Orpheus als Bilderreigen und Musikcollage

Nach vierjähriger Pause präsentiert Musikwerk Luzern Beni Santoras multimediale Inszenierung des Orpheus-Mythos. Das Basler Vokalensemble Domus Artis singt Jacopo Peris Oper «Euridice» inmitten einer filmischen Revue.

Premiere von «… und er schaute zurück» im Moderne Karussell am 11. April 2024. Foto: Musikwerk Luzern / Priska Ketterer

Beni Santora hat Musikwerk Luzern 2015 gegründet, um moderne Klassiker wie Béla Bartók oder Igor Strawinsky in neuartigen Konzertformaten aufzuführen. Das filmische Element hat ihn dabei stets interessiert. So hat er als Cellist auch Filmregie studiert und sich zum Kameramann weitergebildet. Seine multimediale Collage zur Orpheus-Mythologie … und er schaute zurück zeugt von dieser Doppelbegabung. Die Musik bekommt Zeit und Raum, um zu wirken.

Der technische Aufwand ist jedoch enorm. Die notwendige Infrastruktur fanden Santora und sein Team im ehemalige Kino Moderne. Durch den Umbau zum «Moderne Karussell» ist daraus ein grosszügiger Raum mit drei Kinoleinwänden entstanden. Fünf Hochleistungsprojektoren stehen zur Verfügung, um 360-Grad-Projektionen zu ermöglichen.

Sanft belebte Bilder

Für seine filmische Umsetzung suchte Santora weltweit nach Orpheus-Darstellungen aus 4000 Jahren Kulturgeschichte. Diese bekannteste Liebesgeschichte der Antike hat Künstler seit jeher inspiriert. Orpheus ist der griechische Held, der in die Unterwelt hinabstieg, um seine geliebte Eurydike aus dem Totenreich zurückzuholen. Bei der Rückkehr hätte er jedoch nicht zu ihr zurückschauen dürfen. Er tat es doch und verlor sie ein zweites Mal.

Die ausgewählten Bilder projiziert Santora wie in einer Galerie nebeneinander an die drei Wände: eine antike Bronze, ein frühbyzantinisches Mosaik, griechische Statuen, ein Gobelin aus dem 17. Jahrhundert oder Ölgemälde aus der Romantik. Diese Galerie-Perspektive zieht sich als roter Faden durch die Produktion. Ähnlich wie Mussorgski in den Bildern einer Ausstellung kehrt Santora immer wieder zu ihr zurück.

Foto: Musikwerk Luzern / Priska Ketterer

Grundsätzlich arbeitet er mit stehenden Bildern, die er sanft belebt. Er zoomt eines der Sujets heran, vergrössert Ausschnitte oder bewegt einzelne Figuren, und das über die drei Screens hinweg. Die Luzerner Agentur 360 Emotion hat diese «Ausstellung in bewegten Bildern» mit modernster Technik umgesetzt.

Als Zuschauer sitzt man in bequemen Kinosesseln mittendrin. Dank der ruhigen Dramaturgie hat man genug Zeit, sich die Bilder genauer anzusehen. Die Figuren werden durch die Vergrösserungen lebendig und kommen einem nahe. Längst vergangene Zeiten tauchen raumfüllend auf.

Livemusik und Tonaufnahmen

Und die Musik? Hier wagt Santora einen Dialog zwischen der Liveaufführung von Jacopo Peris Oper Euridice und Aufnahmen, die er zu den Bildern einspielt: antike römische Festmusiken, mehrstimmige Madrigale, Sinfonisches von Franz Liszt, Claude Debussy, Igor Strawinsky, Hans Werner Henze und Philipp Glass, stets mit Bezug zur Orpheus-Thematik.

Auch wenn diese Tour d’Horizon durch die Musikgeschichte auf die jeweils dargestellte Kunst abgestimmt ist, strengen die ständigen stilistischen Wechsel an. Besonders heikel aber ist das Nebeneinander von Livemusik und dem Surround-Klang über Lautsprecher. Kaum hat man sich in die Eigenart der Renaissancemusik eingehört, wird man von einer Tonaufnahme jäh wieder herausgerissen.

Doch mit der Zeit gewöhnt man sich auch daran. Peris Oper ist die musikalische Instanz, zu der man immer wieder zurückkehrt, sie bildet den erzählerischen Rahmen. 1600 in Florenz uraufgeführt, ist sie die älteste vollständig erhaltene Oper der Musikgeschichte. Überraschenderweise kann sich dieses schlichte Werk im multimedialen «Gesamtkunstwerk» gut entfalten.

Das Basler Vokalensemble Domus Artis sang die fünf Partien an der Premiere vom 11. April mit engagierter Hingabe, begleitet von Guilherme Barroso an der Theorbe und Inés Moreno Uncilla am Cembalo. Die konzertant auftretenden Sängerinnen und Sänger packten die Aufmerksamkeit mit ihrer lebendigen Artikulation und natürlichen Phrasierung.

In der Hauptpartie des Orpheus rührte einen der Tenor Cyril Escoffier mit einem hingebungsvollen Lamento. Sein warmes Timbre passte auch gut zum klaren hellen Sopran von Jaia Niborski, welche die stolze Eurydike gab. Und die reiche Farbpalette des Ensembles kam in den beschwingteren Chorliedern eindrücklich zur Geltung. So enorm der Aufwand für diese Orpheus-Produktion auch war, sie hat dem antiken Stoff ein stimmiges, modernes Gesicht gegeben.

Weitere Aufführungen: 24. und 25. April sowie 2., 3. und 5. Mai. Ab 25. April bis 13. Juni ist eine verkürzte Version ohne Domus Artis jeweils Do bis So, 16 bis 21 Uhr, zu sehen.

musikwerkluzern.ch

Foto: Musikwerk Luzern / Priska Ketterer

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