«Ein bisschen an den Basler Madrigalisten riechen»

Nur wenige Absolventinnen und Absolventen des Masters in Chorleitung finden eine Anstellung in einem professionellen Chor. Mit dem Schweizer Chorleitungspreis «Swiss Made» soll nun dieser Berufseinstieg gefördert werden.

Masterclass Chorleitung mit Maija Gschwind; Raphael Immoos stehend im Hintergrund Foto: Benno Hunziker

Die Schweizer Musikhochschulen bieten ausgezeichnete Ausbildungsangebote für Chorleitende. So weit, so gut, aber was mit den Absolventinnen und Absolventen nach der Ausbildung geschieht, liegt grundsätzlich nicht mehr im Zuständigkeitsbereich der Hochschulen. Raphael Immoos, ehemaliger Professor für Chorleitung an der Basler Musikhochschule und seit zehn Jahren Leiter des traditionsreichen Gesangsensembles Basler Madrigalisten, setzt sich mit diesem Übergang auseinander: «Für hochkarätig ausgebildete Chorleitende mit Masterabschluss gibt es nach dem Studium zu wenige weiterführende Angebote. Es klafft eine Lücke zwischen Studium und Beruf.» Es gebe zwar hervorragende Masterclasses fürs Chordirigieren, wie kürzlich jene mit Florian Helgath und der Zürcher Sing-Akademie, doch bildeten solche Angebote eher die Ausnahme. Die meisten Chorleitenden verrichteten ihre Arbeit im Amateursektor und bekämen selten die Chance, mit professionellen Ensembles zu arbeiten. Wenn also Chorleitende Karriere mit professionellen Chören machen wollen, sind sie nach dem Studium auf Fördergefässe angewiesen.

Wettbewerb und Masterclass in einem

Immoos hat sich vorgenommen, zusammen mit seinem Profichor für diesen Bedarf ein Angebot zu entwickeln. Nachdem er im letzten Jahr die Lehrtätigkeit aufgegeben hatte, war die Zeit reif dafür. Der Internationale Lyceum Club war bereit, unterstützend mitzuwirken. Diese Institution ist seit vielen Jahren unter anderem als Sponsorin von Musikwettbewerben der besonderen Art aktiv. Viele weitere Geldquellen mussten freilich genutzt werden, um das Unterfangen umsetzen zu können. Ein Wettbewerbskonzept völlig neu zu denken und entwickeln zu dürfen, bedeutete für die Madrigalisten eine grosse Chance. Immoos war es wichtig, einen Wettbewerb mit Fördercharakter zu entwickeln, der sich nachhaltig auf die Fortentwicklung der Teilnehmenden auswirken kann.

Das Besondere an seinem Wettbewerbskonzept sind die Coachings in Form von Workshops und Masterclasses. Donnerstag bis Samstag, 15. bis 17. Februar, gab es fachliche Einzelbetreuung durch Raphael Immoos und Körperschulung durch die Physiotherapeutin und Dozentin Johanna Gutzwiller sowie insgesamt zweieinhalb Stunden Probezeit pro Teilnehmenden, während der die vorgegebenen Stücke mit dem Chor unter Aufsicht des Dozenten und der Dozentin erarbeitetet wurden. Samstagnachmittag war Generalprobe, und am Abend erklang das von Radio SRF 2 Kultur aufgezeichnete Konzert. Die fünf Finalteilnehmenden, die aus den elf Bewerbungen ausgewählt wurden und für die Coachings je einen Betrag von 800 Franken zahlten, «durften ein bisschen an den Madrigalisten riechen», schmunzelte Immoos.

Alle zwei Jahre soll der Wettbewerb in Zukunft durchgeführt werden – so der Plan –, und in den Zwischenjahren darf der Preisträger oder die Preisträgerin ein Projekt mit den Madrigalisten planen, proben und aufführen. Jeder Teilnehmer, jede Teilnehmerin erhält neben dem Zertifikat für die Finalteilnahme eine professionelle Tonaufnahme und ein Video- Dokument, die es ihnen erlauben, sich für anspruchsvolle Anstellungen zu bewerben

Anspruchsvolle Literatur, gedrängtes Konzertprogramm

Das Programm war vom Veranstalter vorgegeben worden. Es handelte sich ausschliesslich um zeitgenössische Schweizer Musik. Ausgehend von Heinz Holligers komplexem und gesellschaftskritischem Werk hölle himmel nach Gedichten von Kurt Marti hatten sich die jungen Kandidatinnen und Kandidaten mit Stücken von Thüring Bräm, Walter Courvoisier, Conrad Beck, Hans-Martin Linde, Javier Hagen und Frank Martin auseinanderzusetzen – wahrlich keine leichten Aufgaben. Immoos war es wichtig, dass alle mindestens ein Stück von Heinz Holliger einstudierten, das sie in kürzester Zeit zur Konzertreife bringen mussten.

Im Verlauf der Aufführung wechselten sich die vier Dirigentinnen (Maija Gschwind, Anna Kölbener, Chiara Selva, Deborah Züger) und der eine Dirigent (Grégoire May) am Pult in rascher Folge ab. Auch für die Sängerinnen und Sänger stellte diese spezielle Situation eine Herausforderung dar und sei nicht mit einer «normalen» Konzertsituation zu vergleichen, wie die Altistin Isabelle Gichtbrock in der Pause vor der Preisverleihung zu bedenken gab. Nichtsdestotrotz vermochten die erfahrenen Chorleute manch packenden musikalischen Moment zu kreieren. Die beiden Teilnehmerinnen Chiara Selva und Deborah Züger äusserten sich in der Pause begeistert vom Konzept und betonten, dass sie in der kurzen, intensiven Zeit sehr viel lernen könnten.

Deborah Züger wurde von der dreiköpfigen Jury, bestehend aus Georg Grün (Dirigent Kammerchor Saarbrücken), Jessica Horsley (Dirigentin) und Lukas Bolt (Musikkommission des Schweizerischen Chorverbands) schliesslich zur Gewinnerin erkoren, eine weitere Rangierung gab es nicht. Es sei nicht mehr als eine Momentaufnahme, welche man nicht zu ernst nehmen sollte, betonte Grün und schlug vor, die Jury beim nächsten Mal auf fünf oder gar sieben Köpfe aufzustocken.

Um die Beurteilung auf mehrere Instanzen zu verteilen, könnte man sich ausserdem überlegen, eine weitere Stimme dem Chor zu geben. Auch ein Publikumspreis würde der Veranstaltung gut anstehen. Chor und Publikum urteilen oft aus anderen Blickwinkeln als eine Jury. Dies würde das Verdikt, das ja hinter dem Weiterbildungsaspekt zurückstehen soll, etwas relativieren.

 

 

 

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