Aus heiterem Himmel

Das diesjährige Musikfestival Bern stand unter dem Schlagwort «unvermittelt» und thematisierte bereits auf dem Flyer den Zwiespalt zwischen Vermittlung und Unmittelbarkeit.

Als ich mich am Festival-Freitag zwischen zwei Veranstaltungen im Hof des Progr umschaue, wo das Musikfestival Bern sein Hauptquartier hat, zappeln die Windböen eines nahen Gewitters vorbei. Ein weisser Festival-Ballon wird an seiner Schnur hin und her geschlagen, unberechenbar, unvorhersehbar – unvermittelt. Er stimmt mich perfekt ein auf akustische Ereignisse zwischen abruptem Auftauchen, unvermutetem Hiersein und unkontrollierbarem Verschwinden. Hier ist auch ein Cage-Raum eingerichtet. Der Meister des Zufalls in der Neuen Musik gehört bei diesem Motto unbedingt dazu; in einer langen Cage-Nacht spriessen seine Klänge wie Pilze …

Zuvor habe ich die Vorstellung im Münster besucht. Dort stand ich nach den vorabendlich belebten Gassen unversehens in der Ruhe des Kirchenschiffs, bevor ich mich zu den wartenden Zuhörerinnen und Zuhörern weit vorn in der Krypta gesellte. Messiaens Quatuor pour la fin du temps begann vermittelt. Ein Moderator erzählte, wie das Stück entstanden war: Winter 1941, der Komponist in Kriegsgefangenschaft schreibt für die Besetzung, die sich aus den Mithäftlingen bilden lässt. Und er schreibt «für das Ende der Zeit». Man erwartet Schreckensvisionen. Aber wo das Ende, der Tod folgen könnten, lässt Messiaen Lobgesänge ertönen, ekstatische Farben wirbeln, Instrumentallinien aus der Zeit davonziehen. Wie muss diese Musik die Mitgefangenen getroffen haben in ihrem Hunger, der Kälte, der Verzweiflung? Unvermittelter Trost.

Hier im Münster wurde ich auf die Musik vorbereitet. Ich bin unschlüssig. Ja, das hilft, das Stück zu verstehen oder eher: das Unverständlich-Unglaubliche besser zu ermessen. Und vielleicht hilft es auch, dass überhaupt Neugier entsteht, Zuhörer kommen. Und zugleich hindert es eben die Begegnung aus heiterem Himmel. Vermittlung sei, steht auf dem Festival-Flyer, vor allem in der Neuen Musik sehr gefragt. Das Musikfestival Bern tut in dieser Hinsicht eine Menge mit Einführungen, Hörspaziergängen, Workshops für Schulen und Jugendliche und es ist sich – insbesondere beim Thema «unvermittelt» – auch des Dilemmas bewusst.

Undurchdringliche Nähe

Nach meiner Ballon-Begegnung verschlägt es mich zu einer Wohnzimmeroper. Im dritten Stock eines Hauses an der Herrengasse setze ich mich mit einer Handvoll Neugierigen in die bereitgestellten Sessel und Stühle. Ich bin gespannt, wie die erwarteten Klänge zwischen so vertrauten Dingen wie Bücherwänden, Sofa und Zimmerpflanzen wirken werden. Die Duo-Oper sei krankheitshalber zum Solo-Singspiel geschrumpft, erklärt Lukas Hasler. Dann lässt er einen Diabolokreisel sirren, beginnt zu sprechen, zu singen, vorzulesen, auf einer Dulcimer zu spielen, manchmal gedoppelt von einem Kassettengerät. Er bleibt stets leise, beharrlich, er insistiert. Das Ziel sei, habe ich im Programm gelesen, dass die Dinge, die uns umgeben, endlich zu uns sprächen. Die verrückte Idee gefällt mir, aber ausser der sanften Geduld des Darstellers vermittelt sich mir das Vorhaben nicht. Zu mir sprechen die Dinge nicht. So wird das Unvermittelte umkreist. Manchmal stellt es sich ein.

In den fünf Festivaltagen wurden über 2400 Eintrittskarten für über 40 Veranstaltungen verkauft. Die nächste Ausgabe des Musikfestivals Bern findet vom 6. bis 10. September 2023 zum Thema
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