Der harmonische Grobschmied

Das Kunstmuseum Solothurn ehrt den Eisenplastiker, Zeichner und Musiker Oscar Wiggli mit einer Hommage.

Oscar Wiggli: 133 – III, 1959. Ausführlicher Bildnachweis siehe Textende

Er galt als einer der grossen Schweizer Eisenplastiker seiner Generation, neben Jean Tinguely oder Bernhard Luginbühl, und schweisste aus schwerem Metall Gebilde von leichter Körperlichkeit: Oscar Wiggli, der am 26. Januar 2016 im Alter von 89 Jahren verstarb. Beides – die Leichtigkeit und die Körperlichkeit – springt einem bei der kleinen Ausstellung sofort ins Auge, die nun im Kunstmuseum Solothurn zu sehen ist und mit der ihn seine Geburtsstadt ehrt. Wie er einmal dem Kunsthistoriker Matthias Frehner anvertraute, seien nämlich alle seine Skulpturen letztlich weibliche Körper. Das wird auch aus seinen Zeichnungen und den Tuschbildern deutlich, es zeigt sich in den fotografischen «Superpositions», die 2006 am selben Ort gezeigt wurden und die man im alten Katalog betrachten kann. «donner à un rêve un corps – c’est ça qui me fait vivre – et avec tout ça je suis – on est – on bascule entre rêve et rêve – on bascule entre réalité et réalité», notierte er einmal.

«Einem Traum einen Körper geben»: Dieser Blick überträgt sich auf die grossen Skulpturen. Spürbar wird er zum Beispiel in Solothurn nun bei einer engelhaften, geflügelten Gestalt: Sie ist ganz offensichtlich jener antiken Nike von Samothrake nachgebildet, die sich einem auf der grossen Treppe des Louvre entgegenwirft. Der Körper scheint zu fliegen. Dieses Werk, Transformation eines anderen Kunstwerks, ist darin freilich kaum exemplarisch für Wiggli, der weniger aus der Begegnung mit anderer Kunst und der Geschichte als aus der Berührung mit dem Material, der Materie schuf.

Aus dieser Berührung entsprang noch eine weitere, die überraschendste seiner Tätigkeit: die Musik. Die kleine, auf zwei Säle beschränkte Hommage in Solothurn widmet diesem Aspekt einen gewichtigen Teil. Musik interessierte ihn von klein auf: Er kaufte sich zwei Harmonien und improvisierte darauf, allerdings nicht nach Noten, sondern nach Fotografien. Seit den frühen 80er-Jahren, als er am Centre américain in Paris einen Synthesizer-Kurs besuchte, sind eigene Kompositionen dokumentiert. Man glaubt in ihnen das Metall herauszuhören, an dem Wiggli arbeitete. Zusammen mit seiner Frau Janine, die sich in das technische Equipment einarbeitete, konstruierte er einen eigenen Synthesizer und schuf über die Jahre ein hierzulande einzigartiges Œuvre – elektroakustische Musik oder vielmehr eine «musique concrète», mit elektronisch erzeugten, aber auch aufgenommenen Klängen. Pierre Schaeffer, Pierre Henry oder Edgard Varèse standen Pate.

Inspiriert wurde er dabei von den Theorien des Franzosen Michel Chion, aber Wiggli, dieser Selfmademan, erschuf sich seine eigenen Grundlagen und stellte sich ein Klang-Vokabular zusammen, mit dem er arbeitete, wie häufig auf Französisch (das Ehepaar lebte abwechselnd im jurassischen Les Muriaux und in Paris): «frotté/lissé/ondulant», «éclatant/spiralant» oder «frappé/implosif/lourd/agité», notierte er zum Beispiel als Klangassoziationen auf einer Zeichnung. Mithilfe der Worte versuchte er zu fassen, was er dann in «évocations sonores poétiques» umwandelte. Er schuf sich sein eigenes musikalisches Werkzeug, sein «Werkzeug», wie Helmut Lachenmann wohl sagen würde.

Wigglis Partituren sind denn auch keine herkömmlichen Notationen, sondern Grafiken, Klangskizzen. Und daneben wirken gewisse Tuschzeichnungen fast wie die Neumen zu einer imaginären Musik. Auch da: Das Klangmaterial könnte so schwer geraten, aber die Musik bewahrt bei Wiggli eine Durchsichtigkeit, eine leichte Körperlichkeit. Und sie wirkt befreiend in einer Zeit, wo die Position der Neuen Musik manchmal so verknorxt und zukunftslos scheint. Sie erzählt auf unmittelbare Weise: eine Art «cinéma pour l’oreille».
 

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