Wildes und geordnetes Lernen

Das 2. Symposium für Pop-Rock-Jazz-Pädagogik (PRJ) befasste sich mit verschiedenen Lernformen und entkräftete gängige Vorurteile.

Victor Wanderley hat das Symposium organisiert. Foto: Niklaus Rüegg,Foto: Niklaus Rüegg,Foto: Niklaus Rüegg,Foto: Niklaus Rüegg

Klein, aber fein, ohne viel Drumherum, aber mit Substanz kam das PRJ-Symposium vom 19. Januar 2019 daher. Es wurde wiederum von der Musikschule Konservatorium Bern in Zusammenarbeit mit dem Verband Bernischer Musikschulen (VBMS) organisiert. Die Weiterbildungsveranstaltung für den Pop-, Rock-, Jazzbereich
wurde gegenüber der ersten Auflage etwas in Richtung allgemeine Pädagogik geöffnet. Organisator Victor Wanderley betonte, sein Symposium richte sich nicht nur an PRJ-Pädagogen, sondern an Vertreter aller Musiksparten. Diese Öffnung bekam der Veranstaltung sehr gut, doch hatte man den Eindruck, dass sich die Vertreter der Klassik (noch) nicht angesprochen fühlten.

Der Anlass fand in einem «Come-Together-Format» statt, will heissen, die Teilnehmenden erhielten viel Raum, um sich untereinander auszutauschen und ihre Ergebnisse und Erfahrungen ins Plenum einzubringen. Drei eingeladene Fachleute gaben gewichtige Inputs, leiteten Workshops und regten die Diskussionen an.
 

Die Mischung macht’s

Natalia Ardila-Mantilla, Leiterin der Studiengänge Instrumental- und Gesangspädagogik am Institut für musikpädagogische Forschung an der Hochschule für Musik und Theater Köln, forscht über Musikvermittlung in formalen bzw. informellen Lernkontexten und über die Entwicklung von Konzepten zum Musizieren-Lernen in heterogenen Gruppen. Sie lieferte einen spannenden Einstieg mit sechs Fragen zur persönlichen Ausbildungsvergangenheit und was man in den verschiedenen Lernkontexten glaubt gelernt zu haben. Die Antworten musste sich jeder und jede im Plenum selber geben. Verblüffend, welche erhellenden Erkenntnisse dabei herauskamen. Wer nun glaubte, daraus Vorzüge der einen oder der anderen Lernform ableiten zu können, sah sich ebenso getäuscht wie jene, die meinten, informelles Lernen sei eher dem PRJ-Bereich und formales Lernen den Klassikern zuzuordnen. Die Referentin belegte anhand von Unterrichtsprofilen, die sie in ihrer Forschungsarbeit erstellt hatte, dass die beiden Lernformen auf beiden Seiten etwa gleichmässig vorkommen. Sie ging von vier Lernwelten aus: Unterricht, Ensembles, Auftritte und privater Bereich, die alle mehr oder weniger formal oder informell ausgestaltet werden können. Die befruchtende Mischung sei entscheidend und dass die Lehrperson versuche, auf die informellen Lernwelten ihrer Schüler Einfluss zu nehmen.

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Natalia Ardila-Mantilla

Freestyle-Pädagogik

Nik Bärtsch, international erfolgreicher Jazzpianist aus Zürich mit klassischem Musikstudium, schilderte seinen Werdegang als Musikschüler in den Siebziger- und Achtzigerjahren und sprach über die Bildung und Pflege von kreativen Gemeinschaften, über seinen Club Exil, die Montagsreihe mit seiner «Ritual Groove Music» mit Workshops und Konzerten. «Kreativität braucht Strukturen», ist Bärtsch überzeugt. Eine lokale Verwurzelung, ein Basislager, seien für ihn wichtig, um international arbeiten zu können. Deshalb gehe er jeden Tag in sein «Exil» und definiere dadurch Heimat und Exil als deckungsgleich. Bärtsch ist Verfechter der «Freestyle-Pädagogik», die auf Eigeninitiative, auf «Machen, Riskieren, Lernen» setzt. Dieses «wilde Lernen» habe er sich bereits während seiner hürdenreichen Laufbahn als Musikschüler angeeignet. Die Zürcher Musikschule habe zunächst ihre liebe Mühe mit seinen Interessen gehabt: Er wollte Schlagzeug und Boogie-Woogie spielen und verabscheute Noten. Diese Dinge waren in der damaligen Unterrichtskultur nicht vorgesehen. Somit blieb ihm nichts anderes übrig, als autodidaktisch und in Bands zu lernen. Schliesslich traf der talentierte Junge doch noch auf verständnisvolle Musiklehrer, die ihm «irgendwie folgten» und halfen, seinen Weg zu finden.

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Nik Bärtsch

«Rhythm is it»

Der Pianist, Schlagzeuger, Mathematiker und Dozent am Jazzcampus Basel, Malcolm Braff, überraschte mit einer wissenschaftlichen Annäherung an ein als nicht akademisch geltendes Phänomen: den Groove. Er geht damit sozusagen den umgekehrten Weg und versucht Freestyle zu erklären und zu formalisieren. Braff unterscheidet zwischen dem theoretischen und dem musikalisch-praktischen Rhythmus: «In folk musics rhythm is never equal», betonte er und fügte bei, «in classical music it isn’t either.» Der Groove im Swing entstehe durch eine leichte Verschiebung und Variierung der Notenlängen. Das kann bei einer Gruppe von einem Viertel und zwei Achteln zum Beispiel eine Annäherung an eine Triole bedeuten. Durch diese Regel können auch manche klassische Stücke zum Swingen gebracht werden. Beliebtes Beispiel: Bach. Auch der Wiener Walzer wäre kein solcher, würden alle drei Noten exakt gleich lang gespielt. Braff veranschaulichte diese rhythmischen Verschiebungen grafisch, ausgehend von einer gleichmässigen Triole als gleichschenkligem Dreieck, und unterteilte die rhythmischen Effekte in «negative groove balance» (oder «laidback»), «positive groove balance» (vorwärts treibend) und «taking off the ground/taking down to the ground» (Phrasierung durch wechselnde Akzente). Beeindruckend waren die praktischen Demonstrationen trommelnd und am Klavier mit simultan gespielten wechselnden Rhythmen links und rechts.

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Malcolm Braff

Das nächste PRJ-Symposium findet am 11. Januar 2020 statt.

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