Eine Prise ESC-Verrücktheit für das Lied

«Lied Basel» führt die Art Song Challenge durch und weckt damit die internationale, diverse und poppige Seite der Gattung Lied. Die Genregrenzen seien längst durchlässig, finden klassische Konzertanbieter in Basel.

Links: Katrīna Paula Felsberga und Justine Eckhaut (Lucija Novak); rechts: Mikhail Timoshenko und Elitsa Desseva (Annemone Taake); v.o.: Gerda Iguchi (Moritz Schläfer); Nishad Pandey und Arko Mukhaerjee (zVg); Lena Kuchling und Bernhard Höchtel (Buxhofer)

Ein Knistern, aus dem sich allmählich ein gebrochener, pulsierender Akkord schält. «Sag, welch wunderbare Träume halten meinen Sinn umfangen», singt Marie Gerhardine Iguchi mit eindringlicher Stimme – den Synthesizer auf dem Schoss. Richard Wagners Wesendonck-Lied Träume erhält ein ganz neues Gewand: Klassik meets Elektronik. Bislang hat die Opernsängerin ihre beiden musikalischen Leidenschaften getrennt ausgelebt. In Träume schafft Gerda, wie sich die Sängerin bei diesem Projekt nennt, eine Synthese. Mit einem Video davon hat sie sich bei der neu ins Leben gerufenen Art Song Challenge beworben. «Ein Song ist ein Leben – zu geniessen, solange es währt, und für seine Endlichkeit zu schätzen», schreibt Iguchi dazu.

Liederabend goes Pop

Die Art Song Challenge (ASC) heisst nicht zufällig so ähnlich wie der Eurovision Song Contest (ESC), der gerade in Basel die Stadt elektrisiert. Silke Gäng, Mezzosopranistin und künstlerische Leiterin des Festivals «Lied Basel», war schon immer von der Diversität und Internationalität des ESC begeistert. Und überlegte sich, was sie vom ESC übernehmen könnte, um den klassischen Liedgesang ein wenig aufzupeppen und einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. «Das ESC-Motto ‹United by music› spricht auch mich unmittelbar an», stellt sie fest. «Wir möchten mit unserem neuen Liedwettbewerb niederschwellig jungen Sängerinnen und Sängern eine Bühne geben und sie dazu animieren, auch andere musikalische Traditionen mit einzubeziehen.»

Ähnlich wie der ESC regt auch der ASC an, in der Sprache des Heimatlandes zu singen. Ziel sei es, die Liedprogramme vielseitiger und kulturübergreifender zu machen. Und auch die strenge Form von Liederabenden zu überdenken. Um die internationale Ausrichtung zu betonen, hat sich «Lied Basel» für diesen Wettbewerb mit anderen Liedfestivals in Deutschland (Liedstadt, Heidelberger Frühling), Spanien (Schubertíada) und England (Leeds Lieder) zusammengetan. 130 Einreichungen aus 29 Ländern lautet die Bilanz der ersten, besonders auf Social Media beworbenen und online durchgeführten ASC. Die Künstlerinnen und Künstler der fünf ausgewählten Beiträge erhalten ein Konzertengagement bei einem der Festivals. Der online gewählte Publikumspreis ist mit 1000 Euro dotiert.

Pop goes Hochkultur

Dass Liederabende frischen Wind aus der Popwelt gut gebrauchen können, ist unbestritten. Wie sieht es in Basel mit anderen Veranstaltern der sogenannten Hochkultur aus? Das Sinfonieorchester Basel hat nicht nur mit dem Konzert Symphonic Games, das Soundtracks aus Videogames präsentierte, im Rahmen des ESC-Begleitprogramms gespielt, sondern war am «Klassik & Crossover Day» auch mit einem Schlagzeugensemble auf der Open-Air-Bühne am Barfüsserplatz zu hören. «Offenheit gegenüber verschiedenen Stilen und neuen Impulsen ist Teil unserer künstlerischen Haltung», sagt Elisa Bonomi, Pressesprecherin des Sinfonieorchesters Basel, und verweist auf frühere gemeinsame Auftritte mit der ESC-Teilnehmerin Anna Rosinelli und einen kommenden mit dem Schweizer Popsänger Ritschi.

Das Theater Basel bietet während des Eurovision Song Contests auf dem Theaterplatz direkt neben der offiziellen Partymeile mit dem «Pop-up Teaclub» ein «Refugium der Entspannung» mit kostenlosem Tee, Pflanzen und nachhaltigen Sofas aus Strohballen. Eigene Veranstaltungen zum Thema ESC sind nicht geplant. Aber mit Produktionen wie dem technounterlegten Es wär so schade wenn du das verpasst oder Herbert Grönemeyers Musical Pferd frisst Hut finden immer wieder popkulturell gefärbte Projekte in den normalen Spielplan. «Die strikte Unterscheidung zwischen Pop- und Hochkultur gehört längst der Vergangenheit an», lautet das Statement des Theaters Basel.

Für die Basel Sinfonietta war es wegen der eigenen langfristigen Programmplanung nicht möglich, noch auf den ESC-Zug aufzuspringen. «Inklusion, Subkulturen sowie Empowerment, besonders für marginalisierte Gruppen, sind Themen, die die Basel Sinfonietta immer wieder aufgreift», sagt Geschäftsführerin Daniela Martin. Der ESC biete viel Inspiration in Sachen visueller Inszenierung, Social Media und Stärkung der Community. Sie betont, dass sich das Neue-Musik-Ensemble durchaus auch in popmusikalischen Kontexten bewege, wie vergangene Zusammenarbeiten mit dem DJ Janiv Oron, der afrikanischen Popband Burkina Electric oder der NDR-Bigband zeigten.

In Zukunft live und vor Publikum?

Eher nach Pop klingen auch die ausgewählten ASC-Beiträge Schaun des österreichischen Duos Lena Kuchling und Bernhard Höchtel und Aam Paka von Nishad Pandey und Arko Mukhaerjee, bei dem ein traditionelles bengalisches Volkslied auf eine E-Gitarre trifft. Auch der letzte Teil von Franz Schuberts Leiermann in der faszinierenden, zweistimmigen Version der Lettin Katrīna Paula Felsberga und der Französin Justine Eckhaut verlässt den klassischen Gesang. In Zukunft möchte Silke Gäng die Art Song Challenge gerne live vor Publikum stattfinden lassen und dabei wie der ESC jedes Jahr den Ort wechseln innerhalb der vernetzten Festivals. United by Music nicht nur digital, sondern in echt. Das wär’ was.

Bis zum 17. Mai kann auf der Website von «Lied Basel» abgestimmt werden, wer den Publikumspreis erhalten soll: Link zur Website

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