt sind Kunstschaffende bestens vertraut. Friedrich Nietzsche etwa warnte im Jahr 1882 vor der Schreibmaschine. Er schrieb (ironischerweise auf seiner neuen Schreibmaschine): «Unser Schreibzeug arbeitet mit an unseren Gedanken». Die Skepsis gegenüber dem Neuen hat sich aber weder damals noch später jemals wirklich durchgesetzt. Im Nachhinein ist das auch gut so, denn schliesslich hat die Schreibmaschine ja geholfen beim Bücherschreiben. Und auch danach hat weder der Phonograph das Live-Konzert vom Markt verdrängt noch das Kino dem Theater ein Ende gesetzt.

Das neue Phänomen, von dem wir gerade nicht so sicher sind, ob wir es uns wirklich aneignen sollten, nennt sich Generative Artificial Intelligence, kurz: GenAI (oder auch einfach «KI») – wiederum Faszination und Nervosität zugleich. Faszinierend ist, dass diese Technologie innert Sekunden Musik komponieren, arrangieren, produzieren, mixen und mastern kann. Nervös macht die Angst vor der eigenen Entbehrlichkeit und den damit verbundenen finanziellen Engpässen sowie die Sorge um das mögliche Aussterben von «echter» Musik. Sollten die Kreativen dieses Tool nun anwenden oder nicht? Sollen Kunsthochschulen den Umgang mit GenAI gar lehren? Und wo führt das hin?

Einen elementaren Unterschied zwischen GenAI und früheren technischen Errungenschaften gilt es dabei genauer zu betrachten: GenAI funktioniert strenggenommen nicht, sondern sie reagiert. Das heisst, sie macht nicht das, was ihr beauftragt («gepromptet») wird, sondern das, was ihr mit grösster Wahrscheinlichkeit in Auftrag gegeben werden wollte. Gibt man beispielsweise in das Eingabefeld einer textgenerierenden KI den Buchstaben «c» ein, schreibt die KI kein «c», sondern so etwas wie «Hey! Du hast nur ein ‘c’ geschrieben – war das ein Versehen oder brauchst du Hilfe mit etwas Bestimmten?» Möchte man von der KI also einfach den Buchstaben «c», muss man ihr befehlen «Schreib den Buchstaben ‹c›!». Um ein neues Buch (selbst) zu schreiben, ist man also mit der Schreibmaschine (oder gar mit dem Nummernblock eines alten Handys) als Werkzeug besser ausgestattet. Will man hingegen einfach ein neues Buch (generieren lassen), ist ChatGPT wohl das effizientere Tool (ungeachtet der qualitativen Komponente).

Beim Musikmachen geht es im Grunde genommen darum, eine Idee sorgfältig zu verwirklichen; durch die Ansteuerung von Parametern, die Analyse des so Bewirkten, den Abgleich des Zwischenresultats mit der zugrundeliegenden Idee, die Neuausrichtung der Parameter usw. Komponieren, Produzieren und Interpretieren ist deswegen die eigentliche Schnittstelle zwischen (nichthörbaren) Ideen und (hörbaren) Musikwerken. Lässt sich diese Schnittstelle nun gänzlich automatisieren, kann bei dem Hörbaren allenfalls zwar von Musik die Rede sein, diese Musik wurde aber nicht geschaffen, sondern lediglich entdeckt. Den kulturellen Wert solcher Musiken müssen wir wohl noch eruieren, in rechtlicher Hinsicht ist die Lage aber klar: Urheberrechtlich schutzfähig ist gerade eben nicht die entdeckte, sondern nur die geistig geschaffene Musik.

Fehlgeleitet wäre vor diesem Hintergrund zwar die Schlussfolgerung, Musikmachen sei ab sofort jedermenschs Sache. Als Trost taugt diese Erkenntnis aber wenig, wenn sich Musikmachen irgendwann nicht mehr monetarisieren lässt, weil das Generieren von Musik per Klick viel günstiger und schneller ist. Diesem Umstand wird aber kaum auf künstlerischer Ebene entgegenzuwirken sein, sondern auf regulatorischer.

In Bezug auf den künstlerischen Umgang mit GenAI ist zu hoffen, dass auch in der Musik Ungeahntes mittels dieser neuen Technologie hervorgebracht wird. Denn daran, dass unser Schreibzeug an unseren Gedanken mitarbeitet, ist grundsätzlich nichts auszusetzen, solange eine Kollaboration zwischen Mensch und Maschine noch stattfindet.  Der die Idee verwirklichende Gestaltungsprozess sollte dabei aber bestenfalls nicht komplett dem Zufall bzw. dem undurchschaubaren Algorithmus überlassen werden. Werkzeug ist nämlich nur, was sich auch als solches einsetzen, sich also gezielt bedienen lässt. Insofern liegt die Kunst – vielleicht sogar im wörtlichen Sinne – darin, die GenAI wie ein Werkzeug einzusetzen: sie soll funktionieren, nicht frei reagieren.

 

Noah Martin

… leitet das Generalsekretariat der SUISA und betreut im Rahmen dieser Aufgaben das Dossier KI.

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