Klassikfestivals ausserhalb der Zentren
Das Othmar-Schoeck-Festival in Brunnen widmet sich künstlerisch und wissenschaftlich dem Komponisten, der dort gelebt hat. «Beleuchtungen», ein Festival von Oberaargau Classics, spricht neues Publikum mit Werken mit regionalen Bezügen an.
Überraschungen sind im etablierten Klassikfestival-Betrieb eher selten. Es kann vorkommen, dass in Verbier ein Pianist vom Rang eines Jean-Efflam Bavouzet sein Programm mit persönlichen Anekdoten und einschlägigen Analysen der gespielten Werke ergänzt, deren Unterhaltungs- und Erkenntniswert den Konzertgenuss mindestens verdoppeln (2019). Häufiger sind es ungewöhnliche Zusammenstellungen, die man im jeweiligen Rahmen nicht erwartet hätte. So war kürzlich Chilly Gonzales, auf Einladung des Programmverantwortlichen Igor Levit, am Pianofestival im grossen Saal des KKL zu hören, was nicht nur klanglich erstaunlich gut funktionierte. Das Konzert war erfreulicherweise so gut wie ausverkauft. Offensichtlich wird bei solchen Programmierungen der Gewinn für ein rundum stimmiges Festival höher gewichtet als das Risiko.

Künstlerische Hochleistungen und Wissenschaft in Brunnen
Ins Staunen gerät man aber bei jüngeren Festivals, die meist weit ausserhalb der etablierten Strukturen aufgebaut werden, noch nicht in aller Munde sind und entsprechend freier agieren können. Das Othmar-Schoeck-Festival fand diesen September zum siebten Mal in Brunnen SZ statt. Nach der Gründung im Jahr 2016 konnte es erst ab 2020 jährlich weitergeführt werden. Neben der Villa Schoeck, Geburts- und häufiger Schaffensort des Komponisten, als aussergewöhnlicher Lokalität und weiteren besonderen Austragungsstätten in der wunderschönen Landschaft am nördlichen Urnersee ist es vor allem das Festivalprogramm, das herausstach.
Vielseitig gestaltete Konzerte mit internationalen und hochspezialisierten Musikern – eine Aufführung der Elegie op. 36 unter dem Dirigat von Heinz Holliger als Höhepunkt –, eine Masterclass für Liedduos und ein sorgfältiges Vermittlungsprojekt garantierten an drei Spieltagen ein intensives Musikerlebnis. Prominent im Programm stand auch ein Vortrag von Ulrike Thiele, Musikwissenschaftlerin aus Zürich. Sie beleuchtete das Leben und Schaffen von Werner Reinhart, Mäzen und passionierter Amateurmusiker aus Winterthur, der Othmar Schoeck jahrzehntelang in seinem kompositorischen Schaffen unterstützt hatte. Solche oder andere musikwissenschaftliche Formate prägen die gesamte Festivalreihe genauso wie die rein künstlerischen Inhalte.

Für Alvaro Schoeck, den Initiator und künstlerischen Co-Leiter des Festivals, war von Beginn weg zentral, dass gleichzeitig mit der Werkförderung – und der Wiederbelebung der Villa Schoeck – auch eine umfassende historische Aufarbeitung von Othmar Schoecks Leben und Zeitgenossenschaft durchgeführt werden sollte. Nach dessen Tod 1957 wurde er bis in die 1980er-Jahre kaum aufgeführt, und die anschliessende Wiederentdeckung war begleitet von Beklemmung betreffend seine Verbindungen zum Dritten Reich. Die künstlerische Verortung seines vielseitigen Werks erwies sich als schwierig, ein wissenschaftlicher Forschungsstand in engerem Sinne fehlte, und nicht zuletzt stellten sich aufführungspraktische Probleme, da sein Werk den Interpreten oftmals Höchstleistungen abfordert.

