Allerneueste Musik auf dem Prüfstand

Vom 16. bis 19. Februar 2017 fand die erste Ausgabe der hochdotierten Basel Composition Competition statt. Das Kammerorchester Basel und das Sinfonieorchester Basel führten die zehn Werke auf, die es ins Finale geschafft hatten. Prämiert wurden Kompositionen aus Mexiko, Italien und Südkorea.

Erster Preis 2017 für Victor Ibarra. Foto: Benno Hunziker

 

Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, herausragende zeitgenössische Kompositionen zu prämieren: In den USA zeichnet etwa der Grawemeyer Award for Music Composition jährlich ein Werk, das bereits existiert und schon aufgeführt oder aufgenommen wurde, mit 100 000 Dollar aus. Naheliegend ist es aber auch, einen Kompositionswettbewerb zu veranstalten, der den Teilnehmern Besetzung und Werkdauer vorschreibt und etwa einer Nationalität oder bestimmten Altersgruppen oder Geschlechtern vorbehalten ist.

Es war die Idee von Christoph Müller, einem der rührigsten Schweizer Konzertmanager, mit der Basel Composition Competition (BCC) einen Wettbewerb für höchstens 20-minütige, noch nicht aufgeführte Werke für Kammer- oder Sinfonieorchester ins Leben zu rufen. Organisiert wurde die BCC von Müllers Agentur Artistic Management GmbH. Die Basler Paul-Sacher-Stiftung stellte ihr Know-how zur Verfügung, ohne den Wettbewerb allerdings finanziell zu unterstützen, was mit ihrem Stiftungszweck nicht zu vereinbaren gewesen wäre. Auch von der öffentlichen Hand wurde die Competition nicht subventioniert, vielmehr wurde die Finanzierung von Privatpersonen und Stiftungen übernommen. Das hohe Preisgeld von 100 000 Franken – aufgeteilt auf 60 000 Franken für das erstplatzierte, 25 000 Franken für das zweitplatzierte und 15 000 Franken für das drittplatzierte Werk – war bestimmt mit ein Grund, dass rund 450 Werke eingereicht wurden, eine Zahl, von der auch der Veranstalter überrascht war.

150 aus 450

Christoph Müller und seinen Mitstreitern gelang es, eine Wettbewerbsjury mit einigen klingenden Namen zusammenzustellen. Als Mitglieder waren Wolfgang Rihm (Präsident), Felix Meyer, Direktor der Paul-Sacher-Stiftung, Oliver Knussen, einer der führenden englischen Komponisten und Dirigenten, der Schweizer Komponist Michael Jarrell, Professor in Wien, Matthias Arter, Solo-Oboist im Kammerorchester Basel, und Soyoung Yoon, 1. Konzertmeisterin des Sinfonieorchesters Basel, vorgesehen. Rihm und Knussen konnten leider aus Krankheitsgründen nicht teilnehmen. In letzter Minute konnte mit dem Österreicher Georg Friedrich Haas, der heute in New York tätig ist, ein weiterer wichtiger zeitgenössischer Komponist als Jurymitglied gewonnen werden, während Michael Jarrell den Vorsitz übernahm.

Nicht unproblematisch ist die Tatsache, dass ein einzelner Komponist, der Basler Andrea Scartazzini, kein eigentliches Jurymitglied, die 450 Einsendungen auf 150 reduzierte, die der Jury vorgelegt wurden. Obwohl Christoph Müller kein Hehl daraus macht, dass der Jurypräsident die Ästhetik der ausgewählten und prämierten Werke definiert, ist es erstaunlich, dass von den in den drei Wettbewerbskonzerten aufgeführten Werken keines aus den USA, Grossbritannien, Frankreich, Finnland oder einem osteuropäischen Staat stammte, obwohl Kompositionen aus diesen Ländern weltweit einen sehr bedeutenden Anteil an aufgeführter zeitgenössischer Musik ausmachen.

10 aus 150

Für den Zuhörer oder die Zuhörerin war es in jedem Fall ein lohnendes, wenn auch anstrengendes Unterfangen, die Konzerte im grossen Foyer des Theaters Basel zu verfolgen. Die Musikstadt Basel kann stolz darauf sein, dass es hier mit dem Kammerorchester Basel (KOB) und dem Sinfonieorchester Basel (SOB) zwei Ensembles gibt, die auch die kompliziertesten modernen Partituren zum Klingen bringen können. Einen bedeutenden Anteil an der wohlvorbereiteten Interpretation der zehn ausgewählten Stücke hatten die beiden Dirigenten Franck Ollu, der sieben Werke mit dem KOB, und Francesc Prat, der drei Werke mit dem SOB einstudiert hatte.

