Gesangswettbewerb Elvirissima 2025

Am Pfingstmontag, 9. Juni 2025 fand der Gesangswettbewerb der Elvira-Lüthi-Wegmann-Stiftung „Elvirissima 2025“ im MaiHof in Luzern statt. Nach Prüfung der rund zwanzig eingegangen Bewerbungsdossiers lud der Stiftungsrat siebzehn Kandidat*innen zum Vorsingen nach Luzern ein.

Als Elvira Lüthi-Wegmann den SMPV mit einem grosszügigen Legat bedachte, damit er eine Stiftung gründen konnte, die junge Sänger*innen in der Schweiz unterstützt, konnte sie nicht ahnen, dass eine Bologna-Reform dem SMPV-Berufsstudium ein Ende bereiten würde. So verfügte sie, dass Preise nur an Studierende von SMPV-Lehrkräften vergeben werden dürften. Heute dürfen wir immerhin auch Sänger*innen zulassen, die selbst bereits SMPV-Mitglied sind. Das schliesst aber die Studierenden der Performance-Studiengänge häufig aus, weil immer weniger Hochschul-Professor*innen dem SMPV beitreten, sie also ihre Studierenden leider auch nicht zum Wettbewerb schicken können und weil man für den Beitritt zum SMPV einen Masterabschluss Pädagogik vorweisen muss und nur Studierende im Masterstudiengang Pädagogik als Studierendenmitglieder aufgenommen werden können.
Vielleicht liegt es an diesem kleineren Kreis, der überhaupt am Wettbewerb teilnehmen kann, dass die beiden Jurys das Niveau des Wettbewerbs als klar tiefer empfanden als bei den letzten Ausgaben. Es wurde deshalb sogar kein erster Preis verliehen! Es kann aber auch daran liegen, dass sich zufälligerweise kein herausragendes Talent wie die grossartige Chelsea Zurflüh (Gewinnerin 2021) oder der hochtalentierte Evan Gray (Gewinner 2023) angemeldet haben.
Eine Besonderheit des Wettbewerbs 2025 war es, dass es zwei Jurys gab, weil die SMPV Sektion Schaffhausen einen Sonderpreis in Form eines Konzerts stiftete und Thomas Weiss, Präsident des SMPV Schaffhausen zusammen mit dem Pianisten, Jean-Charles Reber, und der Sängerin, Daniela David, dafür als zweite Jury anreiste.

Die Hauptjury unter meinem Vorsitz bestand aus den Stiftungsräten, Dr. Lena-Lisa Wüstendörfer und Dr. Bernhard Hunziker, der Operndirektorin des Luzerner Theaters, Dr. Ursula Benzing und aus dem stellvertretenden Leiter des Internationalen Opernstudios Zürich, Thomas Barthel.
Erfreulich aber auch überraschend ist, dass sich die Beurteilungen beider Jurys weitgehend deckten.
Ich unterhalte mich mit Thomas Weiss (Thomas) und Thomas Barthel (Tom) über Elvirissima 2025:

Lieber Thomas, lieber Tom, welche Eindrücke sind von Elvirissima 2025 geblieben?

Tom Barthel: 2023 war ich ja leider nicht dabei, aber ich kann klar sagen, dass das technische Niveau 2025 deutlich tiefer war als 2021. Viele kämpften mit Intonationsproblemen, die Basis der Technik fehlt, und die Atemführung funktioniert nicht.

Du hast das also auch so empfunden? Ich war sehr enttäuscht diesmal. Bei neun  von siebzehn Kandidat*innen steht in meinen Beurteilungsbögen u.a. „Intonation ist nicht optional!“

Thomas Weiss: Ich fand auch, dass die technischen Grundlagen fehlten. Fast alle waren aber schauspielerisch sehr engagiert und überspielten die technischen Mängel mit Showeffekten – das aber sehr charmant. Als Unbeteiligter im Publikum, wenn ich nicht so genau hingehört hätte, hätte ich vieles „ganz nett“ gefunden.
Thomas Barthel: Ja, es war allgemein ein schwacher Jahrgang. Ich frage mich, ob die Ursache dafür in der Corona-Pandemie liegt. Vor fünf Jahren haben diese Sänger*innen ihr Studium begonnen oder sie waren in den ersten Semestern davon. Vielleicht fehlt ihnen deshalb die Stabilität einer seriösen Grundausbildung.
Thomas Weiss: Mir ist bei vielen eine übergrosse Nervosität und Verkrampftheit aufgefallen, die sich zum Beispiel in Hilfshaltungen mit den Händen zeigte. Und irgendwie fehlte die Freude am Singen.

Genau, das hat mich fast am meisten gestört. Ich habe einige Kandidatinnen beim Feedback gefragt: „Singen Sie eigentlich gerne?“

Thomas Barthel: Die Entwicklung ist falsch. Wir kommen in eine Sackgasse, in der Show wichtiger ist als die technischen Basics, Natürlichkeit und künstlerische Spontaneität. Das braucht eine klare Anleitung der Dozierenden, sie aus dieser Sackgasse herauszuführen!

