Egmont verbindet Jugendliche

Il Mosaico, eines der führenden und traditionsreichsten Jugendorchester der Schweiz, und sein New Yorker Partnerorchester, produzieren ein transatlantisches Onlinekonzert.

Es gibt in der Musikwelt unterschiedliche Formen der Pandemiebewältigung. Während die einen im Nichtstun verharren und mit dem Lockdown hadern, versuchen andere, die Möglichkeiten, die noch bleiben, zu nutzen. Il Mosaico, das erfolgreiche Schweizer Jugendorchester, gehört zu den Letzteren. Es tat sich mit seinem Partnerorchester CMC (Chamber Music Center of New York) zusammen, mit dem es in den vergangenen Jahren wiederholt Austauschprogramme durchgeführt hatte, und nahm nicht nur die Egmont-Ouvertüre auf, sondern verarbeitete die besondere Entstehungsgeschichte online als Video unter dem Titel A Virtual Orchestra Across the Ocean. Die Idee dazu hatte Mary Jo Pagano, die Direktorin des CMC.

Goethe hat in seinem Egmont den Freiheitskampf der Niederländer gegen Spanien im 16./17. Jahrhundert thematisiert. Der Gedanke des Auflehnens gegen einen Unterdrücker passt gut zum gegenwärtigen Kampf der Menschheit gegen das Virus. Der Geiger Hermann Ostendarp, Gründer und seit nunmehr 31 Jahren Leiter des Mosaico, meint dazu: «Ich bin nicht so Fan von diesen Onlineformaten, aber die Jugendlichen müssen ein Ziel haben. Es geht darum, die Musik nicht verstummen zu lassen in dieser schwierigen Zeit.» Im vergangenen Jahr war unter anderem eine Konzertreise in die Ukraine geplant, doch der überraschende Lockdown im März machte die Pläne zunichte. Nichtstun war keine Option, denn die jugendlichen Musikerinnen und Musiker bleiben im Schnitt nur drei bis vier Jahre im Orchester, da wiegt ein Ausfall von einem Jahr sehr schwer.

Professionelle Technik

Im April/Mai wurde aufgezeichnet. Im fertigen Video sind amerikanische und Schweizer Orchestermitglieder zu sehen und zu hören, wie sie allein für sich in ihren Zimmern ihre Stimmen spielen. Wie kann es sein, dass alles absolut synchron daherkommt und erst noch toll klingt? Ostendarp erklärt: «Wenn beispielsweise das Concertgebouw-Orchester eine solche Produktion macht, nimmt es eine frühere, eigene Aufnahme des Stücks und spielt dazu.» Eine eigene Aufnahme der Egmont-Ouvertüre des Mosaico oder des CMC existierte nicht. Deshalb hat Sibylle Johner, die Dirigentin des CMC, bei einer anderen, bestehenden Aufnahme die Anfänge und Übergänge so eingezählt, dass saubere Einsätze möglich wurden – ein Dirigent war somit nicht notwendig. «Unsere Orchestermitglieder haben sich mit viel Enthusiasmus eingebracht, mit grosser Hingabe alleine die oftmals anspruchsvollen Parts sehr gut geübt. Sie erlebten die digitale Zusammenarbeit sowohl als spannend wie auch als bereichernd.» Nach einem Monat – jede Woche wurden zwei Minuten aufgenommen – wurden die Aufnahmen nach New York geschickt und durch das Spiel der amerikanischen Jugendlichen ergänzt. Der Audio Engineer und Video Editor Sean Brekke besorgte den Rest, korrigierte Fehler, optimierte den Sound und stimmte Videobilder und Ton aufeinander ab. Das eigentliche Musikvideo wurde ergänzt durch ein Making-of, realisiert vom mehrfach Emmy-gekrönten Kameramann Martin Taube. Ihm gelang ein höchst emotionales Porträt mit intensiven Bildern und zu Herzen gehenden Interviews vor dem Hintergrund eines seuchengeplagten New York.

Strukturierter Aufbau

Im Jahr 1990 gründete Hermann Ostendarp das Orchester Il Mosaico und positionierte es gleich von Anfang an als Gemeinschaftsprojekt der Musikschule und der Kantonsschule von Wattwil. Er war damals schon an beiden Schulen als Lehrer tätig und baute gut funktionierende, aufeinander abgestimmte Strukturen auf. Heute gibt es insgesamt fünf niveaumässig abgestufte Ensembles. Die drei Basisformationen werden von einem Kollegen der Musikschule geleitet. Ostendarp selber betreut neben dem Hauptorchester mit ca. 60 Mitgliedern, 35 davon Streicher, auch das Streicherensemble Vivaldissimo, in dem 15 bis 25 Jugendliche musizieren. Die Anforderungen für einen Beitritt bemessen sich an der der Skala der Stufentests. Für Vivaldissimo wird Stufe 4 bis 5, für Il Mosaico Stufe 6 verlangt.

Gemeinsame Zeit

In den wöchentlichen Proben, den jährlichen Musiklagern und den Konzertreisen verbringen die Jugendlichen sehr viel Zeit miteinander. Sie tun etwas, das sie verbindet, entdecken Musik, erleben gemeinsam Emotionen. Ostendarp hält das für das Wesentliche: «Das Soziale ist ein ganz wichtiger Punkt, fast noch wichtiger als das Musikalische. Das habe ich an meinen eigenen Kindern gesehen, die alle auch Musik machen.» Viele der weit über 300 Ehemaligen begleitet das Musikmachen ein Leben lang. Zwei bis drei pro Jahr entscheiden sich für ein Musikstudium. Neben der sozialen Integration ist dem Orchesterleiter das Übernehmen von Verantwortung sehr wichtig. Die Erfahreneren betreuen die Neuen, übernehmen Registerproben oder, bei Abwesenheit des Dirigenten, gar die ganze Probenarbeit.

Planen ist schwierig in diesen Zeiten. Nächsten Juni ist das Brahms-Doppelkonzert mit Esther Hoppe, Violine, und Christian Poltéra, Cello, geplant. Das renommierte Solistenduo bietet den Jugendlichen vorgängig einen Workshop an. Das Datum für eine Konzertreise nach Florenz steht noch in den Sternen, ebenso für die im letzten Jahr versäumte Reise in die Ukraine.

A Virtual Orchestra Across the Ocean

Dokumentation
https://www.youtube.com/watch?v=Q2F9jRrYEgM
Egmont-Ouvertüre
https://www.youtube.com/watch?v=9SuLQavgji0
www.ilmosaico.ch

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