Interdisziplinäre musiktherapeutische Ansätze

Referate und Workshops brachten den Teilnehmenden einer Tagung in Basel fachübergreifende Methoden in der Kunst- und Musiktherapie näher.

Mireille Lesslauer an der Fachtagung Musiktherapie vom 21. April 2023. Foto: Wolfgang Werder

Die Integration in den Klinikalltag hat wesentlich mitgeholfen, die Musiktherapie vom eher belächelten Wellness-Angebot zur medizinisch anerkannten Therapie zu entwickeln. Kaum mehr wegzudenken ist sie in Neonatologie, Palliativmedizin, Onkologie, Neurorehabilitation und weiteren Abteilungen. In der Schweiz hat in dieser Hinsicht der Instrumentenbauer und Musiktherapeut Joachim Marz an der Rehaklinik Bellikon längere Zeit Pionierarbeit geleistet, gemeinsam mit der Fachkollegin Susanne Bossert. Seit letztem Jahr führt er die in Bellikon zur Tradition gewordenen, stark praxisorientierten Fachtagungen an der Rehab Basel weiter, nun zusammen mit der dort tätigen Musiktherapeutin Mireille Lesslauer. Thema heuer: «Die Bedeutung und die Wirkungen von interdisziplinären Methoden der Kunst- und Musiktherapie», und damit die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Musiktherapie und Kunsttherapie der Neurorehabilitation.

Im Alltag einer Rehaklinik kann die Musiktherapie auf zwei Ebenen ihre Stärken ausspielen. Zum einen kann sie psychologische Prozesse begleiten oder mitgestalten, die unabdingbar sind, wenn Betroffene nach Unfällen oder gesundheitlichen Schicksalsschlägen wieder ins Leben zurückfinden müssen. Zum andern kann sie Retrainings von Körperfunktionen in ganz praktischer Art unterstützen, etwa wenn es darum geht, nach einem Schlaganfall Körpersymmetrien wiederherzustellen.

Zeitgeist und körperlicher Erfahrung

Dass die Musikpsychologie sich dabei den gegenwärtigen, auch ideologisch geprägten Auseinandersetzungen in der Emotionspsychologie nicht ganz entziehen kann, zeigten an der Basler Tagung Diskussionen darüber, wie weit Emotionen biologisch vorgeprägt seien. Analog der Ablehnung biologisch festgelegter Geschlechtsidentitäten in der Genderforschung verfechten jüngere Forscherinnen Vorstellungen einer ausschliesslich kulturell geformten Emotionalität. Im Vortrag der Hamburger Kunsttherapeutin Judith Revers wurde dabei der Wille deutlich, die Komplexität interkultureller Kommunikationsprozesse zu respektieren, zum Beispiel in der Musiktherapie mit Flüchtlingen. Allerdings droht dabei ein Rückfall in überwunden geglaubte Vorstellungen vom grundsätzlichen exotischen Anderssein fremder Kulturen. Da treffen dann radikal linke Konzeptionen auf nationalistische Vorstellungen.

Im einem der Workshops wurde das Liegemonochord ausprobiert. Foto: Joachim Marz

Die Tagung in Basel zeigte allerdings auch, dass sich die Musiktherapie auf einem anderen Gebiet in eine Richtung bewegt, die glücklicherweise völlig konträr zum Zeitgeist scheint: Während sich die aktuelle Musikproduktion mit digitaler Produktion und dem Aufkommen von Instrumenten der künstlichen Intelligenz immer weiter entkörperlicht, so offeriert die Therapieform genau das Gegenteil: spezielle Instrumente, die Klang und Musik leibhaftig erfahrbar machen. Spür- und hörbar war das in Basel in einem Workshop mit Monochorden, auf die man sich legen kann oder die auf den Köper gelegt werden können. Schwingungen werden dabei nicht bloss gehört, sondern über die Körperresonanz direkt wahrgenommen.

Hören als Brückenfunktion

Der Hörsinn ist der erste, den heranwachsende Menschen entwickeln, und es ist der letzte, der in den Randregionen des Todes zerfällt. Besondere Stärken hat die Musiktherapie deshalb nicht zuletzt in der Behandlung von Wachkomapatienten. Ein Akzent der Tagung lag denn auch auf Forschungen in diesem Gebiet. Die an der Rehab Basel tätige Physiotherapeutin Katharina Braune untersucht in Zusammenarbeit mit der Musiktherapie und der Pflege im Rahmen einer Masterarbeit in mehreren Einzelfallstudien den Einfluss des Liegemonochords auf das Bewusstsein von Patienten, die sich als Folge schwerer Hirnverletzungen im Zustand des reaktionslosen respektive geminderten Bewusstseins befinden.

Dorothea Dülberg, Lehrmusiktherapeutin der Deutschen Musiktherapeutischen Gesellschaft wiederum zeigte auf, wie «intermediale Quergänge als fliessende Wechsel von Methoden und Medien Wandlungsprozesse stimulieren und unterstützen können». In ihrem Workshop verband sie Musik, Malerei, Poesie und Bewegung im Raum zum multidimensionalen Nachspüren innerer Stimmen.

 

Tagungsprogramm

 

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