Musikalisches im Visuellen

Das Centre d’art Pasquart in Biel zeigt bildende Kunstwerke, die die Grenze zur Musik überschreiten – und einige Ausnahmen in umgekehrter Richtung.

Hiromi Ishii: Refraction, 2010. (Bild: Pasquart / © Hiromi Ishii)

Flächen verschieben sich; Quadrate crescendieren und diminuieren, in der Abfolge bilden sich Rhythmen, und während man Hans Richters kurzen abstrakten Schwarz-Weiss-Film Rhythmus 21 betrachtet, beginnt es in einem drinnen zu klingen. Dieses Pionierwerk von 1921, bei dem der Regisseur Robert Wilson wohl so manches für seine Bühnenbilder abgeguckt hat, ist die Ouvertüre zur Ausstellung extended compositions – und sie öffnet einem sogleich ein enorm weites Feld. Thema ist «das Beziehungsgeflecht zwischen bildender Kunst und Musik in der strukturellen Verzahnung beider Ausdrucksformen», wie das so schön auf Kuratorendeutsch heisst. Eine erste Version davon war bereits 2015 im Kunstquartier Bethanien in Berlin zu sehen; die Künstlerin Ellen Fellmann hat die schöne Auswahl aus Werken des 20. und 21. Jahrhunderts für Biel nun noch erweitert. Da gibt es Objekte, die von Partituren oder Schallplatten inspiriert sind: Die Schweizerin Silva Reichwein etwa montierte kleine Leinwände auf einem Plattenteller, liess ihn drehen und schuf so präzise Kreisbilder; in anderen Gemälden setzte sie – vergleichbar dem Zürcher Konstruktiven Richard Paul Lohse – Farbrechtecke in ständig permutierten Abfolgen auf die Fläche, serielle Bildmusik also. Anders ging Samuel Beckett in seinen stummen Fernsehfilmen Quadrat I–II vor, in denen er die Bewegungen der Figuren kanonartig führte und so rhythmisierte. Die Japanerin Hiromi Ishii wiederum kombiniert irisierende Bildflächen mit elektronischen Klängen. Zu den bestechendsten Arbeiten gehört die Film-Sound-Installation Longing der Iranerin Raha Raissnia. Sie trug eine laufende Kamera mit sich herum, ohne durchs Objektiv zu schauen, und nahm so verschwommene Bilder aus dem Alltag mit, die sie schnitt und nun projiziert. Dazu erklingt eine geräuschreiche, droneartige und momentweise orientalisch angehauchte Tonspur, in einer scheinbar losen Verbindung, aber gerade dadurch eindringlich.

So lassen sich aus zahlreichen Werken und Installationen (andere stammen von Bruce Naumann, Bill Viola, Simeon Sigg, Samuel Emde, Christoph Girardet/Matthias Müller und der Kuratorin selber) Anregungen holen, gerade für Musiker, denn der Ausgangspunkt ist denn doch die bildende Kunst und der Wunsch von Künstlern, musikalische Kategorien mitzubedenken. Das «extended» im Titel bezieht sich also eher auf das Bildhafte. Fast alle Versuche von Komponisten, grafische Elemente einzubeziehen und die Grenze zum Visuellen ihrerseits zu überschreiten, fehlen: John Cage, Earle Brown, Sylvano Bussotti, Roman Haubenstock-Ramati, Anestis Logothetis, aber auch alle Schweizer Experimentatoren wie etwa jene des Ensembles Neue Horizonte Bern. Es hätte den Rahmen wohl schlicht gesprengt. Das Gesamtkonzept ist eher unverbindlich; die einzelnen Kunstwerke stehen für sich und beleuchten einander nur gering, aber die Vielfalt ist doch höchst erlebenswert, und einige Exponate beginnen tatsächlich in einem zu klingen und nachzuklingen.

Den Schluss- und einen Höhepunkt setzt ein Musikwerk, das von der Kanadierin Janet Cardiff eindrücklich und mit achtungsvoller Zurückhaltung im Raum inszeniert wird: Thomas Tallis’ vierzigstimmiges Spem in alium, eines der gigantischen Werke der Musikgeschichte. Statt vierzig Sängern sind hier vierzig Lautsprecher in acht Fünfergruppen im Kreis verteilt. Aus jedem hört man eine Stimme, und so wird diese allzu selten aufgeführte, schwierige Musik (trotz einiger Intonationstrübungen des Salisbury Cathedral Choir) zu einem grandiosen sinnlichen Raumerlebnis.

 

Extended Compositions; Biel, Centre d’art Pasquart, bis 11. Juni 2017
 

www.pasquart.ch/event/extended-compositions
 

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