Strategisches Marketing für Chöre

Viele Chöre kämpfen mit Nachwuchsmangel und sinkenden Einnahmen. Statt bei der Werbung zu sparen, sollten sie in professionelles Marketing investieren, denn jedes zusätzlich verkaufte Ticket hilft, die Kosten zu decken.

Viele Chöre kennen die Situation: Weniger junge Sängerinnen und Sänger bedeuten kleinere Ensembles mit vorwiegend älteren Mitgliedern, die für das junge Publikum an Attraktivität verlieren. Die Folge sind bescheidenere Konzerte mit sinkenden Ticketverkäufen, weniger Stammkunden und zurückgehender Sponsorenbereitschaft. Paradoxerweise wird dann oft ausgerechnet bei der Werbung gespart.

Bei schlechten Ergebnissen folgen weitere Sparmassnahmen: bei der Werkauswahl, beim Orchester und bei den Solisten. Diese Qualitätseinbussen fallen Publikum, Sponsoren und Medien auf, was zu noch tieferen Einnahmen und weniger kostenloser Medienberichterstattung führt. So entsteht eine Negativspirale, die Chöre in eine schwache Verhandlungsposition bringt und im schlimmsten Fall zur Auflösung führen kann.

Dabei zeigen Erfolgsbeispiele, dass es auch unter heutigen Bedingungen möglich ist, diese Entwicklung zu durchbrechen. Statt auf Sparen zu setzen, sollten Chöre für Überschüsse kämpfen und Reserven bilden – unterstützt durch begeisterte Gäste, Chormitglieder, Solisten, Orchester und Medien sowie tosenden Applaus. Diese gesellschaftlichen Qualitäten gilt es zu erhalten. Denn der Chorgesang und die jahrhundertelange Musiktradition in Klassik und Volksmusik bilden mit der unverfälschten menschlichen Stimme eine wichtige Alternative zur technisch bestimmten Musikwelt.

Aufmerksamkeit und Erleichterungen für die Neuen

Die Werbung um neue Chormitglieder und eine solide Stammkundschaft wird in vielen Chören zu wenig beachtet. Dabei muss gehandelt werden, bevor der Chor klein und überaltert ist und bevor Einsparungen bei Aufführungen notwendig und sichtbar werden.

Verschiedene Strategien können dabei helfen. Die Verpflichtung aller Chormitglieder, neue Sängerinnen und Sänger zu werben, kann zur moralischen Pflicht gemacht werden. Jüngeren Stimmen sollte eine Sonderstellung und besondere Wertschätzung geboten werden, um den Chor zu einem Ort der Begegnung von Jung und Alt zu machen – beispielsweise durch «Dialogsingen» am Konzert. Eine Zweiteilung des Chors mit einem Kernteil für anspruchsvolle Sequenzen ermöglicht es, starke Stimmen zu halten, während gleichzeitig Raum für Newcomer geschaffen wird.

Die Werbung für neue Singende wird besonders attraktiv durch beliebte und viel gesungene Werke wie das Mozart-Requiem oder auch mal eine Oper. Dabei sollte die Freude am Singen und die Möglichkeit zur Selbstverwirklichung angesprochen werden. Ein konkretes Beispiel zeigt die Wirksamkeit dieser Strategie: Mit der Frage «Möchten Sie einmal in einer Oper singen?» konnte für das Projekt Tell 2018 ein achtstimmiger Chor von 152 Sängerinnen und Sängern zusammengestellt werden – mit entsprechender Wirkung in der Tell-Arena Interlaken.

Neue Singende können zunächst ad hoc dabei sein und sollten gleich beim ersten Auftritt besondere Aufmerksamkeit erhalten. Die wöchentlichen Proben können durch mehr Ganztagesproben an Samstagen oder verstärktes Üben zu Hause mit Hilfe moderner Technik reduziert werden, um die Teilnahme zu erleichtern.

Attraktiv für Sponsoren und selbst eine Marke werden

Ein Konzert verursacht viele Vorkosten für Werbung und Organisation, bevor die Einnahmen fliessen. Um dieses Risiko zu vermindern, ist ein starker Vorverkauf durch gute Werbung entscheidend. Hier fehlt es jedoch oft an Fantasie und systematischem Vorgehen.

Der Verkauf durch die Chormitglieder selbst kann vielfach noch gesteigert werden. Zusätzlich können Sponsoren dazu bewegt werden, statt Geld zu spenden, eine hohe Anzahl Tickets zu kaufen und diese gratis oder mit Rabatt an ihre Kunden, Mitarbeitenden und Aktionäre weiterzugeben. Dies verspricht eine bessere PR-Wirkung als ein auf den Werbemitteln platziertes Verlegenheits-Logo unter vielen anderen. Ein solcher Ticketverkauf im Paket bietet bereits eine gewisse finanzielle Sicherheit.

Grosses Sparpotenzial besteht in gemeinsamen Aufführungen zweier Chöre, die nicht in Konkurrenz zueinander stehen. Beide können sich die fixen Kosten bis zur Hauptprobe teilen. Denkbar ist auch, das gleiche Konzert an verschiedenen Orten zu veranstalten.

Chöre benötigen ein klar erkennbares Logo als Marke. So wird die Werbung schneller erkannt, richtig identifiziert und gewertet, weil ein solides Image entsteht. Dazu müssen die Zielgruppen bekannt sein und mit der richtigen Werkauswahl und gezielter Werbung angesprochen werden. Die Stammkundenpflege sollte das ganze Jahr über erfolgen.

Diese Marketinggrundsätze werden von vielen Chören unterschätzt. Manche haben noch nicht erkannt, dass sie ihr Konzert zu einer jährlich wiederkehrenden Marke entwickeln können – wie es viele erfolgreiche Musikveranstalter machen. Professionelles Marketing ist kein Luxus, sondern Notwendigkeit für das Überleben der Chortradition.

Ausführliche Impulse für ein Marketing-Konzept – PDF-Download (20 Seiten)

Inhalt:
0. Situation und Risiken der heutigen klassischen Laien-Chöre im Allgemeinen
1. Nachwuchsförderung
2. Finanzen, Verkauf: Risiken und Chancen
3. Gesucht: Neue Lösungs-Ansätze – Wege, die zum Ziel führen sollen
4. Beispiel aus der Praxis: «Oltner Sommernachtskonzert»
5. Konzert-Management-Modell
6. Ziele
7. Strategie – (Weg zum Ziel)
ANHANG Schema für Budgetierung, Preisfindung und Nachkalkulation – ein Rechenbeispiel

Der Autor

Ernst Wüthrich ist Marketingexperte und singt in zahlreichen Chören mit. 2018 hat er als Initiator und Leiter das Projekt «Oper Tell Interlaken» mit über 300 Mitwirkenden realisiert.

Kontakt: ernest100@bluewin.ch

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