Bachfest Schaffhausen: Experimente
Wie viele Festivals musste letztes Jahr auch das Internationale Bachfest in Schaffhausen Corona-bedingt verschoben werden. Nun fand es «im Kleinen» unter dem Motto «Entfliehet, ihr Sorgen» doch noch statt – mit originellen Ansätzen.

Ein Beispiel für die unkonventionelle Herangehensweise war das zweite Konzert, in dem Friederike Heumann mit ihrer Viola da Gamba und dem Ensemble Stylus Phantasticus Werke von Bach und seinen «Quellen» Dieterich Buxtehude und Johann Adam Reincken spielte. Und Alexander Melnikov stellte unter dem Motto «Flügelwelten» verschiedene Hammerflügel von Anton Walter, Konrad Graf und Ignaz Pleyel zur Diskussion. Auch die beliebte «Nacht der Orgeln» durfte nicht fehlen, welche Absolventen schweizerischer und deutscher Musikhochschulen im Schaffhauser Münster und in der Stadtkirche St. Johann gestalteten.
Mit Opium stellte Burak Özdemir (*1983), einer der kreativsten Köpfe im Umgang mit Alter Musik, bereits zum dritten Mal in Schaffhausen ein spartenübergreifendes Projekt vor – einen Klangrausch zwischen Barock, Neuer Musik und Elektroakustik. Seit 2008 ist der Fagottist und Komponist mit seinem Ensemble Musica Sequenza unterwegs und hat sich damit international einen Namen gemacht. Er ist sowohl in der klassischen Musikszene als auch in der elektronischen Underground-Szene zu Hause, das Entgrenzen von Raum und Zeit ist seine Vision. Zu seinen erfolgreichen Produktionen gehören etwa The New Four Seasons, Silent Cantata sowie die Klanginstallationsserie Transmute. Seine Performances, für die er Musica Sequenza gründete, wurden weltweit gezeigt, und das an so renommierten Häusern wie der Elbphilharmonie Hamburg, dem Lincoln Center New York, der Berliner Philharmonie, dem Amsterdamer Concertgebouw, der Staatsoper Wien und dem Teatro Colon in Buenos Aires.
Traumwandeln mit «Opium»
Mit Sampling Baroque/Bach gestaltete Özdemir 2016 seine erste Kreation im Auftrag des Schaffhauser Bachfestes. Bereits damals ging er auf Tournee damit, u. a. auch an die Bachakademie Stuttgart. Nun also die neue Produktion Opium, die am 15. Mai im Kammgarn West in Schaffhausen ihre Uraufführung erlebte.
Musica Sequenza spielte in der Besetzung Streichquintett (mit Bass), dazu kamen Laute, Keyboard, eine Sopranistin und ein Sounddesigner sowie Özdemir selbst am Fagott und als Ensembleleiter. Die Besetzung wechselt in Opium fliessend, Neue Musik folgt auf barocke Stücke und umgekehrt, elektronische Verfremdung inklusive.
Eröffnet wurde die Produktion mit einer Fantasie für Laute solo von Silvius Leopold Weiss, darauf folgten fünf Arias von Bach, entweder nur für Fagott, Streicher und Basso continuo oder dann zusätzlich mit Gesang – und dazwischen die Sarbande für Cello solo. Die Musikerinnen und Musiker bewegten sich im Raum und spielten weitere Werke aus der Barockzeit. Und mittendrin vier neue Stücke von Özdemir: Opium, The Sacred Wounds, Fata Morgana und Moroccan Dream. Im für das Projekt namensgebenden Opium lotet Özdemir die Möglichkeiten der Synthese von Musik für Fagott, Streicher und elektronisch erzeugten Klängen aus. Daraus ergab sich eine faszinierende erweiterte Hörerfahrung, die etwas Traumwandlerisches hatte. The Sacred Wounds aus Özdemirs Projekt Bach: Atlas Passion ist ursprünglich eine kontemplative 4-Kanal-Audio-Installation für Kammerchor, in der geografische Angaben aus Tora, Bibel und Koran auf aktuelle weltpolitische Themen bezogen werden. Auch die Fassung für Streichquartett, die am Bachfest erstmals erklang, hat etwas Entrücktes, Magisches.
Die Performance dauerte 70 Minuten und war in zwei Teile geteilt. Nach dem ersten wurde man in einen anderen Raum gebeten. Dort bekam man einen Kopfhörer, über den man elektronische Zuspielungen – eine Art Rauschen – zum Live-Klang dazu nehmen konnte oder eben nicht. So tauchte man ein in dieses moderne akustisch-visuelle Gesamtkunstwerk, in dem barocke Musik wie aus der Ferne aufklang. Dabei spielten auch die Licht-Dramaturgie und die Bewegung eine wichtige Rolle.
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Foto: Bachfest Schaffhausen
Die Verlorenheit der Musik als Installation
Ergänzend zu dieser beeindruckenden Performance gestaltete Burak Özdemir mit dem Kurator und Visual Designer Daniel Mulder eine Ausstellung im Chretzeturm in Stein am Rhein. Ihr Motto «Opium locked down» bezog sich auf die Corona-Isolation der Künstler. Es handelte sich um einen Parcours aus vier Installationen, die auf die Stockwerke des Gebäudes verteilt waren. Auf audiovisueller Ebene war zu erleben, wie sich die Künstlerinnen und Künstler von Musica Sequenza während des Lockdowns zu Hause beschäftigten: Wie sie übten, einen Apfel assen, telefonierten, in der Küche ein Glas Wasser holten …
Es waren verträumte und zarte Reflexionen, die zu intensiven Klängen durch den Chretzeturm zogen, als wäre das Ensemble vor Ort. Doch die Zimmer waren leer, wie schon seit Längerem die Bühnen. Diese Ausstellung bot ein eindrückliches Miteinander von Klangkunst und Visual Design: Ruhige, zum Teil auch repetitive Bilder zogen einen in ihren Bann, die Musik dazu hatte etwas Verlorenes.
Das nächste Internationale Bachfest Schaffhausen findet vom 25. bis 29. Mai 2022 statt.