Eine verunglückte Oper am Theater Basel

Trotz Staraufgebot mit Geigerin Patricia Kopatchinskaja und Klarinettist Reto Bieri bleibt «Vergeigt – Oper» in der Regie von Herbert Fritsch seltsam blass und plakativ. Bewegung statt Musik, Farben statt Texte. Trost gibt es bei einem Schauspiel von Altmeister Christoph Marthaler.

 

Foto: Thomas Aurin/Theater Basel

Etwas vergeigen steht für das Scheitern schlechthin. Der Begriff kommt bekanntlich von etwas auf einer Geige falsch spielen und meint alltagssprachlich etwas vermurksen, versemmeln, versieben, kurzum, etwas zu einem veritablen Misserfolg machen. Unter dem Titel Vergeigt haben der mit seinen absurden Klamauk-Inszenierungen bekannt gewordene deutsche Theaterregisseur Herbert Fritsch – etwa Ligetis Anti-Oper Le Grande Macabre in Luzern 2017 – und die weltweit präsente moldauisch-österreichisch-schweizerische Meistergeigerin Patricia Kopatchinskaja, die sich vermehrt bei ihren inszenierten Konzerten auf (stark) überzeichnete Figuren verlegt, für ein gemeinsames Projekt zusammengespannt. Auf Wunsch des Regisseurs haben sie den Versuch unternommen, das «Nicht-Beherrschen» für die grosse Bühne des Theaters Basel theatralisch respektive als «Oper» umzusetzen.

Mittel dazu war primär die Improvisation. Ziel dieses Projekts sei es, so steht es auf dem Programmblatt, spielerisch herauszufinden, wo Musik anfange und wie sie aufhöre. Die Ratlosigkeit wird zum szenischen Motor erklärt. Nicht nur Klänge und Geräusche, sondern auch Gesten, Grimassen, Körperbewegungen und Choreografien sollen hier zu Musik werden. Mit dabei Kopatchinskajas langjähriger musikalischer Partner und Klarinettenvirtuose Reto Bieri sowie ein hochkarätiges vierköpfiges Ensemble aus renommierten Schauspielerinnen und Schauspielern plus zwei Sänger.

«Schööööön»

Alles soll sich jeweils aus dem Vorhergehenden entwickeln – «ohne erkennbaren Sinn und Zweck», wird postuliert. Zu sehen sind dann ganz minimalistisch einige Grundgesten, die kommen jedoch rüber wie ein Faustschlag auf’s Auge: Eingangs beginnt Kopatchinskaja allein auf der dunklen Bühne mit einer wilden Improvisation, in der es vor allem quietscht und kratzt.

Erst allmählich wird die Geigerin von einem roten Beamer angestrahlt, wobei ihre immer schnelleren Bewegungen in einen heftig drehenden Derwischtanz münden, was plötzlich ebenso sichtbar wird wie ihre überbetont abrupten Streichbewegungen: Achtung, Slapstick! Nach dem Ende des Spielens plötzliche Stille: Achtung, auch das ist Musik! Danach werden Silhouetten von verschiedenen grossen, gehenden Menschenkörpern auf eine Gaze an die hintere Bühnenwand projiziert. Aus dem Schatten lösen sich plötzlich reale Akteure, die den gesamten Raum durchqueren, ohne je aneinander zu stossen. Ihr Laufen scheint immer rhythmischer zu werden: Achtung, auch das ist musikalisch! Alle tragen Aktenkoffer, die sich mit der Zeit als Bleche entpuppen, mit denen sich Theaterdonner produzieren lässt. Ja, auch Lärm ist Musik!

Dazwischen der Klarinettist mit diversen Spielgeräuschen, später auch mit einem stets repetierten Ton. Leider wurde mit diesem sonoren, spannenden Ausgangsmaterial nichts weiter gemacht. Ausser einem kurzen Volksmusikduo der beiden Starinterpreten und dem Anspiel einer bachschen Chaconne auf einem grossen Drehtisch bleibt Instrumentalmusik in dieser Produktion Mangelware ebenso wie Gesang oder Sprechtexte. Dankbar empfangene Ausnahmen sind der im achtköpfigen Chor dargebrachte Beatles-Song Because the world is round it turns me on, einige Takte aus dem Schlager Oh Donna Clara, ich hab Dich tanzen gesehn oder der mehrfach ausgesprochene Ausruf «Schööööön», das Markenzeichen der spanischen Clownlegende Charlie Rivel.

Zurechtgestutztes Scheitern

Gegen Ende gibt es artistische Einlagen mit Stürzen von der Leiter, hier von einem Tennisrichterstuhl, und als Schlusspointe das Einrollen des Gestürzten in einen roten Teppich als Referenz an das Theater Christoph Marthalers, der das Scheitern in seinen Inszenierungen so auf menschliche Masse zurechtgestutzt hat.

Was Vergeigt an Spielwitz und Musikalität missen lässt, hat Marthalers eine Woche später uraufgeführtes Schauspiel Abteilung Leben im Übermass. Als Theater in der ausrangierten Gemeindeverwaltung Birsfelden vor den Toren Basels angekündigt, entpuppte es sich als Musiktheater vom Feinsten mit Musik von Bach bis Wagner, dazwischen Hits von Schubert, sowie Texten von Marthaler über Jürg Laederach bis Gertrude Stein mit absurden Endloslisten im Dienste einer feinsinnigen Abrechnung mit der Bürokratie.

 

Aufführungen noch bis am 16. Juni 2023

 

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