Tom, du hörst sehr viele Sänger*innen aller Nationen bei den Vorsingen fürs IOS (Internationales Opernstudio, Opernhaus Zürich; Anm. der Redaktion). Stellst Du dieses Problem vor allem beim Schweizer Sängernachwuchs fest, oder ist es ein internationales Problem?

Tom Barthel: Leider ein internationales.

Was rätst Du den jungen Sänger*innen und ihren Ausbildner*innen?

Tom Barthel: Sie müssen die Grundlagen besser erarbeiten. Wir brauchen eine sichere Intonation, klare Vokale, einen sauberen Stimmausgleich. Und dann wünsche ich ihnen mehr Geduld! Heute wollen alle schon mit 22 bis 24 Jahren Erfolg haben und fest engagiert sein, auch wenn die Grundlagen fehlen. Das ist eine sehr ungesunde Entwicklung.

Was sagst du zum Thema Programmauswahl und Fach? Ich habe in der Feedbackrunde einige darauf angesprochen, dass es unklug ist, für einen Wettbewerb Arien verschiedenster Fächer anzubieten, und es ist mir dabei aufgefallen, dass sie eine erstaunlich schlechte Literaturkenntnis haben und wenig über Stimmfächer wissen.

Tom Barthel: An einem Wettbewerb oder beim Vorsingen für eine Agentur oder ein Haus, präsentiert man sich klar mit einem Fach, auch wenn man sich in der Entwicklung und Ausbildung zwischen den Fächern ausprobiert. Entscheidend ist dabei nicht, ob man eine Arie schafft, sondern ob die Stimme bei der lautesten Stelle der Partie, zu der diese Arie gehört, übers Orchester kommt.

Jetzt haben wir viel kritisiert, aber es war nicht alles schlecht; wir haben ja fünf Preisträgerinnen gefunden, und obwohl die qualitativen Unterschiede zwischen den Sänger*innen kleiner waren als in anderen Jahren, sind beide Jurys unabhängig voneinander zu sehr ähnlichen Entscheidungen gekommen. Thomas, wie habt ihr ausgewählt?

Thomas Weiss: Für uns war klar, dass wir für das Konzert zwei unterschiedliche Stimmlagen möchten, sonst hätten wir vielleicht auch die beiden Mezzi ausgewählt, die die zweiten Preise im Hauptwettbewerb gewonnen haben. Dann war uns natürlich der Ausdruck sehr wichtig. Und die beiden Stimmen müssen gut zusammenpassen.
Tom Barthel: Was da ist, ist das stimmliche Grundmaterial und das Volumen, auch wenn dieses oft durch Druck erzeugt wird. Und der musikalische echte Ausdruck hat dann auch bestimmt, wem wir die Preise vergeben haben, oder?

Ganz genau, Musikalität und Ausdruck waren entscheidend. Ich danke euch für dieses Gespräch!

Und das ist unser Wunsch an die potentiellen Kandidat*innen von Elvirissima 2027: arbeitet an den technischen Basics, informiert euch über Stimmfächer, hört viele Fachkolleg*innen, lernt dadurch wunderbare Musik kennen und lasst euch inspirieren, ohne diese zu kopieren. Die technischen Grundlagen sind schliesslich nur das Mittel zum Zweck, den musikalischen Ausdruck zu transportieren, um das Publikum (und manchmal auch eine Jury) damit berühren zu können.

Von links nach rechts: Elena Dietrich, Ambra Biaggi, Aline Brechbühl, Albina Asadullina und Valérie Fleur Ryser
© klangworker.ch   

Gewinnerinnen Elvirissima 2025

Auch wenn die Jury über das Niveau von Elvirissima 2025 nicht ganz glücklich war und wir keinen ersten Preis verliehen haben, soll das den Erfolg unserer fünf Gewinnerinnen in keiner Weise schmälern. Die Preise, die wir ihnen zugesprochen haben, haben sie ehrlich verdient:
Ambra Biaggi (Mezzosopran, 2. Preis ex aequo) überzeugte die Jury mit ihrer Präsenz, ihrer Ausdruckskraft und ihrer Stilsicherheit, während die Jury bei ihrer Mezzosopran-Kollegin, Elena Dietrich (2. Preis ex aequo), die Energie, den Mut zu grosser dynamischer Differenziertheit und den grossen Ausdruckswillen lobte. Aline Brechbühl, Sopran (3. Preis), überzeugte die Jury mit ihrem schönen, warmen Timbre, ebenfalls mit ihrer Ausdruckskraft und mit strahlenden Höhen. Valérie Fleur Ryser (Sopran, 4. Preis ex aequo) punktete mit ihrer Interpretation von Gounods Juliette-Arie „Je veux vivre“ und mit ihrem inbrünstigen Singen und Albina Asadullina (Sopran, 4. Preis ex aequo) mit ihrem süssen Klang und ihrem innigen Ausdruck.
Der Sonderpreis der Sektion Schaffhausen in Form eines Duo-Rezitals in Schaffhausen ging an Elena Dietrich und Albina Asadullina.

Herzliche Gratulation!

Das könnte Sie auch interessieren