Baarer:innen wagen Barockbögen-Abenteuer

Das Baarer Kammerorchester hat für sein Vivaldi-Projekt für alle Mitglieder Barockbögen gemietet. Die Solistin und Geigerin Plamena Nikitassova unterrichtet die 30 Streicher:innen im barocken Spiel und lässt sie in historische Klangwelten eintauchen.

«Ihr müsst mehr Druck auf den Bogen geben», erklärt Plamena Nikitassova den rund 30 Streicher:innen des Baarer Kammerorchesters und lässt eine Passage wiederholen. «Das war schon besser. Aber es braucht noch mehr Druck. Es muss richtig kratzen.» Die Geigerin und Spezialistin für Alte Musik Nikitassova führt die Mitglieder des Baarer Kammerorchesters (BKO) an einem Samstagnachmittag im April im Pavillon Bahnmatt in Baar in die Klangwelt und die Bogentechnik des Barock ein. Das BKO probt die bekannten Vier Jahreszeiten von Antonio Vivaldi (1678—1741) für seine Frühlingskonzerte Mitte Mai.

Dieses berühmte Werk haben wohl viele Amateurmusiker:innen schon einmal gespielt. Aber anders als die meisten Amateurorchester spielen die Baarer nicht mit ihren normalen Bögen, sondern sie üben sich in historischer Aufführungspraxis, wie man es sonst von professionellen Ensembles kennt. Das Baarer Kammerorchester hat nämlich für die Dauer des Projektes von knapp vier Monaten für das ganze Ensemble Barockbögen gemietet. Und mit denen spielt es sich ganz anders als mit modernen Bögen.
Mehr Druck und präziser ausgeformte Töne

Kurzer, leichter Bogen, präziser ausgeformte Töne

«Man muss sich an das leichte Gewicht und an die Kürze des Barockbogens gewöhnen», erzählt Eva Schlumpf, Mitglied des Orchestervorstands und Geigerin im BKO. «Am Anfang ging mir immer der Bogen ‹aus›.» Für die Erzeugung und Änderung des Klanges müsse man viel mehr mit Gewicht als mit Bogengeschwindigkeit arbeiten. Das ist alles gar nicht so einfach, wie die eingangs zitierte Episode illustriert. Vieles muss neu und anders gelernt werden.

Die Probe mit Nikitassova, welche in Vivaldis Jahreszeiten den Solo-Geigenpart übernehmen wird, wirkt denn auch ein bisschen wie eine Geigenstunde für ein ganzes Orchester. Das ist so gewollt. Dirigent Manuel Oswald, Initiator des Projekts und selbst ausgebildeter Geiger, hat mit Nikitassova vereinbart, dass sie die Amateurspieler:innen in mehreren Proben in der barocken Technik unterrichtet. «Mit den Barockbögen lassen sich die einzelnen Töne viel präziser und detailreicher ausformen», sagt Oswald, der insgesamt vier EOV-Orchester leitet. Es eröffne sich eine neue Welt mit ungeahnten Möglichkeiten, die einem mit den heute gebräuchlichen Bögen verschlossen bleibe. Oswald will seine Streicher:innen in Baar diese zusätzliche Dimension erleben lassen. Gleichzeitig helfe das Training der differenzierten Artikulation auch beim «normalen» Geigenspielen, so dass die Orchestermitglieder über das Barockprojekt hinaus profitieren könnten.

Klanggegensätze Barock vs. modern im Konzert

30 Barockbögen zum Mieten aufzutreiben, sei nicht ganz einfach gewesen, sagt Eva Schlumpf. Auf Vermittlung des Ehemanns einer Cellistin, einem Geigenbauer, konnten die Baarer aber schliesslich für das ganze Orchester Bögen mieten. Die Miete betrage 15 Franken pro Monat pro Bogen. «Wir sind momentan daran, eine Stiftung zu finden, welche die Mietkosten von insgesamt rund 2000 Franken übernimmt», so Schlumpf. Nur wenn keine Finanzierung zustande käme, würden die Orchestermitglieder die Miete selbst bezahlen müssen.

Der finanzielle und zeitliche Mehraufwand zeigt Früchte. Schon am Probewochenende klingt Vivaldi anders — man ist fast versucht zu sagen, besser — als man ihn von Amateuren gespielt sonst kennt. Leicht. Intensiv. Dynamisch.

Man darf gespannt sein auf die Konzerte, denn nach dem Besuch der EOV-Redaktion bleibt dem BKO noch ein Monat Zeit zum Proben. Das Konzertprogramm «Lebenszeiten» ergänzt die barocke Musik mit Werken aus späteren EpoChen, welche mit modernen Bögen gespielt werden. Diese direkte Gegenüberstellung wird die Klanggegensätze auch für das Publikum erfahrbar machen.

Konzert «Lebenszeiten» des Baarer Kammerorchesters mit Werken von Vivaldi (mit Barockbögen gespielt), Rachmaninow, Elgar und des Danish String Quartet. Sa, 12. und So, 13.05.2023, jeweils um 19.30 Uhr, Kirche St. Thomas, Inwil bei Baar. Eintritt frei, Kollekte. www.baarerkammerorchester.ch

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