Popmusik und Panels

Die 21. Ausgabe des m4music-Festivals wurde nicht nur von gut 6700 Musikfans, sondern auch von rund 1050 nationalen und internationalen Vertretern der Musikbranche besucht. Speziell auf diese zugeschnitten waren Panels zu Themen wie Virtual Reality, Genderquoten oder die Zukunft der Schweizer Konzertlokale.

Am Grundrezept von m4music rüttelt man auch bei der Ausgabe vom 22. bis 24. März nicht: Beim jährlichen Stelldichein der Schweizer Musikszene wird nachmittags diskutiert und abends folgt Livemusik. Das dreitägige Festival des Migros-Kulturprozents startet jeweils in Lausanne – nicht zuletzt, um den kulturellen Röstigraben zu überwinden – und zieht tags darauf in den Schiffbau nach Zürich. Dort umfasst das Konferenzprogramm zwölf Punkte, darunter der Liedwettbewerb «Demotape Clinic».

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Panel «Virtual Reality and Music». Foto: m4music/Ennio Leanza

Zeitlich und räumlich unabhängig

Weil sich diverse Panels überschneiden, gilt es auszuwählen, etwa das Thema «Virtual Reality and Music». Björn Beneditz, künstlerischer Berater der Hamburger Hip-Hop-Formation Deichkind, ist sich sicher, dass Virtual Reality (VR) die Zukunft der Livekonzerte bilden werde. Denn sie erweitere die Bühne nicht nur, sondern ermögliche auch Einblicke in den Bereich hinter der Bühne. «Zudem lassen sich dank Virtual Reality die Shows sowohl zeitlich als auch räumlich unabhängig erleben.» Dass es sich dabei um mehr als blosse Fantastereien handelt, beweisen die Aussagen von Isabel Sánchez, die als Creative Content Manager für das Montreux Jazz-Festival tätig ist. «Wir haben schon 15 Konzerte mit VR-Kameras aufgezeichnet und das Resultat war sehr, sehr eindrücklich.» Gerade, weil die bisherigen Geschäftsmodelle wegbrächen, seien Plattenlabels gegenüber innovativen Übertragungsmöglichkeiten offen. «Ich glaube auch, dass das Publikum lieber ein Headset trägt, als zuhinterst in einer Konzerthalle zu stehen.» Aus Sicht von Björn Beneditz dürfte VR insbesondere für aufstrebende Künstlerinnen und Künstler von Interesse sein, die von ihrem Heimstudio aus arbeiten und ihre Musik dank dieser Technik direkt in die Wohnungen der Fans transportieren können. «Bands, die bereits seit zwanzig Jahren erfolgreich sind, haben ein solches Vorgehen weniger nötig.»

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Panel «No Billag: Jetzt wird verdaut!». Foto: m4music/Ennio Leanza

Nicht richtig verdaut

Als wenig ergiebig entpuppt sich die Diskussionsrunde «No Billag: Jetzt wird verdaut!». Im Nachgang zur Abstimmung bezüglich der Abschaffung des Service public beharren sowohl der Zürcher SVP-Nationalrat Claudio Zanetti als auch die übrigen Podiumsteilnehmenden meist auf ihren hinlänglich bekannten Positionen. Spätestens nach Zanettis Einwurf, die hiesigen Medien würden einen klaren Linksdrall aufweisen, stagniert die Debatte. Der stellvertretende Direktor und Programmchef SRF, Hansruedi Schoch, bezeichnet den Volksentscheid als «fundamental wichtig». Das Abstimmungsergebnis habe gezeigt, dass in der Schweiz weder zwischen den Generationen noch zwischen ländlichem und urbanem Raum oder den Landesteilen ein Graben existiere. Die vielleicht wichtigste Erkenntnis fällt erst gegen Schluss, als Schoch erklärt: «Unsere Konkurrenten sind nicht Tamedia oder Ringier.» Sondern wohl eher Unternehmen wie Google oder Facebook. Doch dieser Punkt wird leider nicht mehr vertieft.

Quoten für weibliche Acts

Am frühen Samstagnachmittag dreht sich die Diskussion um «Gender, who cares?». Katja Lucker, Geschäftsführerin der Fördereinrichtung Musicboard Berlin und zugleich Direktorin des dortigen Pop-Kultur Festivals, führt in ihrem Kurzvortrag aus, wie das Musicboard mit einem Budget von 3,6 Millionen Euro im Jahr 2017 den Schwerpunkt auf die Förderung von Musikerinnen und die queere Szene legte. Es sei essenziell gewesen, dass alle zuständigen Gremien und Jurys mit einem Frauenanteil von mindestens 50 Prozent besetzt worden seien. Die Geschäftsleiterin der Koordinationsstelle Helvetiarockt, Regula Frei, weist darauf hin, dass sich in der Schweiz noch kein einziger Event zur International Keychange Initiative bekannt habe. Diese will Festivals verpflichten, ihr Programm bis 2022 mit je 50 Prozent weiblichen und männlichen Acts zu besetzen. Philippe Cornu, verantwortlich für das Musikprogramm des Berner Gurtenfestivals, spricht von einem kontrovers und europaweit diskutierten Thema und gibt zu: «Die Denkweise muss sich ändern.» Für das aktuelle Jahr habe man sich einen Anteil von 30 Prozent weiblichen Acts für das Gurtenfestival vorgenommen, erreichen werde man jedoch nur 23 Prozent.

