Die zwei Prozent, die man sonst nie hört

FemaleClassics, ein neues Festival in Zürich, bringt ausschliesslich Kammermusik von Komponistinnen, gespielt von Instrumentalistinnen, zum Klingen und setzt damit ein Zeichen.

Ein neu entdecktes Trio von Mendelssohn? Oder ein Quintett des in Vergessenheit geratenen Heinrich von Herzogenberg? Wer kein Programmheft zur Hand hatte und den Aufführungszusammenhang nicht kannte, mochte sich fragen, von welchem Komponisten des 19. Jahrhunderts die beiden unbekannten, aber künstlerisch attraktiven Streicherstücke stammen könnten. Komponist? Fehlanzeige. Die beiden Werke stammen von einer Frau, der Engländerin Ethel Smyth.

Ihr Streichquintett op. 1 aus dem Jahr 1883 verwendet, wie Schuberts berühmtes C-Dur-Quintett, zwei Celli anstelle der üblichen zwei Bratschen. Anna Mikolášek, Nevena Tochev (Violinen), Meredith Kuliew (Viola), Elodie Théry und Lidewij Faber (Violoncelli) setzten ihren ganzen interpretatorischen Ehrgeiz ein und beleuchteten die Komposition von ihrer besten Seite. Alle fünf Sätze des Quintetts bestechen durch eine gelungene Kombination von Fasslichkeit und handwerklichem Können; gelegentlich ist eine gewisse Redundanz im Melodischen feststellbar.

Ethel Smyth, die gegen den Willen ihrer Eltern in Leipzig studiert hat und die nicht nur als Komponistin, sondern auch als Frauenrechtlerin bekannt geworden ist, verkörpert die Message des neu gegründeten Musikfestivals FemaleClassics in idealer Weise: In einer Musiksparte, in der zu 98 Prozent Kompositionen von Männern aufgeführt werden, soll die Aufmerksamkeit des Publikums auf die vernachlässigte Musik von Frauen gelenkt werden. Drei Kammerkonzerte im Kunstraum Walcheturm und in der Photobastei in Zürich setzten dieses Anliegen in einladender Weise um.

Signal an Musikinstitutionen

Initiantin und künstlerische Leiterin des Festivals ist Meredith Kuliew. Nach dem Bratschenstudium in Zürich und Luzern tritt sie heutzutage in verschiedenen Formationen auf. Als Co-Leiterin steht ihr die Musikwissenschaftlerin Eva Ruckstuhl zur Seite. Sie arbeitet in den Bereichen Konzertorganisation und Kommunikation, bis vor Kurzem bei der Tonhalle-Gesellschaft Zürich. Beide Leiterinnen haben in ihrem bisherigen Berufsleben die Erfahrung gemacht, dass in den Programmen der meisten Veranstalter die Komponistinnen eine verschwindend kleine Rolle spielen.

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Zum Vorstand gehören Viviane Nora Brodmann, Brigitta Grimm, Meredith Kuliew und Eva Ruckstuhl

«Ich hatte keine Lust, mein Leben lang die beiden Bratschensonaten von Brahms zu spielen. Durch wenige Klicks im Internet habe ich dann mit grossem Erstaunen auf einen Schlag viele spannende Werke von Komponistinnen gefunden», erklärt Kuliew, und Ruckstuhl ergänzt: «Man spricht immer von der Entstaubung des Klassikbetriebs, aber das Repertoire bleibt stets gleich. Dabei könnte gerade heutzutage eine feministische Programmierung durchaus auch als Verkaufsargument eingesetzt werden.» Neben dem Sichtbarmachen von Komponistinnen geht es den beiden auch um die Sensibilisierung des Publikums und, über das Festival hinaus, um ein Signal, das an die Musikinstitutionen ausgesendet werden soll.

Abgesehen vom Smyth-Abend gab es ein Konzert mit der Gegenüberstellung eines Klaviertrios von Fanny Hensel und eines Klavierquintetts der afroamerikanischen Komponistin Florence Beatrice Price. Und bei einem zeitgenössischen Programm wurde ebenfalls eine bekannte Komponistin mit einer unbekannten kombiniert. Die mittlerweile 91-jährige Sofia Gubaidulina hat 1988 ein Streichtrio geschrieben, das in seiner Klangvariabilität und seinen vertrackten formalen Abläufen einige Ansprüche an das Publikum stellt. Die Geigerin Nevena Tochev, die Bratscherin Meredith Kuliew und die Cellistin Elodie Théry, die zusammen das TriOlogie String Trio bilden, scheuten sich nicht, auch die verstörenden Seiten des Werks zu zeigen.

Der Bogen: mein Unterarm

Eine besondere Note erhielt dieses zeitgenössische Programm durch die Uraufführung des Streichtrios Näher am Körper der erst 30-jährigen Komponistin Asia Ahmetjanova. Die Lettin lebt in Luzern und hat unter anderem bei Dieter Ammann Komposition studiert. Der «Witz» des Stücks besteht darin, dass die Interpretinnen ohne Bogen spielen. Die Bogenhaare sind nämlich am Ellbogen und am Handgelenk der Spielerinnen befestigt, womit deren Arm gewissermassen zum Bogen wird. Daraus resultieren nicht immer genau vorhersehbare Klänge von ganz ätherischem, nicht geerdetem Charakter. Das Nichtgelingenkönnen einer «perfekten» Interpretation sei gerade die Grundidee des Stücks, erklärte die Komponistin im Gespräch mit der Musikwissenschaftlerin Viviane Nora Brodmann, die zuvor bereits eine Einführung in den Abend gegeben hatte.

Das Festival FemaleClassics soll auch in Zukunft wieder stattfinden, aber der Termin ist noch offen. Für die zweite Ausgabe möchte man sich wünschen, dass es weniger streicherlastig daherkommt, dass die Konzerteinführungen rhetorisch etwas raffinierter gestaltet werden und dass durch intensivierte Werbung mehr Publikum angelockt wird. Die interpretatorische Qualität der Spielerinnen und die Aussagekraft der Programme verdienen es auf jeden Fall. Und das Sicht- und Hörbarmachen von Komponistinnen hat gerade erst begonnen.

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