Basler Martinů-Festtage

Nach zweijähriger Covid-bedingter Pause bot die diesjährige Ausgabe unter anderem eine Begegnung mit dem Werk des bedeutenden, hierzulande kaum bekannten tschechischen Komponisten Kabeláč.

Seit ihren Anfängen 1995 haben sich die Martinů-Festtage als fester Teil des Basler Musiklebens etabliert. Im Kern sind sie der Pflege und Verbreitung des grossen und vielgestaltigen Œuvres von Bohuslav Martinů verpflichtet, der ab 1956 als Gast von Paul Sacher auf dem Schönenberg in Pratteln bei Basel gelebt hatte, bevor er 1959 in Liestal verstarb. Unter der künstlerischen Leitung des Pianisten Robert Kolinsky gelang es, namhafte Künstlerinnen und Künstler für das Festival mit seiner vielseitigen Programmierung abseits ausgetretener Pfade zu gewinnen. Es dürften denn auch diese zwei konsequent verfolgten Qualitäten sein, die dem Festival in den letzten Jahren eine Ausstrahlung weit über Basel hinaus verschafft haben, wovon nicht zuletzt ein hochkarätiges Ehrenpatronat mit Bundesrat Alain Berset und der slowakischen Staatspräsidentin Zuzana Čaputová zeugt.

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Die Zürcher Sing-Akademie zusammen mit dem Ukrainischen Rundfunkchor in der Kulturkirche Paulus in Basel

Miloslav Kabeláč im Mittelpunkt

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Organist Sebastian Heindl

Einen spannenden Gegenpol zu Martinů bildete im diesjährigen Programm das hierzulande ausserhalb Kennerkreisen wohl nur wenig bekannte Werk des Komponisten und Dirigenten Miloslav Kabeláč (1908–1979). Zentrales Stück des Eröffnungskonzertes am 23. Oktober in der Kulturkirche Paulus war dessen achte Sinfonie Antiphonen op. 54 für Sopran, gemischten Chor, Schlaginstrumente und Orgel. Zwischen 1969 und 1970 auf Texte aus dem Alten Testament entstanden, ist sie eine anklagende Reaktion auf den Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes in die Tschechoslowakei 1968 und die Niederschlagung der Reformbemühungen des Prager Frühlings. Eine herbe, erweitert-modale Tonsprache, starke rhythmische Impulse und dynamische Extreme prägen das in fünf Sätze und vier Zwischenspiele gegliederte Werk. Grossartig war die Wiedergabe der überaus anspruchsvollen Sopranpartie durch Aphrodite Patoulidou; beeindruckend in Präzision und Präsenz die Realisierung der Schlagzeugpartien durch Mitglieder der Percussions de Strasbourg, jenes Ensembles, welches 1971 die Uraufführung in Strassburg bestritten hatte. Das Zusammengehen der Zürcher Sing-Akademie und des Ukrainischen Rundfunkchors – seine Präsenz verlieh der Thematik eine beklemmende Aktualität – gelang hier ebenso glänzend wie in Martinůs Vier Lieder über Maria für gemischten Chor H 235 und Der Berg der drei Lichter für Männerchor und Orgel H 349. Ebenso brillierte an diesem Abend der deutsche Organist Sebastian Heindl in Kabeláčs Zwei Fantasien op. 32 und Martinůs Vigilie H 382. Was der 1997 Geborene, der 2019 als jüngster Finalist den renommierten Longwood-Gardens-Orgelwettbewerb gewann und im Juli zum Kirchenmusiker der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin berufen wurde, an Transparenz und Farbenreichtum auf der für das Repertoire des 19. und 20. Jahrhunderts ideal disponierten Orgel der Pauluskirche darzustellen und auszuleuchten vermochte, war nichts weniger als sensationell.

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Die Sopranistin Aphrodite Patoulidou brillierte in Miloslav Kabeláčs «Antiphonen»

Von Fee bis Film

Neben einem Konzert mit grossen Besetzungen umfassen die Martinů-Festtage traditionell ein Kammermusikkonzert, einen Kinoanlass sowie ein Jazz- und ein Familienkonzert. Letzteres liess, inspiriert von der Märchenerzählung Bětuška und die Waldfee (Božena Nĕmcová ), eine andere Seite Kabeláčs entdecken; auf dem Programm standen neben Dětem op. 22 (Kleine Orchestersuite für Kinder) die Suite Modré Nebe (Blauer Himmel) op. 19a für Kinderchor und Orchester, Kammerwerke von Martinů (Nonett Nr. 2 H 374 und Serenade Nr. 3 H 218) sowie die Kinderlieder H 184bis (Ausführende: Ensemble le raid merveilleux, Kinder der Primar- und Orchesterschule Insel; Stefano Mariani, musikalische Leitung). Dem Werk des legendären Songkomponisten Burt Bacharach (geb. 1928), der in den Fünfzigerjahren mit Marlene Dietrich auf Tournee war und unter anderem bei Martinů studiert hatte, war das Jazzkonzert am 30. Oktober im Bird’s Eye gewidmet (Martina Barta, Vocals; Matti Klein, Klavier; Niklas Lukassen, Bass; Genius Wesley, Drums). Martinůs Biografie stand im Mittelpunkt des am 1. November im Stadtkino Basel gezeigten Films Mein Leben mit Bohuslav Martinů (Regie: Jakub Sommer).

Gleich zwei Entdeckungen präsentierte schliesslich das Kammerkonzert am 6. November im Hans-Huber-Saal mit Steven Isserlis, Violoncello, und Connie Shih, Klavier: die Uraufführung von Kabeláčs im Manuskript überlieferten Drei Stücken für Violoncello solo sowie die Deux ritournelles pour violoncelle et piano op. 25 der hochbegabten, jung verstorbenen tschechischen Komponistin, Dirigentin und Martinů-Schülerin Vítězslava Kaprálová (1915–1940). Neben Martinůs Sonate für Cello und Klavier Nr. 1 H 277 stand weiter Schumanns Adagio und Allegro für Violoncello und Klavier op. 70 auf dem Programm.

Der Schreibende besuchte das Eröffnungskonzert Mene Tekel am 23. Oktober in der Kulturkirche Paulus, Basel.

Weitere Informationen unter www.martinu.ch

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