«Klamu» – die niederschwellige Zauberformel

Die Fondation Suisa lud innerhalb einer Woche gleich zweimal zu grossen Fachtagungen über das Klassenmusizieren, kurz «Klamu». Bericht vom Anlass in Zürich.

Bläserklasse live: die 5. Klasse Grünau von Thomas Mosimann und Daniel Frei

Am 8. September trafen sich im Florhof in Zürich Fachleute aus verschiedenen Ländern, um sich zum Thema auf theoretischer und praktischer Ebene auszutauschen. Eine Woche später wurde in Genf eine ähnliche Veranstaltung unter dem Titel «Orchestre en classe» durchgeführt. Angesprochen waren Lehr- und Leitungspersonen von Musik- und Volksschulen.

Urs Schnell dankte im Namen der Fondation Suisa Cristina Hospenthal, ehemalige Direktorin von Musikschule Konservatorium Zürich (MKZ), und Martin Sonderegger (Fachdidaktik Klarinette, ZHdK) für das Organisieren der Tagung. Seit 2016 hat die Fondation Suisa schon über 40 «Klamu»-Projekte unterstützt. Schnell liess aber durchblicken, dass das Klassenmusizieren in Zukunft breiter abgestützt finanziert werden sollte, und äusserte den Wunsch, dass auch andere Personen und Institutionen dieses erfolgreiche niederschwellige Angebot unterstützen möchten.

Erich Zumstein, Direktor der MKZ, wartete in seiner Begrüssungsrede mit eindrücklichen Zahlen auf. Was vor neun Jahren mit zwei Bläserklassen im Glatttal begann, hat sich bis heute zu einer Organisation mit jährlich 2000 Teilnehmenden gesteigert. Alle zwei Jahre wurde bisher ein grosses Konzert im Volkshaus mit bekannten Showgrössen organisiert. Die Schule arbeitet in Bildungsprojekten-Projekten mit dem Tonhalle-Orchester zusammen, und über den grossen Teich hat man sich via Skype mit einem «education through music»– Vorhaben in der Bronx in Verbindung gesetzt.

Moderatorin Esther Girsberger durfte mit Helena Maffli eine der herausragenden schweizerischen Fachpersonen für musikalische Bildung begrüssen. Die Referentin und ehemalige Präsidentin der Europäischen Musikschulunion umriss die Bedeutung des Klassenmusizierens im europäischen Kontext. Es gebe viele internationale Vorbilder dafür und als Brücke zwischen Volks- und Musikschulen sei das Programm geradezu ideal. Als notwendigen Schritt um weiterzukommen, regte Helena Maffli die Schaffung einer nationalen Infostelle an, ein Gedanke, der allseits auf Interesse stiess.
 

Win-win-Situation für Volks- und Musikschule

Wenn sich eine der allergrössten Musikschulen Europas mit ihren 24 000 Schülerinnen und Schülern und 600 Lehrpersonen in Verbindung mit einer bedeutenden Schweizer Stiftung in einem solchen Masse für einen musikpädagogischen Teilbereich einsetzt, dann muss etwas dran sein. Nicht nur unter dem Aspekt der «Teilhabe am kulturellen Leben», wie es die laufende Kulturbotschaft formuliert, wird das Klassenmusizieren als wertvolles pädagogisches Instrument gesehen. Es gilt als erwiesen, dass Bildungsziele wie Sozialkompetenz, Konzentration und Aufmerksamkeit durch gemeinsames Musizieren sehr begünstigt werden. Zumstein stellte fest, dass in Quartieren mit hohem Migrantenanteil die Musiklassen gefragter sind als in bildungsaffinen Stadtteilen. Mit dem Erreichen bildungsferner Schichten dürfte auch ein hoher integrativer Wert einhergehen.

In acht parallel geführten Workshops erhielten die Besucher durch etliche Fachleute Einblick in die unterschiedlichsten Aspekte und Formen des «Klamu». In Gesprächsrunden und Eins-zu-eins-Vorführungen konnte man sich ein Bild von der praktischen Arbeit machen. Elisabeth Karrer ordnete das Fach Musik und das Klassenmusizieren im Rahmen des Lehrplans 21 ein und der deutsche Jeki-Spezialist Achim Tang präsentierte eine Einheit in «Experimentellem Klassenmusizieren». Michaela Hahn, Dozentin für Musikschulentwicklung in Österreich, weitete den Blick auf die Ziele und Herausforderungen im gesamten deutschsprachigen Raum.

Die erfahrene Primarlehrerin und Schulleiterin Idil Calis sprach offen über die Malaise im Fach Musik an den Primarschulen. Sie hat in ihrer 38-jährigen Berufstätigkeit 25 Jahre Musik unterrichtet, «aber ich bin eigentlich unmusikalisch … Für mich ist das Klassenmusizieren das schönste Ereignis in meiner ganzen Laufbahn».

Die Volksschule hat heute mit «Klamu» die Chance, ihr latentes Musikunterrichtsproblem zu lösen, und die Musikschulen finden Zugang zu breiteren Kundensegmenten, welche später für sie als Nachwuchs in Frage kommen – eigentlich eine klassische Win-win-Situation.
 

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Schlussrunde mit Elisabeth Karrer, Achim Tang, Helena Maffli, Thomas Ineichen, Michaela Hahn und Moderatorin Esther Girsberger (v.l.)

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