Bitch oder Selbstausbeuterin

Mit dem Empowerment Day rückt der Verein Helvetia rockt der Geschlechterungleichheit im Bereich Popularmusik zu Leibe. Am 17. und 18. Juni 2017 fand im Progr und im Frauenraum Bern die zweite Ausgabe statt.

Illustration: Ausschnitt aus dem Programmflyer des Empowerment Days

Jährlich kehrt er nun wieder, man darf sicherlich erwarten, dass er zur Gewohnheit wird: der Gleichstellungstag der Schweizer Musikbranche, der Empowerment Day. Als Veranstalter haben sich Helvetia rockt, das Schweizer Musiksyndikat, der Rockförderverein Basel sowie Musikschaffende Schweiz zusammengefunden, um sich – wie es in der Ankündigung heisst – «mit der Präsenz, dem Status und dem Anteil der Frauen und Männer in der Schweizer Jazz- und Pop-Musikszene» auseinanderzusetzen. Das Ziel: «Entwicklung von konkreten, umsetzbaren Lösungen für den Veränderungsprozess». Das und auch die Formate sind überaus ansprechend: Konzerte von Bands aus dem Nachwuchsförderprogramm von Helvetia rockt, Netzwerktreffen, Diskussionen und zahlreiche, auch zeitgleich veranstaltete Workshops ergänzen sich gekonnt; Themen wie Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Strategien gegen Sexismus im Netz, Überlegungen zu Fallstricken des Empowerment-Konzepts, Gefässe gendergerechter finanzieller Förderung und humanes Handeln im Musikbusiness beziehen gleichermassen Musikerinnen und Musiker, ihr familiäres und professionelles Umfeld, aber auch Medienschaffende und Förderstellen in die Arbeit ein. Ein wohldurchdachtes Rundumpaket, austariert zwischen Musik und Text, Produktion und Rezeption, Arbeit und Vergnügen. Und ein hoher Anspruch an sich selbst, diese komplexen Themen geballt und ergebnisorientiert verhandeln zu wollen.

Enger Handlungsspielraum

Die beiden besuchten Workshops zu Empowering – Klischees, Fallstricke und Chancen sowie Gendergerechter Förderung leben vor allem durch den Erfahrungsaustausch der «direkt Betroffenen» im Publikum. Und man staunt (im erstgenannten Workshop), wie eng der Handlungsspielraum für Musikerinnen in der Popularbranche immer noch ist: Gehen sie zu den späten After-Event-Parties, auf denen die Gigs ausgehandelt werden, kommen die Frauen in den Ruf, sich Auftritte zu erflirten oder zu erschlafen. Tun sie es nicht, auch weil sie keine Lust auf Männerseilschaften haben, wird es schwierig, überhaupt zum Zug zu kommen. Verhalten sie sich in Gage-Verhandlungen hart und fordernd, wird ihnen Arroganz nachgesagt und schnell wird man «menschlich schwierig» und zur «Bitch». Stellen sie ihr Licht, angeblich schön weiblich, unter den Scheffel, werden wir wohl noch recht lange einen Equal Pay Day veranstalten müssen. Und es ist eine Ermüdung spürbar: Sich immer wieder, ausgesprochener oder unausgesprochener, Geschlechterdiskriminierung stellen zu müssen, sie zu verbalisieren, gegen sie anzudiskutieren führt zu Frustration. Nicht zuletzt auch, weil die Genderthemen in der LGBT-Szene inzwischen viel weiter aufgefächert wurden; weil wir zu wissen glauben, dass Diskriminierung nicht nur auf dem geschlechtlich Anderen beruht, sondern immer mehrere Faktoren zusammenspielen. Ein wenig ratlos steht man gemeinsam vor der Kluft zwischen Erfahrungsberichten, die in die Anfänge der Frauenbewegung zu weisen scheinen: Männerwelt und Machobünde; und dem Wissen darüber, wie es eigentlich und legal sein sollte.

Fehlende Instrumente

Beim Workshop zu gendergerechter Förderung ergab sich ein grundlegend anderes Problem: Während es zur Geschlechterverteilung in der Schweizer Konzert- und Festivalszene inzwischen Statistiken gibt (laut Veranstalterin Yvonne Meyer liegt der Frauenanteil auf der Bühne bei 10 bis 20 Prozent), ist es vollkommen unklar, wie gross der Anteil an Frauen ist, die Gelder für ihre Pop-Projekte in der Schweiz bewilligt bekommen. Die angesprochenen Forderungen nach einer zeitlich begrenzten Geschlechterquote in der Förderung, nach familienfreundlichen Eingabeterminen für Gesuche, nach Ethikrichtlinien für Zusammensetzung und Amtsdauer in Kommissionen, nach nicht ausschliesslich ergebnisorientierter Förderung auch von «Auszeiten» schwebten im luftleeren Raum. So dringlich sie auch sein mögen, ihre tatsächliche Relevanz ist schwer nachzuweisen. Selbst darüber, ob es in der Schweiz bereits spezifische Mittel der Frauenförderung gibt oder geben sollte, herrschte Uneinigkeit – während es in der staatlich unterstützten Wissenschaftsförderung diese Gefässe, Statistiken und Massnahmen bereits seit Längerem gibt.

Fazit

Was bleibt? Reichlich Diskussionsgrundlage dazu, wie Empowerment aussehen könnte, ohne selbst Geschlechterklischees festzuschreiben; viele, auch theoretische, dringliche Arbeitsfelder; und die Notwendigkeit der Vernetzung über die eigenen Wirkungskreise hinaus. Stoff für die kommenden Jahrgänge, die mit engerem Fokus vielleicht auch konkreter wirken können. Es ist bitternötig.

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