Kalaidos zu Gast im Tonstudio Tessmar

Eine Mischung aus Unterricht, Konzerten und Aufnahmen für Studierende.

Frank-Thomas Mitschke — Nicht zum ersten Mal veranstaltete die Kalaidos Musikhochschule ein Konzert mit Aufnahme im Hannoveraner Tonstudio Tessmar. Unter professionellen Bedingungen, die besser nicht sein könnten, in einer freundlichen und familiären Atmosphäre, die dem Ehepaar Karl und Rita Tessmar zu verdanken ist, und in einem Kammermusiksaal inkl. Steinway-Flügel, der akustisch keine Wünsche übrig lässt, arbeiteten die jungen Pianisten und Pianistinnen mit Lev Natochenny und Martin Stadtfeld vom 18. bis zum 20. Juni. Mit grosser Geduld, pädagogischem Einfallsreichtum und hoher künstlerischer Kompetenz beleuchteten die beiden renommierten Pianisten und Dozenten die Details sowie die grossen Bögen der zu erarbeitenden Werke.

Der Kurs endete mit einem Abschlusskonzert der Teilnehmenden, in dem teils eindrucksvoll die Ergebnisse der intensiven Arbeit dem in Hannover präsenten sowie dem per Livestream zugeschalteten Publikum präsentiert wurden.

Oscar Paz-Suaznabar läutete klangschön und verinnerlicht mit den Lisztschen «cloches de Genève» das Konzert der Studierenden ein, denen Martin Stadtfeld noch ausserplanmässig drei Präludien und Fugen von Bach sowie eine eigene Bearbeitung eines Werks von Händel vorangestellt hatte. Klar strukturiert und mit sehr sparsamer Nutzung des rechten Pedals liess Oscar Paz-Suaznabar die letzte der Etüden op. 10 von Chopin erklingen, akzentuiert im Rhythmus der rechten Hand, während die linke ihre Kaskaden über die Tastatur schleuderte. Nina del Ser träumte sich, gelegentlich vielleicht ein wenig defensiv, durch zwei Nocturnes von Chopin, dessen Scherzo in b-moll unter den Händen von Jan Liebermann zum Leben erweckt wurde. Während der junge Musiker bezüglich einer schlüssigen Gesamtkonzeption des Werks noch Entwicklungspotential hat, wusste er mit vielen schönen Details das Publikum zu überzeugen.

Vladyslav Shelepov hatte sich der intimen späten Klaviermusik von Brahms angenommen und überzeugte durch eine klangsensible Interpretation einer Auswahl aus den Stücken op. 117 und 118. Überzeugend und packend gestaltete Alexander Preiss die beiden ersten Balladen von Chopin. Den Schlusspunkt bildete Nuron Mukumi mit einer ebenso virtuosen wie klangmächtigen Wiedergabe von drei Stücken aus dem op. 72 von Peter Tschaikowsky, die keine Wünsche offen liess.

Am Abend zuvor hatte sich Martin Stadtfeld mit einem Klavierabend präsentiert. Mit drei Präludien und Fugen aus dem ersten Band des Wohltemperierten Klaviers von Johann Sebastian Bach begann er seinen Klavierabend im Tonstudio Tessmar. Und er machte von Anfang an klar, was seine Intention ist: Die Musik ist nicht einfach da, sondern sie entsteht unter seinen Händen im Moment des Erklingens. Langsam, sich hineintastend, fast unwirklich bahnt sich das Thema der cis-moll-Fuge seinen Weg in die pianistische Realität, um sich dann in monumentaler Steigerung zu einem beeindruckenden Höhepunkt, einem fugierten Tsunami gleich, auftürmen zu lassen. Unmittelbar anschliessend, attaca, verzauberte völlig konträr, mit ganz anderem Impuls, aber dennoch als Einheit dargestellt, das spielfreudige Präludium D-Dur mit Fuge seinen Platz im Programm. Fernab von jeder mechanisch-abspulenden Triolenuniformität zeigt Martin Stadtfeld das Präludium und die Fuge d-moll. Er formt aus diesen gebrochenen Akkordflüssen mit grosser Ruhe melodische Bögen, die viele andere Interpreten/innen nicht gefunden haben.

Als ein Traum in tausend piano-Nuancen präsentierte Stadtfeld seine eigene Bearbeitung von Händels «Lascia, ch’io pianga» mit vielen kleinen Verästelungen figurativer Begleitstimmen und einem wunderbar gesanglich geführten Part in der Mittelstimme.

Schuberts grosse B-Dur-Sonate war unter Stadtfelds Händen durchaus dazu angetan, im positiven Sinn zu verstören. Da, wo andere Pianisten das Eingangsthema weihevoll zelebrieren und eine Atmosphäre der absoluten Ruhe, der Losgelöstheit von allem irdischen Gedankengut schaffen, beginnt Stadtfeld betont diesseitig, zügig, nicht in Frage stellend, sondern klar bejahend – dabei auch exponierte Dynamik keineswegs vermeidend. Doch je mehr sich der Kopfsatz dem Ende zuneigt, desto mehr Fragezeichen setzt Stadtfeld in dieses Thema, um es dann, den ersten Satz beendend, quasi schwebend, fragend und unbeantwortet verklingen zu lassen. Eine Interpretation, die vielleicht nicht im Einklang mit gängiger Hörerwartung steht, die aber überzeugend einen erfrischend anderen Ansatz zur Interpretation dieses Werkes bietet.

Zum Sterben schön gestaltet der Pianist die unendliche Traurigkeit des zweiten Satzes, mit Anschlagsnuancen zwischen pianissimo und piano, wie man sie sich für diese Schubertsche Kostbarkeit nur erträumen kann.

In straffem Tempo, ohne sich dabei irgendwelche Temporückungen zu erlauben, spielt Stadtfeld den dritten Satz, um dann, kurz vor Schluss des scheinvirtuosen Schlusssatzes, die Musik noch einmal einzufrieren, erstarren zu lassen, quasi als Tonskelett dem Publikum zu präsentieren. Eine Interpretation voller unerwarteter An- und Einsichten, dabei voller Spannung, ungewöhnlich und frisch sowie überlieferte Hörgewohnheiten in Frage stellend.

Eine kraftvolle, mitreissende und bei aller Klangentfaltung immer transparente und klare Darstellung der Toccata von Sergej Prokofjew beendete ein Programm, das vom Publikum völlig zu Recht mit Bravorufen und heftigem Applaus belohnt wurde.

Horst Richter bereicherte das Programm mit drei Kurzgeschichten rund um das Klavier, die er mit sonorer Stimme und packendem Vortrag dem Publikum darbrachte.

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