Wie weit diese Aufarbeitung nun bereits fortgeschritten ist, liess sich am Festivalwochenende vom 19. bis 21. September in eindrücklicher Weise erleben. Die Ausführenden spielten Schoecks Werke mit einer Könnerschaft und Kompromisslosigkeit, die keine Zurückhaltung oder Unklarheiten mehr durchscheinen liessen. Und auch die allgemeine Atmosphäre trug zu diesem Eindruck bei: Selbst im vor privater Historie schier berstenden Atelierraum der Villa Schoeck nahm man nichts wahr, was mit irgendeiner Art von Dünkel hätte in Verbindung gebracht werden können. Es ist dem ganzen Projekt sehr zu wünschen, dass das grosse Engagement aller Beteiligten weiterhin zu so gelungenen Festival-Jahrgängen führt, und dass eine langfristige Etablierung des Projekts gelingt. Der Bedeutung Othmar Schoecks für die Region und darüber hinaus wäre das höchst angemessen.
Neues Publikum und Uraufführungen mit Regionalbezug in Langenthal

Zwei professionelle Ensembles aus Langenthal BE, der Geburtsstadt Heinz Holligers, das Grenzklang Barockorchester und das Orchester Camerata 49, arbeiten seit mehreren Jahren zusammen und bilden mit den Oberaargau Classics eine der gewichtigsten Kulturinstitutionen im westlichen Mittelland. Mit dem ersten viertägigen Festival «Beleuchtungen» vom 4. bis 7. September gingen die Verantwortlichen nun einen grossen Schritt weiter in ihren Bemühungen, das klassische Musikschaffen im Oberaargau sichtbar zu machen. Neben der stilistischen Vielfalt und Experimentierfreude war es den Veranstaltenden auch ein Anliegen, mit ungewöhnlichen Spielorten und einem flexiblen Preismodell neue Zuhörerinnen und Zuhörer aller Altersklassen anzusprechen und so für neuartigen Austausch zu sorgen.
Dass dies auf Anhieb funktionierte, konnte man vor allem am zweiten Festivalabend in der Kunsthalle auf dem Porzi-Areal unter dem Motto «Komponisten-/Komponistinnenporträt» feststellen. Zahlreiche Kinder und Jugendliche befanden sich unter den Anwesenden, um einem Programm zu lauschen, das von neuen Kinderstücken Heinz Holligers bis zu drei Uraufführungen von Komponierenden mit Bezug zur Region reichte, dargeboten vom ausgezeichnet aufspielenden Quintett der Camerata 49. Diese grösseren Kompositionen mit Lokalbezug bildeten eines der Highlights des Festivals und liessen ansatzweise erahnen, welch grosses Potenzial im hiesigen Musikschaffen mit klassischer Ausrichtung liegt.

Die Co-Initiatorin und künstlerische Leiterin Sabina Weyermann zeigte sich im Anschluss an das Festival denn auch sehr zufrieden mit dem Ergebnis. Für eine Erstaustragung seien die vier Abende sehr gut besucht und die Resonanz des Publikums durchwegs positiv gewesen. Demgegenüber stehe der enorme Aufwand, den sie und ihr Team hätten betreiben müssen, um die Veranstaltungen erfolgreich zu planen und durchzuführen. Gleichzeitig betonte sie, dass sie in allen wichtigen Bereichen ausreichend unterstützt worden sei und folglich nicht mit der verbreiteten Auffassung übereinstimme, dass für Projekte dieser Art der Support nicht ausreichend wäre.

Beide Festivals – so unterschiedlich ihre Ausrichtungen auch sind – sorgen auf ihre je eigene Art für eine echte Bereicherung des Musiklebens in der Schweiz. In Langenthal werden nicht nur neues Publikum erschlossen und wichtige Vermittlungsarbeit geleistet, sondern auch ausgezeichnete Komponisten aus der Region in angemessenes Licht gerückt. Und in Brunnen zieht man nicht nur sämtliche Register eines gelungenen Festivals auf der Höhe der Zeit, man leistet mit dem Othmar-Schoeck-Festival auch längst fällige wissenschaftliche Arbeit zu einer der wichtigsten Figuren der jüngeren Schweizer Musikgeschichte.
Transparenzhinweis: Die Schweizer Musikzeitung ist Medienpartnerin des Othmar-Schoeck-Festivals