Mutiges neues Chorkonzept in Luzern

Vor drei Jahren führte der Boys Choir Luzern eine «Carmina Burana» in choreografierten Tableaux auf. Jetzt doppelte er mit dem gleichen Konzept nach: «Bilder (k)einer Ausstellung» im April im Maihof Luzern.

Ballett der unausgeschlüpften Küken. Foto: Manuela Jans

Der 2011 von Andreas Wiedmer und Regula Schneider gegründete Boys Choir Luzern kann eine kurze und eindrückliche Erfolgsgeschichte vorweisen. Einladungen ans Europäische Jugendchorfestival in Basel, die Aufführung von Carmina Burana 2021 im Maihof Luzern, die Schweizer Erstaufführung von Les Choristes am KKL 2023 und vieles mehr zeugen von einer zielgerichteten Chorarbeit. Der Identifikationsfaktor ist hoch. Die Kinder bleiben bis über den Stimmbruch hinaus dabei und wechseln meist nahtlos in den Herrenchor. Die Knaben- und Herrenstimmen bilden heute dank einer kompetenten und ambitionierten Aufbauarbeit einen Kinder- und Jugendchor, der zu den besten Europas gehört. Besonders in letzter Zeit regnete es Auszeichnungen. Wettbewerbsgewinne und Goldmedaillen im In- und Ausland sind fast schon selbstverständlich geworden.

Il vecchio castello. Foto: Manuela Jans

Energie umwandeln

Um Knaben zum Chorsingen zu bringen, bedarf es heute anderer Rezepte, als einen zappligen Haufen ruhig zu stellen und Kinderlieder aus dem Liederbuch vortragen zu lassen. «Knaben der 4. bis 6. Klassen, die singen, gelten unter Gleichaltrigen als extrem uncool», sagt Regula Schneider. Sie hält es deshalb für sinnvoll, diese Altersgruppe separat zu betreuen, um ihre speziellen Anlagen und Bedürfnisse ideal fördern zu können. Knaben in dem Alter haben viel Energie. Es gelte, diese zu nutzen und in musikalische Energie umzuwandeln.

Chorleiter Andreas Wiedmer sagte im Porträt des Chores in der Sternstunde Musik des Schweizer Fernsehens (23.09.23): «Singen ist für die Jungen lange ein Nebenprodukt, sie könnten eigentlich auch Fussball spielen. Es geht darum, in der Gruppe zusammen zu sein, sich fordern zu lassen und sich mit den andern zu messen.» Werde zu lange am Gleichen gearbeitet, langweilten sie sich schnell. Auf ein Ziel hin zu arbeiten und häufiges Auftreten seien wichtig, um sie bei der Stange zu halten.

Sanfte Klänge zum Auftakt

Das Hauptereignis des Konzertabends im Maihof war die Uraufführung von Modest Mussorgskis Bilder einer Ausstellung in der Bearbeitung von Regula Schneider.  Vorangestellt war die Mass of the Children von John Rutter (Uraufführung, New York 2003), ein eingängiges, musicalähnliches Werk mit den traditionellen Messtexten, ergänzt mit zusätzlichen religiösen Texten. Rutter hatte es in seiner Zeit als Knabensopran immer aufregend gefunden, mit Erwachsenen zusammen an einem Konzert mitwirken zu dürfen. Deshalb schrieb er später dieses Stück für gemischten Chor und Kinderchor.

Der Boys Choir Lucerne in John Rutters Kyrie: Awake my soul. Foto: Manuela Jans

Das Ad-hoc-Orchester unter der Leitung von Philipp Hutter klang präzis und verband sich sehr gut mit dem Gesang. Die Sopranistin Samantha Herzog, der Bariton Andreas Wiedmer und die Chormitglieder Loris Sikora und Jonathan Kionke hatten wohlklingende solistische Einsätze. Der Charakter des Stücks wurde durch meist weiche, anmutige Bewegungen des Chores illustriert. Das «Qui tollis» erhielt durch markante Armbewegungen eine besondere Note. Auffallend war die selbstverständliche Bühnenpräsenz der jungen Leute, welche sich im darauffolgenden Werk noch stärker akzentuieren sollte.

Musikalische Bildbetrachtung

Zum 10-jährigen Bestehen 2021 führte der Chor Carl Orffs Carmina Burana auf. Als zusätzliche Herausforderung übernahmen die Chormitglieder die Choreografie selbst. Dabei wurde besonderer Wert auf die Umsetzung der Bildlichkeit des Werks gelegt. Der Erfolg der Aufführung weckte den Wunsch, ein weiteres Stück im gleichen Stil zu gestalten. Der Weg zu Bilder einer Ausstellung von Mussorgsky war nicht weit, zumal es sich hier um eine Art musikalische Bildbetrachtung handelt. Bewegungen und Bildinterpretationen sind in der Musik bereits angelegt.

Jetzt ging es noch darum, Gesang und Texte einzubauen. Regula Schneider nahm die Bearbeitung für Kammerorchester von Bruno Peterschmitt als Vorlage und arrangierte aus den Melodielinien eine Gesangspartitur, mehrheitlich unisono mit einigen mehrstimmigen Abschnitten. Co-Leiter Marcel Fässler schrieb dazu einen poetischen Text, der von Mussorgskis imaginärem Museumsbesucher stammen könnte. Bis auf eines versah Schneider alle Bilder mit Gesang – und es hat funktioniert! Die Originaltonarten des Stücks erwiesen sich als gut singbar. Wo es etwas hoch wurde, setzten die Herren schon mal auf elegante Weise das Falsett ein. Zusätzlich zu den rund 45 Knaben- und Herrenstimmen trat ein Frauen-Projektchor mit noch einmal an die 25 Stimmen in Erscheinung.

Der Gnom. Foto: Manuela Jans

Klare Bewegungsmuster, ausdrucksstarke Gesten

Trotz gut singbarer Musik ist es immer eine Herausforderung, gleichzeitig zu singen und sich zu bewegen. Die Choreografin Yvonne Sieber verzichtete auf zu komplexe Tanzfiguren und beschränkte sich meist auf klare Bewegungsmuster und ausdruckstarke Gesten, die den Inhalt der Bilder verdeutlichten. Eine starke Lichtregie unterstrich das Bühnengeschehen vortrefflich. Nach einem wirkungsvollen Aufmarsch der Chöre wuselten Zwerge im ersten Bild «Gnomus» über die geräumige Spielfläche des Maihof. In «Tuileries» hatten die Knaben einen erfrischenden Auftritt, während die Herren und Damen in «Bydlo» mit dem einfachen Motiv des Hinkens Wirkung erzielten.

Beim «Ballett der unausgeschlüpften Küken» waren wieder die Knaben im Mittelpunkt. Obwohl sie zunächst hinter dem Orchester aufgestellt waren, klang ihr Gesang präsent und kompakt. «Samuel Goldenberg und Schmuyle» wurde von neun Herren bestritten. Das Solo übernahm Jonathan Kionke mit seiner makellosen Counterstimme. Er ist seit Jahren Mitglied des Chors und studiert inzwischen Gesang an der Zürcher Hochschule der Künste. Mit aussagekräftigen Armbewegungen sorgten die Darstellenden im Bild «Die Hütte auf Hühnerbeinen» für inhaltliche Assoziationen. «Das grosse Tor von Kiew» war als monumentales Schlussbild gestaltet.

Zum Schluss Das grosse Tor von Kiew. Foto: Manuela Jans

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