Frisst das www seine Kinder?

Am 15. Dezember 2016 fand am Institut Kunst im Kontext der Universität der Künste Berlin die Konferenz «Turning the Tide – Das Blatt wenden» statt. Anlass war die Sorge um die Demokratie angesichts des gegenwärtigen Siegeszugs des Rechtspopulismus in Europa.

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Der unerwartete Brexit-Entscheid und vor allem der Wahlsieg Donald Trumps hätten Bestürzung und Schock ausgelöst, sagte Jörg Heiser, Direktor des Instituts Kunst im Kontext der UdK Berlin, Autor, Philosoph und Musiker. Heiser hatte eingeladen, die Ursachen für die dramatische Situation zu diskutieren, die als eine Bedrohung der Grundwerte der Zivilgesellschaft zu sehen sei.

Die Referenten, darunter die amerikanische Philosophin Susan Neiman, Direktorin des Potsdamer Einstein Forums, der holländische Philosoph Robin van den Akker, die polnische Internet- und Menschenrechtsaktivistin Joanna Bronowicka, die italienische Kuratorin Barbara Casavecchia und der Londoner Künstler Adam Broomberg analysierten die politischen Entwicklungen in ihren Ländern und stellten in ihren Beobachtungen einen Zusammenhang zwischen Social Media und erstarkendem Rechtspopulismus her. Eingeladen war auch der Zürcher Journalist und Ökonom Hannes Grassegger, der sich mit der politischen Instrumentalisierung von Big Data und persönlichkeitsbasierender Beeinflussung von Social Media-Nutzern beschäftigt. Hannes Grassegger hatte zusammen mit Ko-Autor Mikael Krogerus im Interview mit dem Psychologen Michal Kosinski Ich habe nur gezeigt, dass es die Bombe gibt (Link zum Artikel) im Magazin Nr. 48 vom 3. Dezember 2016 einen direkten Zusammenhang zwischen Social Media und dem Wahlsieg Donald Trumps aufgezeigt. Da Grassegger gemäss Auskunft der Pressestelle der UdK aus gesundheitlichen Gründen jedoch nicht anwesend war, hatte er Paul-Olivier Dehaye (Mathematiker, Universität Zürich, und Datenschutz-Aktivist) als Vertretung benannt, der bei den Recherchen, die in den Artikel für Das Magazin eingeflossen sind, massgeblich beteiligt war. Deshalb fand im Rahmen der Tagung ein Skype-Gespräch zu Big Data und Trump-Wahl mit Dehaye statt.

Die auf der Berliner Konferenz geäusserte Bestürzung begründete sich nicht zuletzt in einem Paradigmenwechsel des Internets. Das Lieblingsmedium von Künstlern und Intellektuellen offenbart in den letzten zehn Jahren ein antidemokratisches und antiaufklärerisches Potenzial. Es erwecke den Anschein, dass wir gerade dabei sind, die Grundlagen unseres Gesellschaftsvertrags, die Werkzeuge der Aufklärung, der Logik, der Erkenntnis zu verlieren, ohne es zu merken, so Heiser.

Die Referenten legten in ihren Analysen dar, dass es soziale Netzwerke, Blogs u.ä. seien, die Rechtspopulisten einen sich selbst verstärkenden Resonanzraum böten und mit krassen Lügen – Fake News – und Manipulationen den Boden für rechten Populismus, Fremden- und Minderheitenhass bereiteten. Robin van den Akker analysierte die Social Media Präsenz des niederländischen Rechtspopulisten Geert Wilders. Barbara Casavecchia zeigte die wirtschaftliche Verbindung zwischen dem Anführer der italienischen Fünfsternebewegung Beppe Grillo und dem Internetstrategen und Medienmogul Gianroberto Casaleggio. Susan Neiman, Moralphilosophin aus den USA, stellte dar, wie selbstverstärkend extreme Lügen «Hillary Clinton betreibt einen Kinderpornografie-Ring» im Netz und in der Realität wirken.
 

Was tun?

Was können Künstlerinnen, Künstler und Intellektuelle tun angesichts des Siegeszugs des Rechtspopulismus? Vor allem: die Situation ernst nehmen. Und: Sich Klarheit verschaffen. Transparenz fordern, vor allem Transparenz von den Internet-Konzernen im Umgang mit Big Data. Medienkompetenz aufbauen. Unabhängige und vertrauenswürdige Medien schaffen. Susan Neiman plädierte leidenschaftlich für eine neue Moral der Kommunikation, die auf Klarheit, Komplexität und Verantwortung beruht. Robin van den Akker schlug vor, die Mittel und Methoden der Rechtspopulisten zu nutzen, um einen linken oder ethischen Populismus aufzubauen.

Sind das realistische Handlungsoptionen oder eher ein Ausdruck von Hilflosigkeit? Mit den Antworten muss man sich nicht zufrieden geben, aber es war richtig, dass die Fragen gestellt wurden. Der alarmierende Grundton der Konferenz ist wohl angebracht. Wir stehen bei der Nutzung der neuen Technologien erst ganz am Anfang und es gab keine Lernphase.
 

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