Stimmentwicklung
 und Hormone

Hormone haben grossen Einfluss auf die Stimme, denn der Kehlkopf ist ein hormonsensibles Organ. Die grösste Rolle spielen dabei die männlichen Hormone.


Hormone sind biochemische Botenstoffe, die in speziellen Zellen produziert und über das Blut transportiert werden. Sie entfalten an verschiedenen Organen spezifische Wirkungen. In der Pubertät wachsen Kehlkopf und Vokaltrakt schnell und bei Knaben unter dem Einfluss der Androgene (der männlichen Hormone) noch ausgeprägter als bei Mädchen, bei denen der «Stimmbruch» meist nicht bemerkt wird.


Zwei Fälle aus der Praxis


Die fast fünfzehnjährige Mara nimmt seit mehr als einem Jahr Gesangsunterricht. Eine Musikmatura ist geplant. Seit einem halben Jahr geht das Singen gar nicht mehr, die Stimme ist deutlich tiefer geworden. Die Untersuchung zeigt höchstens eine leichte Rötung der Stimmlippen. Aber Mara hatte bisher noch keine Menstruation, das lässt an ein hormonelles Problem denken. Der Hormonspezialist weist dann auch ein Überwiegen von männlichen Hormonen nach. Bei Mara ist es also gewissermassen zu einem Stimmbruch gekommen, wobei die Stimme nicht wie bei Jungen um eine Oktave abgesunken ist, aber eben tiefer als die Mädchenstimme von Gleichaltrigen, die sich physiologischerweise um etwa eine Terz senkt.


Die Hormonstörung kann behandelt werden, aber die Stimme wird nicht mehr höher werden, die Virilisierung des Kehlkopfs ist nicht rückgängig zu machen. Vermutlich wird Mara wieder Zugang zur Singstimme finden können, wenn sich der Kehlkopf an die neue Situation gewöhnt, und dafür ist zunächst eine logopädische Stimmtherapie angezeigt. Aber in welcher Stimmlage singen möglich ist, und ob es für eine Musikmatura reichen wird, ist unsicher.


Der vierzehneinhalbjährige Mike sucht mich auf, weil er zwei Monate zuvor erkältet war und er seine Singstimme noch immer nicht wiedergefunden hat. Er singt solistisch in einem Ensemble als Mezzosopran. Er spricht mit einer etwas unnatürlich hohen, dünnen und brüchigen Stimme. Die Untersuchung zeigt einen reizlosen Kehlkopf, der aber bereits deutlich grösser ist als bei einem Kind.


Was liegt vor? Mike hat den Stimmbruch eigentlich schon durchgemacht, das heisst, das hormonell stimulierte Wachstum des Kehlkopfs hat stattgefunden. Aber durch die Pflege des hohen Singens ist er auch beim Sprechen in einer hohen Stimme hängen geblieben. Hier handelt es sich nicht um eine hormonelle Störung, sondern um eine fehlerhafte Anpassung an eine normale Entwicklung. Was nun?


Man nennt diese Stimmlage, die sich bei bereits weitgehend erfolgter Mutation noch nicht gefestigt hat, Cambiata. Die Sprechstimme des Knaben muss durch eine erfahrene Logopädin in die männliche Lage gesenkt und dort stabilisiert werden, denn das ständige zu hohe Sprechen strapaziert die Stimme und führt zu Stimmermüdung und Heiserkeit. Aus diesem Grund hat sich Mikes Stimme nach der Erkältung auch nicht erholt. Singen kann Mike vorläufig weiter hoch. Die Aufnahme eines Konzertes, das Mike einige Monate später mit der hohen Stimme wieder singen kann, klingt einwandfrei.


Mutationsstörungen


Wenn die Stimme trotz Wachstum hoch bleibt, spricht man von einer Mutationsstörung. Bei Männern ist diese pathologische Stimme höchst auffällig, aber durch Logopädische Therapie gut zu behandeln. Bei Mädchen mit Mutationsstörung kommt es erst viel später zu Stimmermüdung und Heiserkeit, und die Diagnose ist schwieriger zu stellen. Logopädie ist auch hier die Therapie der Wahl.


Mutationsstörungen sind ziemlich häufig. Echte hormonell bedingte Stimmstörungen, wie im Fall von Mara beschrieben, viel seltener. Wenn ein Jugendlicher nicht oder nur teilweise in die männliche Stimmlage kommt, ist eine Untersuchung beim Phoniater angezeigt. Senkt sich die Stimme eines Mädchens merklich ab, oder kann es überhaupt nicht mehr singen, ohne dass es vermehrt belastet oder früher für Stimmstörungen anfällig gewesen wäre, dann sollte auch das medizinisch überprüft werden.


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