Exotica statt Liebe

«Seismographic Sounds – Visionen einer neuen Welt» vermengt im Aarauer Forum Schlossplatz pointierte und kontroverse Musikvideos und Soundkunst aus 50 Ländern zu einer spannenden Vision.

Hör- und Sehröhre. Foto: norient.com,norient.com,norient.com

«Seismographic Sounds – Visionen einer neuen Welt» nennt sich die Ausstellung im Aarauer Forum Schlossplatz. Sie macht ihrem Titel bereits hinter der ersten Türe alle Ehre: Wer diese öffnet, sieht sich einer fast zwei Meter breiten LED-Wand gegenüber, auf der Szenen aus Afrika, Surfboard-Sequenzen oder küssende Lippen sich in rascher Abfolge – und durchaus lautstark – die Hand geben. Es ist ein erster Blick hinter die Kulissen des aktuellen globalen Musikschaffens. 

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Titelbild der Ausstellung

Entstanden ist der Gedanke zu «Seismographic Sounds» vor rund anderthalb Jahren, auf Anregung von Anna Bürkli, Co-Kuratorin des Solothurner Künstlerhauses S11. Dort hätte die Ausstellung ursprünglich auch Vernissage feiern sollen, doch: «Die Idee ist immer weiter gewachsen und benötigte bald mehr Platz, als das S11 bieten konnte», sagt Thomas Burkhalter, der die Schau gemeinsam mit Theresa Beyer und Hannes Liechti entwickelt hat – in Zusammenarbeit mit ihrem internationalen Netzwerk Norient.

Im Mittelpunkt der Ausstellung auf gut 200 Quadratmetern stehen pointierte, schrille und kontroverse Musikvideos, Tracks und Soundkunst aus über 50 Ländern. Es seien wagemutige Werke, die abseits gängiger gesellschaftlicher Normen entstanden seien, erläutert Burkhalter. «Das Ergebnis ist eine Mischung aus unserer Sichtweise und jener von 250 Journalisten, Bloggerinnen oder Wissenschaftlern.» Nach und nach hätte man immer mehr Material aus so verschiedenen Ländern wie Bolivien, Israel oder Ghana zugesandt erhalten, mitunter gar ungefragt. Die Qualität des Eingereichten sei erstaunlich hoch gewesen, sagt Burkhalter und Beyer ergänzt: «Das Projekt bestätigte unser Gefühl, dass es auf der ganzen Welt unzählige Musikerinnen und Musiker gibt, die sich mit viel Wissen und grosser Dringlichkeit in neuen künstlerischen Formaten ausdrücken.»

Damit «Seismographic Sounds» entstehen konnte, sei es für die Macher nötig gewesen, bis an die persönlichen Grenzen zu gehen und die Rollen als Projektleiter, Kuratoren, Fundraiser und Redaktoren in sich zu vereinen. «Bis zu 100 Mails täglich waren die Norm», erinnert sich Beyer. Bemühungen, die fruchteten und einer Collage gleichkommen, die unter der Oberfläche schürft und neue Tendenzen in der Musik aufzeigt. «Es gilt etwa vom Bild wegzukommen, dass afrikanische Künstler unbedingt auf den angloamerikanischen Markt vorstossen wollen», betont Burkhalter. Heutzutage sei es für viele Musiker mitunter lukrativer, sich in der Heimat durchzusetzen.
 

Audiovisuelle Gesamtkomposition

Anhand der sechs Themen Money, Loneliness, Desire, Exotica, War und Belonging haben die Besucherinnen und Besucher die Möglichkeit, die Ausstellung als audiovisuelle Gesamtkomposition zu erfahren. Laut Beyer hätten sich diese thematischen Schlaglichter beim Begutachten der rund 2000 Clips herauskristallisiert. Dass das Motiv der romantischen Liebe weniger häufig als die genannten fiel, hat die beiden Kuratoren allerdings selbst überrascht.

Würde man sich jeden Schnipsel von «Seismographic Sounds» zu Gemüte führen, dann würde es rund acht Stunden in Anspruch nehmen, bis alles gesehen und gehört ist. Eine Fülle, die dem Besucher ein ausführliches Eintauchen erlaubt. In mehreren Kinoboxen, die für eine Handvoll Zuschauer Platz bieten, lassen sich Videos wie jenes von Bad Copy verfolgen. Die Serben verschmelzen harten Rap mit Bildern, die bürgerkriegsgeplagte Kinder mit dicken Knarren und harten Gesichtern zeigen. Nicht ganz so offensichtlich um Waffenkämpfe dreht sich «La Bala» von Los Tigres Del Norte aus Mexiko. Deren Clip beginnt familiär, endet aber im Bandentod. Leichtgewichtigeres offeriert «Allblackblackkat» des Südafrikaners Simiso Zwane, der mystische Bilder aus einem Swimmingpool hochsteigen lässt.

Während man in der Lounge verschiedenen Audiocollagen und Mixtapes wie «Aarau in den 80er-Jahren» lauschen kann, bieten zahlreiche Podcasts vertiefte Einblicke in den Alltag von Musikern abseits des Mainstreams. So erzählt die israelische Klangkünstlerin Meira Asher von ihrer musikalischen Auseinandersetzung mit der Militarisierung ihres Landes. Eine Hörstation nebenan beklagt sich die indonesische Hardrock-Band Burgerkill: «Für Künstler ist es bei uns schwierig, ein Auskommen zu finden.» Ein Statement, das in verschiedenen Formen immer wieder auftaucht. Noch häufiger wird man aber mit der Haltung konfrontiert, dass alles unternommen wird, um weiterhin mit seinen Liedern in der Öffentlichkeit präsent zu sein.

Die Schau, zu der auch ein gleichnamiges Buch publiziert wurde, verdeutlicht, wie unterschiedlich und zugleich ähnlich sich die verschiedenen Musikszenen auf unserem Globus sind. Mit «Seismographic Sounds» wird insbesondere die Lust geweckt, sich auf Entdeckungsreise nach neuen Klängen und Eindrücken zu begeben – und zwar sowohl innerhalb, als auch ausserhalb der Ausstellung.
 

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Indonesische Hardrock-Band Burgerkill

«Seismographic Sounds – Visionen einer neuen Welt», Forum Schlossplatz, Aarau.
Bis 20. September.

www.forumschlossplatz.ch
www.norient.com

 

Weitere Daten
1. Oktober bis 29. Dezember 2015
Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) Karlsruhe (Deutschland)

 

29. Januar 2016 bis 28. Februar 2016
Club Transmediale Festival (CTM) Berlin (Deutschland)

 

Januar 2017
Kornhausforum Bern (Schweiz)
 

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