Musik wie ein Bild von Mondrian

Das Kunstmuseum Solothurn zeigt bis am 4. Februar 2018 die grafischen Partituren Hermann Meiers. Am 2. Dezember sind einige Werke zu hören.

«Stück für grosses Orchester», 1960. © Paul Sacher Stiftung, Basel, Sammlung Hermann Meier

«Ich muss Ihnen gestehen, dass ich dieses Konzerts wegen schlecht zweg bin. Ich zittere davor. Hab Angstträume. Leberbeschwerden. Kann nicht mal Wein trinken. Fürchterlich. Dieses Konzert wird sicher mein letztes sein.» So schrieb der Solothurner Komponist Hermann Meier (1906–2002) am 31. Januar 1984 an den Pianisten Urs Peter Schneider, der sich immer wieder und als einer der ersten für sein Œuvre einsetzte.

Wie wäre es Meier wohl ergangen, wenn er gewusst hätte, dass sich die Leute bei der Vernissage in der Eingangshalle eines Kunstmuseums drängen würden, um seine Partituren, Skizzen, Zeichnungen und Pläne zu betrachten? Und dass das Sinfonie Orchester Biel Solothurn unter Kaspar Zehnder in einem anschliessenden Konzert in der Solothurner Franziskanerkirche sein Orchesterstück Nr. 6 von 1957 aufführen würde, mitten hineingesetzt zwischen die Sätze von Beethovens Vierter? Wie wäre er sich vorgekommen, der sich selber – in einem wahrscheinlich nie abgeschickten Gruss an den Lehrer Wladimir Vogel – als «das kleine Hänschen» bezeichnete?
 

Hermann Meier mag all jenen als Beweis gelten, die schon immer wussten, dass die wahre Kunst fernab der Zentren und ihrer Betriebsamkeit entsteht. Die Schweiz hat einige von dieser Spezies aufzuweisen, man denke nur an den Zofinger Alfred Wälchli oder die Künstler der Art brut. Meier ist ja immer noch nahezu unbekannt, dieser «Schönberg aus dem Schwarzbubenland», wobei man ihn mit Schönberg ein wenig in die falsche Ecke drängt. Gewiss entdeckte er früh die Atonalität für sich, und gewiss hat er sich bei Vogel in die Zwölftontechnik eingearbeitet, aber so gern und streng angewandt hat er sie offenbar nicht, und wenn man seine Kompositionen hört, versteht man auch warum. Diese Musik ist eher auf klangliche Massen ausgerichtet, die sich herb nebeneinanderstellen, mit vielen Pausen, sehr eigen und kompromisslos. Eher ist er ein helvetischer Ustwolski, ein erratischer Block, im Hauptberuf Primarlehrer in Zullwil.

Ein Aussenseiter mit Gespür für fundamentale Strömungen

Ein schwarzer Bube zumindest in der Musik, schroff oft und kantig, mit vielen Abgründen – und wohl auch nicht fürs Kompromisslerische geeignet. Lang tüftelte er an seinen Stücken, wie seine Skizzen und Pläne andeuten. Sie bilden das Zentrum der Solothurner Ausstellung Mondrian-Musik, die vergleichsweise wenig Musik bereithält, sondern diesen ausstellbaren Aspekt betont. Zu Recht. Denn diese «graphischen Welten des Komponisten Hermann Meier», wie der Untertitel lautet, weisen jenseits der Musik noch in ganz andere Richtungen. Es sind, ähnlich wie beim Basler Robert Strübin (1897–1965), einer weiteren Aussenseiterfigur, Augen-Musiken oder Ohren-Grafiken – und in ihrer Eigenwilligkeit und konstruktiven Strenge irgendwie typisch helvetisch: visueller Serialismus, verwandt mit den Zürcher Konkreten, mit Max Bill und Richard Paul Lohse. 1936 sprach Bill erstmals von «Konkreter Kunst», Ende der 40er-Jahre wurde Meier darauf aufmerksam. Eine tiefe Anregung waren dabei auch die Bilder Piet Mondrians. Und so schuf er zu einer Zeit in der Provinz grafische Partituren, als auch die berühmten Partituren etwa von Earle Brown, Morton Feldman und Iannis Xenakis entstanden, die längst ihren Platz in der Musikgeschichte gefunden haben. Die Paul-Sacher-Stiftung, wo der Meier-Nachlass liegt, hat zum Vergleich einige dieser Partituren beigesteuert. Ein Fund: Brown benutzte für sein epochales December 1952 ebenso wie Meier Millimeterpapier.

Vor allem dienten ihm diese Grafiken – «Grundrisse», wie Meier sie nannte – als Vorlagen für elektronische Musik, mit der er sich von 1973 bis 1983 intensiv befasste. Auch damit war er ähnlich wie Benno Ammann oder Oscar Wiggli ein in der Schweiz einsamer Pionier. Tatsächlich könnte man das jetzt alles auf den Millimeter genau zumindest in der Grafik studieren, denn leider blieben ausser den Klangschichten alle Projekte unrealisiert: Es ist Musik im imaginären Raum. Erst heute werden die Aufzeichnungen nach und nach zu Klang gebracht. Am «Konzerttag» (2. Dezember) sind einige Versionen zu hören.

Aber gerade diese Imagination fördert die Ausstellung auch. Der visuelle Gesamteindruck allein ist repräsentativ und äusserst lohnenswert. Der reichhaltige Katalog stützt sich auf Vorträge des Meier-Symposiums Das Auge komponiert letzten Januar an der Hochschule der Künste Bern (siehe Bericht von Azra Ramić auf musikzeitung.ch/de/berichte/tagungen). Der Kuratorin Michelle Ziegler ist zusammen mit den Musikwissenschaftlern Roman Brotbeck (HKB) und Heidy Zimmermann (Sacher-Stiftung) hier ein Meier-Kompendium gelungen, das hoffentlich dazu beiträgt, diese Musik bekannter zu machen.

Ziegler arbeitet zurzeit an einer Dissertation über das Klavierwerk Meiers; weitere Projekte sind am Laufen. Demnächst soll eine neue Aufnahme seiner Klaviermusik mit Dominik Blum erscheinen, und vielleicht taucht Hermann Meier denn auch gelegentlich in einem grösseren Konzert auf. Was er wohl dazu sagen würde?
 

Katalog
Heidy Zimmermann, Michelle Ziegler, Roman Brotbeck: Mondrian-Musik. Die graphischen Welten des Komponisten Hermann Meier; 223 S. mit zahlreichen Illustrationen; Zürich, Chronos Verlag, 2017.
 

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