Übers Leben sprechen

An der Zürcher Hochschule der Künste referierte Diedrich Diederichsen im Rahmen der Tagung «Über Leben», an der verschiedenste Aspekte der künstlerischen Existenz im Zentrum standen.

Diedrich Diederichsen am 28. April an der Zürcher Hochschule der Künste. Foto: Johannes Dietschi/ZHdK

Auf der einen Seite von einem idealistischen Lebensentwurf befeuert, auf der anderen von der Notwendigkeit getrieben, sich den Lebensunterhalt verdienen zu müssen: Diesem gerade für Kulturschaffende virulenten Widerspruch widmete sich die dreitägige Tagung Über Leben Ende April an der Zürcher Hochschule der Künste ZHdK. Künstler fast aller Sparten stellten ihre Überlebensstrategien vor und resümierten die damit gemachten Erfahrungen; Wissenschaftler lieferten die theoretische Unterfütterung zum Thema. Gewiss, ein künstlerisch und gesellschaftlich gewichtiges Thema und vor allem auch für die Studenten der Hochschule brisant. Merkwürdig war nur, dass sich unter den Referenten kein Musiker befand. Als ob Tonkünstler vom Problem nicht betroffen wären.

Mit Diedrich Diederichsen boten die Veranstalter aber immerhin die deutsche Koryphäe intellektueller Sezierung von Popmusik schlechthin auf. Das entschädigte den vor allem am Musikleben Interessierten etwas, auch wenn man gerne mehr über das Ineinandergreifen von artistischen Konzepten, Selbstdarstellung und -vermarktung in der E-Musik gehört hätte. Wie auch immer, Diederichsen ist wahrlich ein Experte auf diesem Gebiet. Nicht nur lieferte er 2008 mit Eigenblutdoping. Selbstverwertung, Künstlerromantik, Partizipation ein Standardwerk dazu, sondern ist auch ein begnadeter Darsteller seiner selbst. Das zeigt sich nicht zuletzt in seiner stets elaborierten Sprache: Eigentlich überzeugend in der Verweigerung von Banalitäten trägt er den Duktus anspruchsvoller Formulierungen eben auch wie ein Werbebanner vor sich her.
 

Über sich selber reden

Passend gab er seinem Referat Lückenhafte Biografie denn auch die Form einer selbstkritischen Autobiografie. Der unter anderem als Kulturwissenschaftler, Kritiker, Journalist, Kurator, Autor und Hochschullehrer tätige Diederichsen stellte sich darin den Fragen, wie er adäquat Zeugnis über sein Tun und Sein ablegen könnte, was das über ihn selbst verrate und welche Gefahren in solchem Tun lägen. Er tat das in Umkehrung der gewöhnlichen Rollenverteilung, bei der Künstler subjektiv über sich, Wissenschaftler objektiv über andere berichten. Dabei kam er auf zwei grundlegende Strategien der Selbsterzählung:

Die eine, seine Biografie in bestehende Kontexte einzuschreiben, hat er vor allem auf den Schulbetrieb angewandt. So betrachtet geht es um die Art und Weise, wie Lehrbeauftragte ihre Rolle definieren. Nicht nur dort, aber gerade an Kunsthochschulen sei oft zu beobachten, dass der Dozent sich als eher zufällig vor der Klasse oder dem Studenten stehende Person inszeniere, das Autoritätsgefälle zwischen sich und den Studenten zu leugnen versuche, indem er es ironisiere. Als ob es zum Verschwinden gebracht werden könnte, indem man seine Person von der Funktion, die man ausübt, trenne. Der Versuch sei nicht nur vergeblich, das Problem dieser Strategie sei vor allem, dass man sich persönlich damit aus der Verantwortung nehme. Leider bot Diederichsen keine konkreten Lösungsansätze, wie man es denn besser machen könnte.

Als alternative Form einer Lebensbeschreibung stellte Diederichsen für sich dann die Möglichkeit einer «Negativ-Liste» vor. Eine Aufzählung, was man nicht tue, möge, getan habe, darunter Dinge wie: «Ich habe keinen Doktortitel», «keine Kinder» oder «keine funktionsfähige Küche». Zusammengefasst präsentiere diese Liste eine als das Gegenteil von Spiessigkeit getarnte Verantwortungslosigkeit, nichts darin sei auf eine irgendwie geartete Zukunft gerichtet. Damit teile er die Haltung von Mönchen, Dandys, Kolumnisten und Snobs oder allgemeiner von Diagnostikern. Es folgte eine Kritik der Diagnostiker dieser Welt, welche zwar deren Zustand konstatierten, aber keine Lösung präsentieren könnten, da die Diagnose völlig unabhängig von einer möglichen Behandlung gestellt werde. Diagnostiker hätten sich selbst aus der Welt heraus verobjektiviert und könnten daher auch gar nicht mehr handelnd eingreifen, also kurieren.

An diesem Punkt finden die beiden präsentierten Strategien der Selbsterzählung auch wieder zusammen respektive die Kritik an ihnen. Beiden ist eigen, sich selbst zu relativieren. Doch, so Diederichsen, man werde seine subjektiven Verstrickungen mit der Welt nicht los, indem man sie verobjektiviere. Man müsse sie pflegen, nicht negieren. Insofern wurde das Referat ein Plädoyer für einen subjektive(re)n Zugang zur Welt und in gewisser Weise auch eine Rechtfertigung von Diederichsens Werk. Zeichnete sich dieses doch schon immer durch eine unverblümt subjektive Sichtweise aus. Seine Kritiken waren immer auch Auseinandersetzungen mit den eigenen ästhetischen Prämissen.

Als Zuhörer muss man sagen, dass der Musikjournalist sicher mehr vom Vortrag profitiert hat als die angehenden Künstlerinnen und Künstler im Saal. Denn als solcher, wie auch Diederichsen selbst festhält, muss man für den Markt erkennbar sein, eine Handschrift entwickeln. Das verträgt sich schlecht mit einer intellektuellen Verweigerungshaltung, wie sie sich in der «Negativ-Liste» zeigt.
 

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