Helmut Lachenmann in Zürich

«Das Mädchen mit den Schwefelhölzern» wurde als Ballett am Opernhaus ein Grosserfolg. Am 8. September bot ein Symposium an der Zürcher Hochschule der Künste die Gelegenheit, sich der Persönlichkeit des Komponisten zu nähern.

Aussergewöhnliches hat sich in Zürich ereignet. Mit Helmut Lachenmanns Musiktheater Das Mädchen mit den Schwefelhölzern brachte das Opernhaus ein Werk avancierterster Gegenwartsmusik als Ballett auf die Bühne – und alle neun Aufführungen waren ausverkauft! Ein einzigartiger Erfolg, der umso erstaunlicher erscheint, wenn man sich die Person und insbesondere das Lebenswerk des Komponisten vor Augen führt. Der am 27. November seinen 84. Geburtstag feiernde Lachenmann wurde jahrzehntelang als Verweigerer wahrgenommen, als einer, der sich jeglicher bürgerlichen Konvention verschloss und dementsprechend auch angefeindet wurde. Und nun feiert seine Musik ausgerechnet im Tempel der bürgerlichen Hochkultur einen derartigen Triumph.

Zu diesem Erfolg beigetragen hat sicher das sorgfältig choreografierte Rahmenprogramm. Es gab Porträtkonzerte, ein Gesprächskonzert und ein Symposium an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK), mit und zu Helmut Lachenmann. Wobei das Symposium weniger als Einführung zur Oper diente, sondern als Vertiefung des «Ereignisses Lachenmann», wie der an der ZHdK lehrende Philosoph Dieter Mersch seinen Vortrag überschrieben hatte. Ausgehend vom Mädchen mit den Schwefelhölzern näherte man sich unter der Leitung des Musikwissenschaftlers Jörn Peter Hiekel grundsätzlichen Fragen zum Lebenswerk des Komponisten. Dabei war man froh über Hiekels Fähigkeit, die diversen Vorträge treffsicher zu resümieren und in einen grösseren Kontext einzugliedern.

Denn die Themenvielfalt der Vorträge war gross. So nahm sich der in Genf lehrende Musikwissenschaftler Ulrich Mosch der Frage an, inwiefern sich Lachenmanns Musiktheater-Ansätze von jenen seines Lehrers Luigi Nono unterscheiden. Zentral war dabei das Problem, wie (politisch) engagiertes Musizieren möglich sei, denn dass Musik engagiert zu sein hat, darin waren sich Lehrer und Schüler einig. Doch während der Kommunist Nono seine (vor allem die früheren) Musiktheaterwerke als Beitrag zum Klassenkampf sah und die Menschen unmittelbar bewegen wollte, steht Lachenmann solchem Tun skeptisch gegenüber, nannte es einmal «Heuchelei oder – sympathischer – Donquichotterie». Er versuche eher, so Mosch, den Menschen mit Kunst zu lehren, «seine denkenden Sinne zu gebrauchen».

Und genau darauf zielt Lachenmanns Musik der Schab-, Anblas- und Kratzgeräusche ab. Die physische Hervorbringung der Töne wird nicht mehr versteckt, sondern nach aussen gekehrt und soll so eine Erweiterung unserer Wahrnehmungsmuster bewirken. Dadurch würden wir bewegt, auch politisch. Oder, wie Mersch es ausdrückte, dadurch ereigne sich das Politische bei Lachenmann quasi «im Rücken der Musik».

Staunende Persönlichkeit

Bei aller Vielfalt der Beiträge, etwa Christian Utz’ Vergleich von Schuberts Winterreise mit dem Mädchen oder Stephanie Schroedters Tour d’Horizon durch unterschiedliche Ansätze, Lachenmanns Musik zu choreografieren, schälte sich doch eines heraus. Das Bild dieses Komponisten ist im Wandel begriffen. Früher in erster Linie von der Negation her betrachtet, als Verweigerer, rückt er heute immer stärker der Aspekt Wahrnehmung in den Vordergrund. Lachenmann setzt sich mit dem Phänomen des Erfassens von Musik an sich auseinander und erreicht gerade dadurch einen Grad an Sinnlichkeit, der in der Neuen Musik selten anzutreffen ist.

Vielleicht lässt sich der Zürcher Erfolg des Mädchens mit den Schwefelhölzern, allgemein der Zuspruch, den Lachenmanns Musik in letzter Zeit erfährt, durch eben diese Sinnlichkeit erklären. Am Symposium fiel einem aber noch etwas ganz anderes auf. Es war die Person des Komponisten selbst, die zu faszinieren vermochte. Etwa wie er die diversen Beiträge zu seiner kompositorischen Persönlichkeit ernst nahm, sie offenbar so verstand, dass er daraus etwas über sich selbst lernen könne. Wie er sich Mühe gab, auf jeden Beitrag zu antworten.

Aber vor allem auch, wenn seine Leidenschaft für die Musik aus ihm hervorbrach und ihn zu Aussagen unglaublicher Plastizität verführte. So, wenn er sein Interesse an Schubert damit begründete, dass dieser ein «Daumenlutscher» gewesen sei, der sich in der von Beethoven hinterlassenen musikalischen Landschaft wie ein verzweifeltes, einsames Kind an gewisse Elemente, etwa einen bestimmten Akkord, geklammert hätte. Oder wenn er die Gründerväter der Seriellen Musik als Goldgräber bezeichnete, die mit Ausnahme des ewigen Desperados Nono zu Juwelieren mutiert seien.

Am deutlichsten aber trat einem die Persönlichkeit Lachenmanns in der von Claus Spahn, dem Chefdramaturgen des Zürcher Opernhauses, moderierten Abschlussdiskussion vor Augen. Während der Choreograf Christian Spuck interessante Einblicke in den Entstehungsprozess der Zürcher Inszenierung bot und die Komponistin Isabel Mundry diese gewohnt geistvoll kommentierte, wirkte Lachenmann wie ein Kind am Rande des Geschehens. Ein Kind, das sich ehrlich über eine, seiner Meinung nach, gelungene Inszenierung freute und dabei noch immer darüber staunte, wie es die Tänzer schafften, sich derart synchron zu bewegen.

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