Die BCC wünschte, dass die Komponistin und die Komponisten jeweils eine kurze Einführung in ihr Werk gaben, ausserdem wurden im informativen Programmheft Werkbeschreibungen abgedruckt. Einmal mehr stellte sich aber heraus, dass es den meisten Autoren nicht gegeben ist, sich verständlich über ihr Werk zu äussern, und die publizierten Texte oft nicht frei von unbeabsichtigter Komik sind. Eine hervorragende Idee der Veranstalter war es hingegen, dass die Komponistin und die Komponisten im Vorfeld Schulklassen in ihr Werk einführten und so vermutlich den Jugendlichen einen besonders authentischen Zugang vermitteln konnten.

3 aus 10

An der letzten Wettbewerbsveranstaltung am Sonntagmorgen spielten beide Orchester vor nun etwas grösserem Publikum die drei preisgekrönten Stücke. Wie immer war es interessant, den Werken ein zweites Mal zu begegnen, wenn es auch nicht unbedingt diejenigen Kompositionen waren, denen ich die grössten Chancen eingeräumt hatte. Michael Jarrell meinte bei der Preisverleihung, es sei für ein Mal nicht schwierig gewesen, die Reihenfolge unter den ersten drei festzulegen. Den 1. Preis der Basel Composition Competition gewann der 1978 geborene Mexikaner Víctor Ibarra mit In Memoriam, inspiriert durch ein Werk des katalanischen Malers Antoni Tàpies sowie den Tod seiner Mutter und die Geburt seines ersten Sohns. Das expressive Werk, in dem der Komponist «die Gegensätze, die unser Leben prägen: Anfang und Ende, Freude und Leid, Fülle und Leere, Leben und Tod …» thematisiert, scheint mir mit seinen Holzbläser-Mehrklängen, dem ausgiebig eingesetzten Schlagzeug und kräftigen Blech eher ein Beispiel der Mainstream-Moderne zu sein, das mit seiner relativ aufwendigen Besetzung geringe Chancen haben wird, in Zukunft häufig aufgeführt zu werden. Ähnliches muss man über After Last October sagen, das den 2. Preis erhielt. Geschrieben hat es Pasquale Corrado, 1979 in Süditalien geboren, der wie Ibarra von einem Kunstwerk (der Estasi di santa Cecilia von Raffael) und ebenfalls von der Geburt seines Kindes zu seiner Komposition angeregt wurde. Das Stück ist ein eher formloses Klangkontinuum mit interessanten Schlagzeugklängen, das man sich gerne anhört, ohne davon wirklich fasziniert zu sein. Hannah Hanbiel Choi, eine 1982 in Seoul in Südkorea geborene Komponistin, die heute in Berlin lebt, gewann den 3. Preis. Ihr Hide and Seek war das einzige der drei Stücke, das in der Wiederholung sogar noch besser wirkte als bei der ersten Aufführung. Die relativ schlichte Konzeption, zwei deutlich unterscheidbare musikalische Materialien erscheinen und verschwinden zu lassen und sie permanent zu verändern, wird durch eine originelle Instrumentation, die alle Instrumentengruppen berücksichtigt, zu einem wirklichen Hörvergnügen.

Unter den sieben Werken, die es nicht in das Finale schafften, waren neben naiven, braven, ermüdenden oder effekthascherischen Stücken zwei Kompositionen, die weitere Aufführungen verdienen würden. Zum einen Die Bewegung der Zeit des Mexikaners Juan de Dios Magdaleno (*1984), das durch seinen Fragmentcharakter, seinen schönen Orchesterklang und sphärische Klänge am Schluss auffiel, sowie Simulacrum von Henrik Denerin aus Schweden (*1978), dessen artifizielle und gläserne Klänge, Transparenz und aufgefächerte Instrumentation aufhorchen liessen.

Insgesamt kann von einem gelungenen ersten Jahrgang der Basel Composition Competition gesprochen werden. Sofern die Finanzierung zustande kommt, ist es geplant, den Wettbewerb alle zwei Jahre stattfinden zu lassen. Wenn er dazu beitragen kann, die Akzeptanz für allerneuste Musik zu vergrössern, hat er sein Ziel auf jeden Fall erreicht.

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