Marienversper für den Kantichor

Cristoforo Spagnuolo hat mit dem Chor der Kantonsschule Wettingen Monteverdis Marienvesper aufgeführt. Die Einstudierung ist im Film «Monteverdi für die Insel» dokumentiert.

Screenshot aus dem Film. Foto: Arthur Spirk,Foto: Arthur Spirk

Viele Kantonsschulen in der Schweiz wagen mit ihren 12- bis 18-jährigen Schülerinnen und Schülern ambitiöse Musikprojekte. Manch begeisterndes Resultat kann man dann im Konzert geniessen. Oft sind Chöre involviert, und man erlebt beliebte Werke wie Carmina Burana oder Mozarts Requiem, gesungen von jungen Menschen voll enthusiastischem Elan, begleitet vom Schulorchester.

Es gibt aber auch anderes, erinnert sei etwa an das Projekt des Kammerorchesters Basel in der Elisabethenkirche Basel, bei dem Chöre aus Muttenz involviert waren. Die szenische Aufführung galt Honeggers komplexem Oratorium La Danse des Morts, gekoppelt mit Purcells Funeral Music for Queen Mary. Mit Purcell wollte Chorleiter Christoph Huldi den Jugendlichen auch noch einfachere Chormusik bieten, um sie «bei der Stange zu halten». (Anm. d. Red.: siehe Bericht in der Ausgabe 7/8 online)

Nicht so der Schulmusiker und Dirigent Cristoforo Spagnuolo, der seinen Schülerinnen und Schülern der Kantonsschule Wettingen alles abverlangt. In diesem Jahr war es Monteverdis Marienvesper, die zum 450. Geburtstag des Komponisten aufgeführt wurde. Neben dem Jubiläum begründete Spagnuolo seine Wahl auch damit, er würde dieses Werk auf die berühmte «einsame Insel» mitnehmen, da es in sinnlicher wie geistiger Hinsicht ein enorm breites Spektrum an Bedürfnissen abdecke, die man an Musik haben könne. Es aufs Programm zu setzen, bleibt eine ziemlich verwegene Idee, denn bei diesem Monument der frühen Chorliteratur, diesem rhythmisch wie intonatorisch schwierigen Werk, ist nicht nur das «Zusammenklingen» delikat, sondern auch noch die historische Aufführungspraxis extrem wichtig und für viele neu. Cristoforo Spagnuolo ist aber bekannt dafür, dass ihm kein Werk zu schwierig erscheint, um es zu «erobern». Trotz des sehr hohen Anspruchs an die Ausführenden, die durch das Profiorchester Le Fiamme und Berufssolisten ergänzt waren, konnten sich die Konzerte diesen Mai mehr als nur hören lassen.
 

Gefilmte Knochenarbeit

Meistens erlebt man als Publikum lediglich das Resultat monatelanger Probenarbeit, welche die Jugendlichen gleichermassen fordert wie das leitende Lehrpersonal. Hier aber begleitete der auf dokumentarische Filme spezialisierte Regisseur und Filmer Arthur Spirk die Erarbeitung der «Wettinger Marienvesper» und stellte dem Projekt die Frage voran: «Was ist nachhaltiger: eine hochkarätige Aufführung von Monteverdis Marienvesper am Lucerne Festival … oder die Aufführung dieses Meisterwerks durch einen Kantonsschulchor, im Zusammenspiel mit professionellen Solisten und Instrumental-Spezialisten?»

Angesichts des ambitiösen Werks war man umso gespannter, was Arthur Spirk in seinem rund 70-minütigen Dokumentarfilm über die Erarbeitung zusammengetragen hat. Was interessiert den Filmer am Blick hinter die Kulissen, und welche Schwerpunkte setzt er? Besonders brisant zu erfahren ist, ob es gelingt, die Ohrstöpsel-tragende Smartphone-Generation – so das gängige Klischee – für eine über 400 Jahre alte Musik zu begeistern, welche sie überhaupt nicht kennen.

Gerade hier gibt der Film überraschende Aufschlüsse. In den dreizehn Kapiteln sind immer wieder Probesequenzen zu sehen, die im Übrigen nicht einfach wunderschön «rein» klingen, sondern auch mal sehr quer und falsch daherkommen. Darin eingestreut finden sich etliche Porträts beteiligter Schülerinnen und Schüler, die beeindruckende Einsichten ermöglichen.

Da ist etwa ein in Papua Neuguinea aufgewachsener junger Mann, der in seiner Freizeit zur Lautenbegleitung mit Inbrunst Lieder singt. Oder die junge Frau, bei der Eltern wie Geschwister ein Instrument spielen, und für die Musik einfach zum Alltag gehört. Noch überraschender der junge Jazzer am Schlagzeug, der mit Monteverdi das Singen entdeckt hat und deshalb nach der Matura Gesang studieren möchte. Es ist eine musikalische Kanti-Elite, die Spagnuolo für die Marienvesper begeisterte. Das Werk ist viel zu schwierig, als dass alle hätten mitmachen können, wie er selber zugibt.

Spirk hat einen abwechslungs- und aufschlussreichen Dokumentarfilm geschaffen, der starke Momente zu Proben und Befindlichkeiten eingefangen hat. Überraschend etwa, dass der Beizug von Profis nicht nur geschätzt wurde. Die zentrale Sequenz, die Chorwoche im Aarbergerhaus Ligerz, bei der bis zu zehnstündige Proben angesetzt waren, kommt allerdings zu brav daher. «Vor Ligerz war mein Verzweiflungsgrad sehr hoch», kommentiert Spagnuolo im Nachhinein seine damalige Seelenlage. Spirk hat das drohende Scheitern nicht live dokumentiert.

Dies gilt auch für die Jugendlichen, die eigentlich immer in die Kamera lächeln und ganz zufrieden sind, auch wenn sie von den Probemühsalen sprechen. Schade, dass die Momente der Verzweiflung, die gerade bei solchen «Kamikaze-Projekten» auftreten (müssen), und die Knochenarbeit zu wenig gegenwärtig sind. Trotzdem, wenn am Schluss des Films einige Sequenzen der Aufführung in der pittoresken Klosterkirche Wettingen zu sehen und hören sind mit den strahlenden Gesichtern der Singenden, dann ist das ein berührender Moment.
 

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Screenshot aus dem Film
Schlusskonzert in der Klosterkirche Wettingen

Der Film ist an folgenden Tagen im Kino zu sehen
Kino Orient in Wettingen
7. Nov. 2017, 19.30 Uhr (Première); 9. Nov. 20.00 Uhr; 12. Nov. 16.00 Uhr; 19. Nov. 16.00 Uhr
 

Cinema Odeon in Brugg
11. Nov. 11.00 Uhr; 18. Nov. 11.00 Uhr.

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