«Ligeti-Labyrinth» in Basel und Budapest

Eine sehenswerte Ausstellung begibt sich auf Spuren von Ligetis Schaffen in neun sinnfälligen Modulen.

Die Originaldokumente sind auf Gitterflächen angebracht. Fotos: Philipp Emmel/Historisches Museum Basel, Musikmuseum

Das Ligeti-Jahr ist schon fast vorbei und in Zeitungen, Veranstaltungen und Radiobeiträgen wurde der 100. Geburtstag des 2006 verstorbenen ungarischen Komponisten eingehend gewürdigt. So mag es manchem wie die «Schneckenpost» vorkommen, dass die Paul-Sacher-Stiftung erst jetzt eine Ausstellung präsentiert: Im Musikmuseum des Historischen Museums Basel zeigt sie mehrheitlich Objekte des in der Stiftung verwahrten Nachlasses von György Ligeti.

Diese «späte» Ehrung hat vor allem zeitliche Gründe. Das Musikhistorische Museum Budapest – zu den Kooperationspartnern gehört das Musikwissenschaftliche Institut des Budapester Forschungszentrums für Geisteswissenschaften Hun-Ren –, wo die Ausstellung zuvor zu sehen war, hatte nur im Frühjahr 2023 Kapazität dafür, während die Basler Räumlichkeiten erst ab November zur Verfügung standen. Diese Umstände tun dem Inhalt der Ausstellung, die unbedingt zum Besuch zu empfehlen und bis am 7. April 2024 zu sehen ist, keinen Abbruch.

Sie demonstriert nicht nur den hohen Stellenwert Ligetis in der Musik des 20. Jahrhunderts, der ungebrochen andauert, sie führt uns auch in einer faszinierenden Weise an das Denken und Schaffen des Komponisten heran, wie es so bald wohl nicht mehr möglich sein wird. Essenzieller Bestandteil dieser «Reise» ins «Ligeti-Labyrinth», so der Titel der Ausstellung, sind die vielen zu bestaunenden Originale – eine Qualität, die leider immer mehr vernachlässigt wird.

Irrgarten in Gefängniszellen

Wer eine chronologische Präsentation erwartet, wird allerdings enttäuscht – zum Glück. Denn im Mittelpunkt stehen vielmehr die verschiedenen Facetten von Ligetis Denken, Schaffen und Arbeitsprozessen, die in neun Modulen ergründet werden. Themen wie «Träume und Fantasien» oder das «Netz von Stimmen» katapultieren die Kennerinnen und Kenner von Ligetis Werken sogleich in seine spezielle Welt hinein.

Ausgeheckt haben die sinnfälligen Module Heidy Zimmermann von der Sacher-Stiftung, welche den Ligeti-Nachlass seit Jahren betreut, und die ungarischen Musikwissenschaftler Anna Dalos und Márton Kerékfy. Konzept und Idee beruhen auf einer Aussage Ligetis: «Ich taste mich von Werk zu Werk vorwärts, in verschiedene Richtungen, wie ein Blinder in einem Labyrinth.» Und dieses «Ligeti-Labyrinth» findet in dem schwierig zu bespielenden Musikmuseum Lohnhof Basel mit seinen ehemaligen Gefängniszellen eine faszinierende Entsprechung.

Gezeigt wird ein breites Spektrum an Quellenmaterial, das sorgfältig ausgewählt und kommentiert ist. Gemäss Schätzungen von Heidy Zimmermann umfasst der Ligeti-Nachlass rund 25 000 Seiten Manuskript, 10 000 Korrespondenzen und 800 Fotos, Filme und Tondokumente. Ohne zu wissen, was in diesem Fundus sonst noch verborgen ist, scheint die in Basel präsentierte Auswahl stringent und spannend. So kann der persönliche Arbeitsprozess Ligetis in einmaliger Weise studiert werden.

Grafische Konzepte für musikalische Faktoren

Für seine Werke hat Ligeti jeweils seitenweise Konzept-Ideen aufgeschrieben, keine Noten, sondern Worte, wild durcheinander mit verschiedenen Buntstiften oder zum Teil auch in grafischen Darstellungen. Was auf den ersten Blick wie ein undurchdringlicher Wirrwarr erscheint, wird in Nachbarschaft zum komponierten Werk immer wieder zu einem Aha-Erlebnis. Die Begleittexte vermitteln den nötigen Hintergrund und mit dem Handy können die gezeigten Musikausschnitte auch abgehört werden.

Da ist etwa eine Skizze zum berühmten Atmosphères (1961) zu bestaunen, auf der die Musik genau beschrieben ist mit Disposition der Formteile und deren präziser Dauer. Oder es gibt eine Verlaufsskizze von Aventures (1962), die auf vier horizontal zusammengeklebten A4-Blättern die Vokal- und Instrumentalstimmen festhält, als «Zeit- und Formkontrolle», wie darauf vermerkt ist. Warum Ligeti zuerst solche aussermusikalischen Skizzen gemacht hat? «Ligeti hat erst mit 14 Jahren Klavierunterricht erhalten», erklärt Heidy Zimmermann, «er musste sich also lange Musikeindrücke vorstellen, weil er keine Schreibweise dafür hatte. Vielleicht ist das der Grund für diesen Weg.»

Verdeutlichen kann Ligetis Sonderweg das Violinkonzert (1990–1992), das im Kapitel «Stimmung und Verstimmung» thematisiert wird. Es existieren nicht weniger als fünf Blätter bunter Verbalskizzen. Kerékfy charakterisiert diese im ausgezeichneten Begleitkatalog: «Die Notizen beziehen sich teils auf die Form der Sätze, teils auf deren melodischen Inhalt und metrische Struktur. Ausserdem plante Ligeti das Grundtempo und die geschätzte Dauer.»

Ein weiteres Modul thematisiert die «Rhythmischen Entdeckungen». Es zeigt Ligetis Hinwendung zur Polyrhythmik, wie sie etwa im Klavierkonzert (1985) zur Anwendung kommt. Seine Inspiration erhielt er unter anderem durch die Musik eines zentralafrikanischen Stammes, der Banda-Linda, die aus rhythmischen Polyfonie-Patterns besteht. Ligeti besass eine Sammlung von rund 140 Schallplatten mit traditioneller Volksmusik aus aller Welt, die in einem Themenraum mit allen Covers präsent ist. Ein spannender Aspekt, der auch bei Ligeti zur Diskussion anregt. Es gibt eben viel zu sehen und zu lesen in Basel.

Eine Zelle zeigt Covers der Plattensammlung Ligetis. Foto: Philipp Emmel/Historisches Museum Basel, Musikmuseum

Ligeti-Labyrinth – HMB

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