Verspiegelt, verschachtelt, verstellt

Es ist schwierig zu umreissen, wovon das neue Musiktheater von Martin Derungs eigentlich handelt. So fern ist es und rätselhaft. Uraufgeführt wurde es am 6. und 7. November im Theater Rigiblick in Zürich.

Ein seltsamer Text, eine seltsame Musik, eine seltsame Inszenierung, insgesamt ein seltsames Konstrukt voller Brüche. Das könnte interessant sein! Dieses Musiktheater mit dem Titel Lebewohl, Gute Reise.

Erst einmal ist man jedoch ratlos, was da auf einen zukommt. Da ist zunächst dieses dramatische Poem von Gertrud Leutenegger aus dem Jahr 1980. Von einem Ich ist darin die Rede, das in einem Sarg erwacht und offenbar in mehreren Doppelgängerinnen existiert, als untote Frau (Leila Pfister), Mutter und Hure (Meret Roth), Faunäffin und Grosse Königin (Eveline Inès Bill). Daneben erscheint eine Trias von Ältesten (Madeleine Merz, Florian Glaus, Arion Rudari), die nacheinander umkommen, und schliesslich das Freundespaar aus dem sumerischen Epos, Gilgamesch (Flurin Caduff) und Enkidu (Daniel Camille Bentz) aus der Stadt Uruk. Aber so völlig klar sind die Rollen nicht immer den Darstellerinnen und Darstellern zugeordnet. Insgesamt ist es ein ziemlich roher und archaischer Stoff, aber die uralte mesopotamische Geschichte wird mit Anachronismen durchsetzt. Gilgamesch überlebt zum Beispiel einen Autounfall. Eine komplexe, verschichtete Story also. Wie vertont man das?

Opera povera

Die Komposition von Martin Derungs gibt sich nicht so verspiegelt, sondern karg und im Fluss aufgebrochen. Oft wechseln die Stimmen nach einer kurzen Phrase wieder ins Sprechen, das wiederum zwischen Ruf, Sprechgesang und Rezitation farblich abgestuft bleibt. Spürbar wird eine starke Emphase durchaus, sie kann aber ständig abbrechen. Manchmal sind die Stimmen völlig allein unterwegs, dann werden sie nur von ausgedünnten einstimmigen Tonfolgen verfolgt: Ein paar Flötentöne, ein Mandolinentremolo, etwas Bratsche, Akkordeon oder Glasharmonika, je nachdem. Es sind ausgewählte Klänge, die sich da aneinanderfügen. Dadurch bleibt der Text ziemlich gut verständlich. Hingegen ist es für das elfköpfige Ensemble unter der Leitung von Marc Kissóczy nicht immer einfach, zwischen den langen Pausen jeweils sofort den Ton zu treffen und stabile Linien entstehen zu lassen.

Dabei gibt es wenige heftige Temposchwankungen, alles geht einen ähnlich ruhigen Gang. Derungs war noch nie ein Komponist der zu vielen Töne, und schon mehrmals hat er sich mit dem Wenigsten begnügt. Charakteristisches scheint kaum auf, diese Musik ist nicht gemacht, nicht theaterwirksam. Nur zwei, drei Mal schwingt sie sich zu einem parodistisch anmutenden Tänzchen auf, knappstens auch da. Sonst müssen Andeutungen genügen: Die im Text erwähnte Grosse Trommel erscheint im Ensemble mit einem Schlägchen auf der kleinen. Insofern ist das in seiner Kargheit konsequent und stilvoll. Eine Opera povera geradezu. Was für eine Inszenierung passt dazu?

Schräge Zusammenstellung

Die Bühne sowie die Regie (beides von Giulio Bernardi) geben sich trotz notgedrungen begrenzter Mittel nicht schlicht, vielmehr verschachtelt und verstellt: da ein Hochsitz für das Ich, daneben ein breites Sofa. Wie in Text und Musik kommt auch in dieser Darstellung nur passagenweise Kontinuität auf. Die Erzählung wirkt wie der Text verspiegelt, etwas verfahren, ständig aufgebrochen in mehrere Ebenen. Ist das nun Epos oder Bühnenrealität? Es ist ein Spiel mit mehreren Gesichtern. Die Ältesten treten hinter grossen Stabpuppen auf, die Sängerinnen und Sänger ziehen Masken an, tragen Schminke auf, ja passagenweise wird quasi konzertant aus der Partitur gesungen und gesprochen. Dazu kommt eine Mimin, die deren Handlungsweise stumm kommentiert und zuweilen leitet. So wechseln sich die Personen und die Konstellationen, ohne erkennbares Muster. Auch da wird man etwas allein gelassen. Es war eine glückliche Idee, dass die Sprecherin Dorothee Roth die einzelnen Szenen zuvor kurz einleitet.

Warum das alles in dieser schrägen und rätselhaften Zusammenstellung? Wie haben die drei Künstler miteinander kommuniziert? Fühlen sie sich wohl verstanden? Oder ist es vielleicht diese Heterogenität, die sich «unvermitteln» will. Recht warm wurde ich nicht damit, eher ungeduldig, aber ich blieb doch dran, weil da jemand etwas anderes wagt. Aber was?

Es gehe auch um Liebe: «Wer die Liebe nicht fürchtet, ist unsterblich», heisst es einmal. Und dann gibt es schliesslich noch diese Einblendungen, die dem Stück seinen Titel gaben: Lebewohl, Gute Reise, ein Lied, eines der letzten der Comedian Harmonists, die sich kurz darauf 1935 im Dritten Reich auflösten. «Denk an mich zurück», heisst es dort weiter. Das Lied ist so, wie das Programmheftchen ankündigt, der Auftakt zu einer Reise in die Unterwelt. Die Geschichte im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus zu lesen, scheint freilich wenig schlüssig. Aber ein Grundgeschmack ist vielleicht doch wahrnehmbar, irgendwie gruftig …

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Die Besetzung der Uraufführung am 6. und 7. November im Theater Rigiblick in Zürich.
Foto: zVg

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