Clash! oder Mash?

Die 71. Frühjahrstagung des Instituts für Neue Musik und Musikerziehung in Darmstadt bestätigte: «Die Kunstwerke, die wir produzieren, müssen alle Blicke aushalten.»

Das Ensemble Modern spielt Heiner Goebbels «Herakles 2» (Foto: Christoph Rau/INMM, Darmstadt),Foto: Christoph Rau/INMM, Darmstadt

Konflikte, Differenzen, Widersprüche, Reibungen, Wut, Krieg, Versöhnung, Integration, Aneignung – unter dem Motto clash!(?) thematisierte die Darmstädter Frühjahrstagung des Instituts für Neue Musik und Musikerziehung in Darmstadt (INMM) den spannungsreichen Umgang mit Kulturen und Identitäten, aber vor allem auch das Aufeinanderprallen von ästhetischen Grundauffassungen (nicht nur) in der Gegenwartsmusik.

Samuel Huntingtons wegweisender Text The Clash of Civilization (1996) schwebte im Raum, aber das Tagungsmotto beinhaltete weit mehr. Denn längst steht die zeitgenössische Musik nicht mehr im Zeichen des Entweder-oder, sondern vielmehr des Sowohl-als-auch. In hybriden Mischformen verschmelzen gegensätzliche Gattungen, Formate, Medien und Materialien zu etwas Neuem und stehen dabei zuweilen in Opposition zu traditionelleren Ansätzen. Konfliktpotenziale aus Politik und Gesellschaft, aber auch Alltagsbezüge werden in der Musik von heute auf unterschiedlichste Weise erfahrbar.

Im Anschluss an ein dichtes Einstiegsreferat von Jörn Peter Hiekel wurden in vier Themenblöcken solche Spannungsfelder anhand der Überschriften Hybride Identitäten, innere Clashes, Clashes der Generationen oder räumliche Clashes diskutiert. Nebst zahlreichen internationalen Gästen aus Musikwissenschaft, Philosophie, Kunst- und Medientheorie kamen an Lectures und Konzerten die Komponistinnen und Komponisten Heinrich Goebbels, Sergej Newski, Joanna Bailie, Johannes Kreidler, Sandeep Baghwati und Sarah Nemtsov zu Gehör.
 

Jenseits von Schubladen

An Werken Giaconto Scelsis und Horaţiu Rădulescus machte der Bratschist Vincent Royer im eröffnenden Gesprächskonzert deutlich, wie im Abseits – unter den Stichworten «sphärischer Klang» oder «Spektralismus» – unverwechselbare Individualstile entstanden sind. Als Gegenmodelle hätten sich diese im Kontrast, wenn nicht gar Clash zum zeitprägenden Serialismus, behaupten müssen.

Sandeep Baghwati fand, analog dazu, erst aus der Distanz zur europäischen Neuen Musik, in Kanada, zu seinem Ansatz der «mehrköpfigen Kreativität». «Ich wollte immer stärker mit wunderbaren Musikern arbeiten, als wunderbare Musik machen», meinte Baghwati. In seinen kollaborativen Arbeiten gehen dabei der Clash des Zusammentreffens aller Beteiligten und das Auflösen der Komponistenautorschaft Hand in Hand. An Projekten wie Sound of Montreal und Matralab, in denen Musiker aus verschiedenen Kultur- oder Traditionsräumen gemeinsam zu neuen Formen finden, erklärte er sein Modell des trans-traditionellen Musizierens.

«Es ist nicht so, dass ich Popmusik als etwas mir Fremdes zitiere, sondern es kommt alles in mir zusammen», äusserte Sarah Nemtsov. Nicht Clash, sondern Fusion steht für sie im Zentrum, was sich an White eyes erased (2014/15), interpretiert vom Ensemble Mosaik, deutlich hören liess. Für Nemtsov sind Wurzeln vielmehr gewachsene Gegenwart als Vergangenheit. Mit Orte-Mekomot stellte sie in ihrem Vortrag ein Projekt vor, das sich der Verbindung von zeitgenössischer Musik mit alten jüdischen Gesängen widmete. Nicht einfach sei es gewesen, sich anschliessend in der Wahrnehmung der Neuen Musikszene «aus der Schublade zu befreien». Denn der Grat zwischen Hierarchisierung und Stigmatisierung sei schmal.
 