Mittelgrosse Clubs gefährdet

Weniger strittig präsentiert sich dann die Debatte zum «Musikclub von morgen». Philippe Bischof, neuer Direktor von Pro Helvetia, meint zum Clubsterben: «Die Häuser stehen vor einer permanenten Herausforderung.» Oliver Dredge, Geschäftsleiter des KIFF in Aarau, erklärt, nicht jeder Club müsse überleben, aber: «Wichtig ist, dass jede Stadt über einen guten Veranstaltungsort verfügt.» Mittelgrosse Musiklokale wie das KIFF seien besonders gefährdet. Derartige Häuser würden oftmals viel Aufbauarbeit in neue Künstlerinnen und Künstler investieren, doch kaum hätten diese Erfolg, wanderten sie in grössere Konzerthäuser ab. Philipp Schnyder von Wartensee, Festivalleiter von m4music, ist der Ansicht, die Zukunft der Clubs liege in deren Institutionalisierung.

Angst und Depression

Mit «Rock’n’Roll and Depression» kam ein selten erörtertes Thema zur Sprache: Moderator Hanspeter «Düsi» Künzler verwies in seiner Einleitung auf eine Studie der Universität Westminster von 2016, die aufzeige, dass 71 Prozent der befragten Musikerinnen und Musiker unter Angstzuständen oder Depressionen litten. Florian Burkhardt beispielsweise, der als Autor und Musiker arbeitet, ignorierte alle Warnzeichen seines Körpers – bis er sich eines Tages in der S-Bahn nicht mehr erheben konnte. Viele Therapien später bezieht der 44-Jährige mittlerweile eine Invalidenrente und ist auf Medikamente angewiesen: «Ich habe heute bereits sechs Pillen geschluckt.» Der Brite Andy Franks, langjähriger Roadmanager für Bands wie Depeche Mode oder Coldplay, hat seinen Job verloren, weil seine Alkoholprobleme überhandnahmen. Inzwischen ist er trocken und hat die Stiftung «Music Support» ins Leben gerufen. Sie steht Musikern zur Seite, die Suchtprobleme haben oder um ihre psychische Gesundheit kämpfen. Er erinnert sich: «Auf Tour mit Künstlern wie Robbie Williams wirst du Tag und Nacht umsorgt. Doch sobald die Konzertreise vorbei ist, stehst du wortwörtlich alleine da.»

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Veronica Fuscaro. Foto: m4music

Musikalisch mehr oder weniger packend

Auf die Theorie und die vielen Debatten folgt – wie es sich für ein Musikfestival gehört – auch jede Menge Livekost: Während Zøla & The North es am Freitagabend verstehen, ihre Mischung aus Electronic, Pop und Rap mit dichten Melodien anzureichern, schaffen es The Garden & The Tree bei ihrem Auftrifft nicht, die Nervosität abzustreifen. Ihr eigentlich lüpfiger Folk-Pop will nie richtig Fahrt aufnehmen. Weit eindrücklicher präsentieren sich die Songs von Veronica Fuscaro. Ihre von leiser Schwermut umrahmten Poplieder wirken ebenso warm wie authentisch. Nicht minder imposant, aber von ganz anderer Machart zeigt sich das Konzert von Rootwords, der sein Publikum mit harten Beats und sozialkritischen Lyrics in den Bann zieht. Wenig berauschend hingegen ist das samstägliche und allzu lauschige Elektronika-Set von Pablo Nouvelle. Für Highlights sorgen dafür Nakhane aus Südafrika, dessen mit viel Soul unterlegter Elektropop schon beinahe schmerzhaft schön klingt, sowie Zeal & Ardor: Ihre Melange aus Gospel und Black Metal ist nicht nur innovativ, sondern auch furios.

Und welchen Eindruck haben die Macher der diesjährigen m4music-Ausgabe von der Schweizer Musikszene? «Diese ist sehr vital und vielfältig. Wir haben viele starke Konzerte gesehen, etwa von KT Gorique, Stereo Luchs, Monumental Man oder Meimuna», bilanziert Festivalleiter Philipp Schnyder von Wartensee. Von den Panels, die er mitverfolgen konnte, habe bei ihm insbesondere dasjenige zum Thema Gender einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Seine Erkenntnis für das nächstjährige Festival lautet denn auch: «Die Gender-Diskussion muss unbedingt weitergeführt werden.»

Auf dem YouTube-Kanal «m4music1» lassen sich diverse Interviews und Panels nachverfolgen.

m4music.ch

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