Drinnen und draussen

Die Wittener Tage für neue Kammermusik mit einer Installation von Barblina Meierhans im Gelände und einem Komponistenporträt von Beat Furrer im Saal.

Barblina Meierhans bei ihrer Installation. Foto: Andreas Oertzen,Foto: Andreas Oertzen

 Im Ruhrgebiet gab es mal viel zu tun. So viel, dass deutsche Arbeitskraft nicht mehr ausreichte, um ihn zu befriedigen, den riesigen Bedarf an Kohle und Stahl. Ob Polen, Griechen, Türken – alle halfen mit beim deutschen Wiederaufbau nach 1945. Heute sieht es anders aus in Bochum, Dortmund oder Witten. Vorbei ist es mit der Kohle und dem Kohle-Machen. Verlassene Fördertürme, Zechen wie Bergstollen sind nun Ausflugsziele – auch bei den Wittener Tagen für Neue Kammermusik, wo es ins nahe gelegene Muttental ging zu einer Klangwanderung mit zwölf Stationen in Form von Installationen, Klangperformances oder ausgewachsenen Konzertstücken in freier Natur.
Wer Installationen macht, bezieht sich in der Regel auf den Ort, wahlweise auf dessen Atmosphäre oder auf dessen Geschichte. Franz Martin Olbrisch setzt einen piepsenden Kanarienvogel an den Eingang eines verschlossenen Bergstollens. Bei den Bergleuten dienten Vögel als eine Art Frühwarnsystem vor «schlagendem Wetter». Strömte das gefährliche Methangas irgendwo im Bergstollen aus, reagierten die Vögel zuerst. War das Gasvorkommen besonders stark, war der Vogel tot – und so liegt er dann auch leblos in einem anderen Bergstollen, den Olbrisch künstlerisch nutzt.

Berstende Steine

Barblina Meierhans, 1981 im schweizerischen Burgau geboren, studiert derzeit bei Olbrisch in Dresden; zuvor war sie an den Hochschulen in Bern und Zürich, wo sie das Kompositionshandwerk erlernte unter anderem bei George Aperghis und Daniel Weissberg. Meierhans nennt ihre Installation Steinsengen. In die Grundmauern eines abgerissenen Maschinengebäudes platziert sie kleine Lautsprecher, aus denen die Geräusche berstender Steine tönen. Man sollte denken, stabile Steine würden einfach platzen und dabei gewaltig knallen. Meierhans jedoch inszeniert das Spalten dezent, ja geradezu introvertiert. Sie brachte Kontaktmikrofone an Steine an, die sie mit Hammer und Keilen spaltete. In einem Stolleneingang neben den Grundmauern sind die gewaltsamen Zertrümmerungsschläge zu hören. Daneben, im alten Maschinengebäude, äussern sich die inneren Gesteinskräfte in Form eines seltsamen Klirrens und Quietschens aus den mit grossen Eisenplatten verdeckten Lautsprechern.
Meierhans´ sensible Installation lädt zum Verweilen ein. Anders als Olbrischs Arbeit entfaltet sie ihre Wirkung erst mit der Zeit, die es leider kaum gibt, da es bei der Klangwanderung zu schnell aufgeht zur nächsten Station. Beat Furrer kennt solche Probleme als «Indoor-Komponist» weniger. Der 1954 in Schaffhausen Geborene ist in diesem Jahr ausgiebig präsent in Form eines Komponistenporträts, das im Konzertsaal kammermusikalische wie orchestrale Seiten offenbart. Furrer macht nach zwei Tagen voller Proben (und Interviews) einen durchaus müden Eindruck. Doch ist er froh, dass er sich im Gegensatz zum sonstigen Festivalbetrieb von verschiedenen Seiten zeigen kann und nicht nur mit einer Uraufführung.

 

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Beat Furrer

Kontrollierte Explosion

Schon das Duett lotófagos I für Sopran und Kontrabass zeigt, dass Furrer aus sehr ungewöhnlichen Besetzungen etwas machen kann. Wider Erwarten schmiegen sich die Höhen und Tiefen einander an. Er sei selbst überrascht, sagt Furrer, «wie sich das mischt», und fügt hinzu, dass der Vorteil darin besteht, dass «man keine dynamischen Probleme hat» und dass sich die «Flageoletts des Kontrabasses sehr gut vertragen mit dem Sopran». Furrer ist ein sensibler Klangerkunder und Instrumentator. Er spricht viel über «Formanten», «Klangstrukturen», «Filterwirkungen» und «Bewegungsmodelle». Das 1998 entstandene Spur für Klavier und Streichquartett bringt vor allem letztere zu Gehör. Eine perlend-kreisende Figur des Klaviers gibt dem Stück eine gehörige Portion Vorschub. Die Streicher des hervorragenden Ensembles KNM Berlin akzentuieren das Geschehen mit viel Pizzikati und harschen, durchdringenden Strichen. In seiner motorischen Dichte ist Spur weit entfernt sowohl von den intimen Duetten als auch von den orchestralen Zwei Studien, uraufgeführt vom WDR Sinfonieorchester Köln unter der Leitung von Titus Engel.
Es gibt kein «System Furrer», auch keinen markanten Personalstil. Aber in diesen Zwei Studien kommen doch Anlagen zum Tragen, die häufiger auftauchen. Gewiss ist Furrer kein radikal exaltiert rauschhafter Komponist. In der ersten Studie liefern sich zwar dissonante Blöcke von Blechbläsern und tiefen Streichern ein lautes Duell. Die Kontrolle jedoch ist Furrer zu wichtig, um das Drama dem Schicksal zu überlassen. Er behält stets die Kontrolle. Hier braucht es keinen vor Explosionen warnenden Kanarienvogel. Der Komponist bändigt die Energien selbst – auch mithilfe der zweiten Studie, die grüblerisch tief, zugleich hoch gekonnt in die Materie eindringt, sprich: in die Musik.

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