Raff als Schlüsselfigur des 19. Jahrhunderts

Nach vier Jahren fand in Lachen wiederum ein internationales Symposium statt – zur Feier des 200. Geburtstags des dort geborenen Komponisten.

Dass (Joseph) Joachim Raff, der bedeutende, aber lange übergangene Komponist des romantischen Jahrhunderts, zur Schweiz eine besonders enge Beziehung hatte, ist in den letzten Wochen ins Bewusstsein getreten. Äusserer Anlass für die zahlreichen (Ur-) Aufführungen seiner Werke ist sein 200. Geburtstag. Raff ist am 27. Mai 1822 in Lachen (SZ) geboren worden, hat seine Jugendzeit dort, seine Jünglingszeit in Schwyz und seine ersten Berufsjahre als Lehrer in Rapperswil durchlebt. Der Grund für das erwachende Interesse an seinem Schaffen sind die Initiativen der Joachim-Raff-Gesellschaft (Lachen), die ihrerseits ihr fünfzigjähriges Bestehen feiert, und der Raff-Forschungsstelle, die 2018 feierlich eröffnet worden ist. Nach Erstaufführungen von Opern und Oratorien in der Schweiz und in Weimar feierte Lachen seinen grossen Sohn vom 15. bis 18. September 2022 mit einem Kammermusikfestival und einem wissenschaftlichen Symposium; denn am Beispiel dieses Komponisten zeigt sich exemplarisch, wie die Propagierung der Kompositionen Hand in Hand mit deren wissenschaftlicher Aufarbeitung gehen muss. So hat das noch junge Lachner Raff-Archiv massgeblich zur Edition einiger Werke beigetragen wie auch bezüglich Sammlung, Archivierung und Bereitstellung von Dokumenten bereits Hervorragendes geleistet.

Dabei gilt es nach wie vor, das Interesse an diesem Komponisten durch die Erforschung der Biografie und des Umfeldes, des ästhetischen Hintergrunds und der schöpferischen Entwicklung zu wecken. Zu diesem Zweck haben Raff-Archiv und -Gesellschaft nach vier Jahren zum zweiten Mal Forschende nach Lachen eingeladen.

Raff hat sich nach seinem Abschied aus der Schweiz bald in Weimar im Kreis um Franz Liszt aufgehalten, sich dort früh auch mit dem Phänomen Wagner auseinandergesetzt, was sich in seinen Schriften wie in seinem rasch anwachsenden Œuvre kundtat. Nach Anstellungen in Wiesbaden und vier Jahren als Gründungsdirektor von Dr. Hoch’s Konservatorium in Frankfurt am Main verstarb er am 25. Juni 1882.

Archivalien statt Einordnung

Eröffnet wurde die zweitägige Veranstaltung mit einer Diskussionsrunde zur Edition von Raffs Werken unter der Leitung von Hans-Joachim Hinrichsen. Dabei ging es um unterschiedliche Quellensituationen und Detailprobleme, die nicht immer leicht zu lösen sind, durchaus aber auch um kommerzielle Aspekte. In der Folge drehten sich Vorträge um Raffs Beziehungen mit seinen zahlreichen Verlegern (Severin Kolb, Dresden/Lachen) und um die Bedeutung seines musikschriftstellerischen Wirkens für die Propagierung von Liszts Persönlichkeit und Werk in der damaligen Öffentlichkeit (Ulrike Roesler, Weimar). Raffs vielfältiges Tun und seine Verbindungen zu den verschiedenen Exponenten des deutschsprachigen Musiklebens liess bald einmal das Wort fallen, man verstehe das 19. Jahrhundert nicht, wenn man Raff nicht kenne. Daran fühlte man sich immer wieder erinnert. Sodann ging es um einzelne Werkbereiche: um Sologesänge mit Orchesterbegleitung (Lena-Lisa Wüstendörfer, Zürich), um das Verhältnis von Natur-Topoi und Formverläufen in den Landschaftssinfonien Nr. 3 (Im Walde) und Nr. 7 (Die Alpen) (Stefan Keym, Leipzig) und um die eben erst uraufgeführte Opera buffa Die Eifersüchtigen, Raffs späteste Komposition (Daniel Tiemeyer, Heidelberg). Eher den weiteren Kontext betrafen am zweiten Tag ein Referat zu Beziehungen früher Wagner-Dirigenten via Hans von Bülow zu Raff (Franziska Gallusser, Luzern) sowie eine Biografie von Raffs Ehefrau, der Sängerin und Schauspielerin Doris Raff-Genast (Heinrich Aerni, Zürich).

Da der einst gefeierte und häufig aufgeführte Komponist Raff nach dem Ersten Weltkrieg in Vergessenheit geriet, war angesichts des diesjährigen Jubiläums die Frage nach seiner Wahrnehmung im Umfeld seines hundertsten Geburtstags (1922) von besonderem Interesse (Simon Kannenberg, Detmold). Wieder in Raffs engere Lebenswelt führte eine Einführung in die Musikgeschichte Frankfurts, Erläuterungen zur Gründung des hochschen Konservatoriums sowie ein Einblick in Raffs nicht konfliktfreie Amtszeit an diesem Institut (Ulrike Kienzle, Frankfurt). Lagen bislang die Schweizer Jahre weitgehend im Dunkeln, so konnte Basil Vollenweider (Rapperswil) dank spektakulärer Quellenfunde manche überraschende Details zu freund- wie verwandtschaftlichen Verbindungen aus Raffs Schwyzer Schulzeit und aus seinen Rapperswiler Jahren als Volksschullehrer beitragen und diese mit späteren Verlautbarungen aus Raffs eigener Feder in Einklang bringen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Aufspüren solcher Archivalien und die Aufarbeitung ganzer Korrespondenzen selbstverständlich willkommen sind. Da aber immer öfter Werke des Komponisten zu hören sind, ist der Raff-Forschung zu wünschen, dass der Diskurs sich möglichst bald um deren Eigenart, Bedeutung und differenzierte Einordnung in die Musikgeschichte drehen wird.

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