Aktion oder Reaktion?

Wie nicht wenige andere Referenten sieht auch Rainer Nonnenmann in den Werken der Komponistengeneration der Digital Natives, deren Musik einen weiteren Schwerpunkt bildete, vielmehr (fruchtbaren) Mash als (sperrigen) Clash. Dass hingegen neue Strömungen oft durch Komponierende mit Labels versehen werden, drücke primär die Zugehörigkeit zu Erlebnis- und Erfahrungsgemeinschaften aus und könne nach wie vor auch Ausgrenzungen mit sich bringen.

Johannes Kreidler brachte dann als Clash in persona eine der Grundideen der Tagung ins Spiel, nämlich die Diskussionskultur in der Neuen Musik zu hinterfragen. Mit eloquenten Seitenhieben, unterlegt durch schlaue Zitate (Brecht: «Wo besser verdient wird, da sind die Menschen freundlicher zueinander»), polarisierte er heftig. Was an der Debatte nun Aktion, was Reaktion war, und ob Person und Werk als eins (Mash) oder doch besser getrennt zu betrachten sind, bleibt den Zuhörern selbst überlassen, denn Kreidler, der sich auch als Konzeptkünstler versteht, inszeniert oftmals dezidiert Kontroversen. Dass er mit seinem am Vorabend vom Ensemble Mosaik gegebenen Stück Fremdarbeit (2009) ebenso spielerisch eine grundsätzliche Globalisierungskritik vornimmt und dadurch eine klare Haltung in Fragen der Weltpolitik zeigt, ist ihm auf jeden Fall positiv anzurechnen.

Eine pointiert kritische Haltung zeigte auch Martin Scherzinger (New York): Anhand eines Forschungsprojekts schilderte er das konsequente Weglassen der Musikpraxis nicht-westlicher Zentren in der westlich-abendländisch geprägten Musikgeschichtsschreibung. Sogar in der Entwicklung heutiger Musik-Software für eine vermeintlich genderflexible Mash-Gesellschaft setze sich diese Tendenz fort. Algorithmen seien von einem euro-genetischen industriellen Habitus geprägt und erfassten beispielsweise eine elastisch geprägte Rhythmizität afrikanischen oder indischen Charakters nicht – sein Fazit: «White supremacy has now found a new way.»
 

Image
Heiner Goebbels

«Es ist tatsächlich so, dass ich zum ersten Mal in Darmstadt bin, ob das nun Zufall oder Ironie ist», stellte Heiner Goebbels zu Beginn seines Vortrages fest. Augenfälliger zeigen sich Grenzen zwischen Sparten und Institutionen, die auch ein Konfliktpotenzial beinhalten, selten, denn Goebbels wird weitaus stärker im Theater- als im Musikkontext wahrgenommen. Sein vielfältiges kompositorisches Œuvre verbindet Musik, Szene, Video, Text und Requisiten zu einem vielstimmigen Ganzen und bewegt sich zwischen allen Gattungen. Goebbels stellt dabei die einzelnen Elemente in ihrer Unvereinbarkeit nebeneinander, ohne sie zu verschmelzen – Clash im Sinne von Transparenz und Koexistenz steht im Zentrum. Aus der Stimmpolyfonie entsteht erst im Betrachter, dem eigentlichen Protagonisten, eine individuelle Lesart. «Die Kunstwerke, die wir produzieren, müssen alle Blicke aushalten», so Goebbels.

Im abschliessenden Konzert, kraftvoll interpretiert von Mitgliedern des Ensemble Modern, hielten die Werke Surrogate (1994/2015) und Herakles 2 (1991) Ohren wie Blicken bestens stand.
 

Link zum

Das könnte Sie auch interessieren