Experimentieren als Programm

Sonic Matter, das junge Zürcher Festival für experimentelle Musik, fand zum zweiten Mal statt. Unter dem Motto «Rise» gab es rund 20 Veranstaltungen in unterschiedlichen Formaten. Der Fortbestand des Festivals steht noch offen.

Abschlussveranstaltung im Walcheturm. Foto: Kira Kynd

Das Publikum muss mit einem Platz am Boden in der Mitte des Raumes Vorlieb nehmen. Die Bühne und die Stühle an den Wänden sind für die Ausführenden reserviert. Diese: ein Dutzend Schülerinnen und Schüler der Kantonsschule Im Lee Winterthur. Da wird mit den Fingern geschnippt und auf die Schenkel geklopft. Eine Gruppe versucht sich als DJ und mischt die Musik zusammen, die sie zuvor selber aufgenommen hat. Eine andere Gruppe bringt mit ihren Computern Alltagsgeräusche wie Regen, Stimmengewirr, Glocken oder Autolärm zum Klingen. Die Präsentation im Theaterhaus Gessnerallee ist das Resultat eines edukativen Projekts. In mehreren Workshops unter der Leitung der Soundforscherin Iva Sanjek und des Perkussionisten Roman Bruderer haben die Schüler ein Programm erarbeitet, bei dem sich alles um das Hören dreht. Die Darbietung macht den Beteiligten offensichtlich Spass – grosse Kunst für die Ewigkeit will hier niemand bieten.

Von Zürich bis nach Uganda

Dass am Musikfestival Sonic Matter auch eine solche Veranstaltung Platz findet, ist bezeichnend. Als «Klingende Materie» werden nicht nur Kompositionen, sondern jede Art von Klangquellen verstanden. Dem vollendeten Werk stehen das Ausprobieren und Experimentieren gegenüber. Auch das Scheitern ist eine Möglichkeit. In diesem weit gefassten Neue-Musik-Begriff unterscheidet sich Sonic Matter deutlich von seinem Vorgängerfestival, den Tagen für Neue Musik Zürich, das sich im Kern der komponierten Musik widmete. Während die «Tage» von der Stadt Zürich veranstaltet wurden, handelt es sich bei Sonic Matter nun um eine eigenständige Trägerschaft. Die künstlerische Leitung obliegt der Komponistin und Musikpädagogin Katharina Rosenberger und der Kulturmanagerin und Journalistin Lisa Nolte.

Die zweite Ausgabe des Festivals Anfang Dezember stand unter dem Motto «Rise». Rosenberger versteht den Begriff nicht nur im Sinn von «aufsteigen» oder «wachsen», sondern auch als «aufbegehren» oder «Widerstand leisten». Neben der musikalischen rückt für sie somit auch die gesellschaftliche Bedeutung in den Blickpunkt. Damit verband sich das Motto bestens mit dem geografischen Fokus auf der Subsahara. Symptomatisch war da etwa die Zusammenarbeit mit dem ugandischen Festival Nyege Nyege, mit Künstlern, welche die postkolonialen Spuren in ihrer Gesellschaft aufarbeiten.

Vom Konzert bis zur Listening Lounge

In der Roten Fabrik, der Tonhalle, der Gessnerallee, im Kunstraum Walcheturm oder im Freien wurden ganz unterschiedliche Formate präsentiert, die vom traditionellen Konzert bis zur Klangperformance und zur Listening Lounge reichten. Auf einem hohen künstlerischen Niveau stand das Konzert des Tonhalle-Orchesters unter der Leitung des Komponisten und Dirigenten Peter Ruzicka. Einen kräftigen Akzent setzte hier die Uraufführung seines Konzerts für Viola und Orchester, das der Bratschist Nils Mönckemeyer mit Hingabe interpretierte. Gedanklich kreist das Werk um den Dichter Paul Celan und seinen Widerstand gegen den Naziterror. Eine Rarität bot auch die Aufführung der vierten Sinfonie von George Enescu, für den sich Ruzicka immer wieder einsetzt. In der Instrumentierung von Pascal Bentoiu wirkt das Werk allerdings wie ein schwer verdauliches, monströses Gebilde.

Konzert des Tonhalle-Orchesters unter der Leitung von Peter Ruzicka. Foto: Kira Kynd

Ganz auf der experimentellen Schiene bewegte sich die Abschlussdarbietung im Walcheturm. Die Installation Limbo und die Performance Ring sind beide einem spirituell-religiösen Hintergrund verpflichtet und lösten beim Publikum starke Assoziationen aus. Mit Ring des Komponisten und Stimmkünstlers Antoine Läng und seines Künstlerkollektivs war eine weitere Uraufführung des Festivals zu erleben. Sie setzt das Phänomen des Alpsegens in den Bergen akustisch mit Megafonen, portablen Lautsprechern, Elektronik, Stimmfragmenten und Instrumentalsplittern um. Unterschiedliche Echoeffekte ergaben sich nicht zuletzt dadurch, dass die Performance sowohl drinnen im Saal als auch draussen auf dem Zeughaushof ausgeführt wurde. Schade, dass die ursprüngliche Idee, auch das Publikum sich frei zwischen drinnen und draussen bewegen zu lassen, im letzten Moment fallengelassen wurde.

Antoine Läng in der Performance «Ring». Foto: Kira Kynd

Wie geht es mit Sonic Matter weiter? Zurzeit befindet sich das Festival in einer dreijährigen Pilotphase, die von der Stadt Zürich mit insgesamt 850 000 Franken subventioniert wird. Eine externe Firma nimmt in dieser Zeit eine Evaluation vor. Von deren Ausgang hängt es ab, ob die Stadt weiterhin Subventionen zahlt und ob somit das Festival weitergeführt werden kann. Im Sinn einer Bereicherung der (nicht nur zürcherischen) Neue-Musik-Szene wäre das sehr zu begrüssen.

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