Musikalische Bildung neu denken
Schweizer Musikschulen zeigen sich immer innovativer. Sie suchen die Zusammenarbeit mit anderen Institutionen und entwickeln Unterrichtsformen, die den Einzelunterricht am Instrument ergänzen. Dazu gehören auch die Musikschulen Münchenstein (BL) und Alpnach (OW).

„Wir wünschen uns, dass Kinder länger als nur dreissig Minuten pro Woche an der Musikschule sind“, sagt Stefanie Dillier, Schulleiterin der Musikschule Alpnach im Kanton Obwalden, „Die Musikschule soll ein niederschwelliges Zentrum sein für Musikerlebnisse aller Art sein.“ Mit drei neuen Unterrichtsformaten unter dem gemeinsamen Titel „Musikschule+“, die nach einer mehrjährigen Pilotphase im Schuljahr 2024/2025 fix gestartet sind, ist ihre Musikschule auf dem besten Weg dazu.
Kreativtage – gemeinsam erleben und lernen
Mehrmals pro Jahr bieten Lehrpersonen der kleinen kommunalen Musikschule seither einen Kreativtag an – ein halber Tag, der die Einzellektion der Woche ersetzt und den Schüler:innen ein gemeinsames Erlebnis ermöglicht. Dies kann ein Besuch der grössten Orgel der Schweiz im Kloster Engelberg, ein Aufnahmetag im Studio oder der Bau eines Monster Drums sein, wo sämtliche Schlaginstrumente der Musikschule zusammengeholt und -gestellt werden. „Die Lehrpersonen sind sehr kreativ, und die Rückmeldungen der Schüler:innen sind toll“, sagt Stefanie Dillier. Auch die Eltern geben dem neuen Format sehr gute Noten.

Workshops für Musikschüler:innen und Externe
Während sich die Kreativtage an angemeldete Musikschüler:innen richten, können sich in neu ausgeschriebenen Workshops, einem weiteren neuen Format, auch andere interessierte Kinder und Erwachsene anmelden. Dazu gehören ein Popchor, ein Pan-Ensemble und verschiedene Bands. Für die Kleineren bietet die Musikschule den Workshop „Music Mind Games“ an, der Zugänge zur Musik spielerisch fördert. Angedacht sind auch Kurse in Musiktheorie.
An der Musikschule üben
Drittes Format ist die betreute Übezeit. Dass die Musikschule in den gleichen Gebäuden angesiedelt ist wie die Volksschule ermöglicht es Musikschüler:innen, über den Mittag zu üben. Aufgrund der räumlichen Gegebenheiten ist dies aktuell nur am Montag und Dienstag möglich – interessierte Kinder können sich Anfang Semester für 15-30 Minuten Übezeit einschreiben, die Eltern zahlen einen symbolischen Betrag, und jeweils eine Lehrperson ist vor Ort anwesend, um Fragen zu beantworten. „Hier möchten wir noch mehr herausholen“, so Stefanie Dillier – Stolpersteine sind aktuell der Raummangel und die Kosten. Sie sieht im Format Potential, weil viele Schüler:innen die Tagesstruktur der Volksschule nutzen und über den Mittag deshalb sowieso präsent seien. Zudem entlaste es die Eltern und fördere Schüler:innen gleichzeitig in ihrer Selbstständigkeit.
Wenn das Jubiläum zum Dorffest wird
„Die Musikschule+ ist als Gesamtprojekt kostenneutral“, sagt Stefanie Dillier. Dies trage sicher zur Akzeptanz bei – sie betont aber auch, dass die Musikschule im Dorf sehr wertgeschätzt werde und in der Bevölkerung gut verankert sei. „Letztes Jahr feierten wir unser 50-Jahres-Jubiläum, ein richtiges Dorffest. Es ist vieles möglich, wenn die Beziehungen mit der Schule und der Gemeinde so gut sind.“
Singen an der Schule
Auch die Musikschule Münchenstein im Kanton Basel-Landschaft arbeitet eng mit der Volksschule zusammen. Im Rahmen des Projekts „Klingende Schule“ nehmen Schulklassen der 1.-6. Klasse kostenfrei an Sing- und Musikklassen teil. Die beteiligten Primarschullehrpersonen profitieren von musikalischen Weiterbildungen und unterrichten mit Musikpädagog:innen im Teamteaching. Höhepunkte sind die Aufführungen Ende Schuljahr. „Ich muss sagen, ich bin hell begeistert“, sagt Salome Zumbrunn, Co-Rektorin der Primarstufe Münchenstein. „Singen und Musik sind generell sehr wichtig für eine Schule.“
Aus einer Sparmassnahme das Beste machen
Die Grundlage für das Projekt war ursprünglich nicht sehr erfreulich. Die Gemeinde Münchenstein sah sich im Rahmen eines Sparmassnahmenpakets gezwungen, die dritte Lektion Musik und Bewegung für Primarschüler:innen zu streichen. Als Kompromiss wurden der Volks- und Musikschule Gelder für Kooperationsprojekte zur Verfügung gestellt. „Wir wollten den Kindern musikalische Erfahrungen in Münchenstein ermöglichen“, sagt Aloisia Dauer, die die Musikschule seit 2023 leitet. Da es in Baselland eine grosse bestehende Kinderchor-Kultur gibt, entschied das Projektteam der beiden Institutionen sich rasch für gemeinsame Singklassen, die in den Vormittagsunterricht integriert werden sollten, und Kursen in Perkussion und Orff-Instrumenten über den Mittag. Zusätzlich sollten die Lehrpersonen der Primarstufe musikalische Weiterbildungen besuchen können.
Abschlusskonzert im vollen Saal
Bereits im ersten Projektjahr war die Resonanz sehr gross. Beim Abschlusskonzert aller Singklassen im Juli 2024 standen über dreihundert Kinder auf der Bühne. „Wir hatten ein volles Konzerthaus, trotz einem Fussballmatch der Schweiz“, berichtet Aloisia Dauer, „Die Freude an der Musik war bei den Kindern, den Lehrpersonen, den Eltern und dem gesamten Gemeinderat deutlich zu spüren. Es war wirklich etwas ganz Besonderes.“
Pilotprojekt positiv ausgewertet
Auch die Auswertung der Pilotphase zeigte erfreuliche Ergebnisse. Lehrpersonen berichteten von einem verbesserten Klassenklima dank dem gemeinsamen Singen – die Schüler:innen würden die einstudierten Songs auch auf Exkursionen oder auf dem Pausenplatz gemeinsam singen. Besonders geschätzt wurden auch die Weiterbildungen in Stimmbildung, Liedrepertoire und ab August 2025 auch „Liedbegleitung mit der Gitarre.“
Ein Netzwerk bilden
„Als Musikschule müssen wir mehr im Netzwerk denken und nicht nur für uns allein arbeiten“, sagt Aloisia Dauer. Der Einzelunterricht sei nach wie vor sehr wichtig, aber es brauche auch die Zusammenarbeit mit der Schule und mit anderen Institutionen. „Wir müssen schauen, dass möglichst alle Kinder mit Musik in Kontakt kommen. Durch die Musik kann sich Gemeinschaft entwickeln – sie bringt Menschen und Generationen zusammen.“
Preisgekrönt
Beide Musikschulen wurden für ihre innovativen Projekte am VMS-Good-Practice-Wettbewerb 2024/2025 ausgezeichnet. Die Musikschule Münchenstein gewann den 2. Preis der Jury, und die Musikschule Alpnach erhielt den Publikumspreis.