Teilhaben, auch im hohen Alter

Das Theater Jungbrunnen bringt Bühnenerlebnisse zu Menschen, die nicht mehr in Aufführungen gehen können. Zurzeit ist es mit der «Lustigen Witwe» unterwegs.

Vorstellung vom 24. September 2025 mit Graziella Contratto, Katharina Willi und Eric Müller (v.l.). Foto: Pia Schwab

Gegen Schluss sind die Gesichter belebter, der Applaus weniger zögerlich als am Anfang. Rund dreissig Personen haben hier im Gesundheitszentrum für das Alter Langgrüt in Zürich soeben das einstündige Musiktheater nach Franz Lehárs Operette Die lustige Witwe verfolgt. Nun verlassen sie den Raum, der auch gleich wieder in eine Cafeteria zurückverwandelt wird. Überschwänglich ist die Stimmung nicht. «Es hat uns sehr gefallen», erklärt mir ein Ehepaar, das den Rollatoren und Rollstühlen beim Hinausgehen den Vortritt lässt. Sie seien beide erst 89, aber viele der Besucherinnen und Besucher im Saal hätten die Hundert überschritten. «Auch wenn sie es dann oft nicht mehr zeigen können: Die Freude über ein solches Erlebnis geht tief. Früher sind wir immer in die Volksvorstellungen des Theaters und der Oper gegangen, aber jetzt liegt der Besuch einer Aufführung gesundheitlich nicht mehr drin.» Sie seien sehr froh über Darbietungen gleich hier im Haus.

Man spüre, wie das Publikum das Geschehen aufsauge und dankbar sei, bestätigen Katharina Willi und Eric Müller, die eben noch auf der Bühne sangen und spielten. Olivier Tambosi, künstlerischer Leiter des Theaters Jungbrunnen, hat die Operette, eigentlich eine «grosse Kiste» mit vielen Solisten, Chor, Ballett und grossem Orchester zu einem Kammerspiel umgeschrieben, in dem die Ohrwürmer als Solostücke oder Duette erklingen, Melodien, die diese Generation wenn nicht von eigenen Theaterbesuchen, so doch aus dem Radio kennt: das folkloristische Vilja-Lied, bei dem man mitsummen kann, «Da geh’ ich ins Maxim», «Lippen schweigen» oder der «Weibermarsch», der mit einem neu getexteten Pendant in die Gegenwart geholt wird: «Ja, das Studium der Männer ist leicht …»

Dass Sängerin und Sänger «auf der Bühne» stehen, stimmt eigentlich nicht. Es gibt hier weder ein Podest noch spezielle Beleuchtung, bloss zwei Stühle. Die beiden haben in einer neu konzipierten Rahmenhandlung die nötigen Requisiten und Kostümteile in je einem Rollkoffer gleich selbst vors Publikum hingestellt. Ab und zu greift die Pianistin mit einem Kommentar in die Handlung ein oder steht kurz auf und spielt mit. Heute hat es Graziella Contratto, die den üppigen Klavierauszug zu eher chansonartigen Begleitungen reduziert hat, mit einem etwas verstimmten Instrument zu tun. Auch ist der Raum eigentlich zu niedrig für die Stimmen. Aber das spielt hier einfach keine Rolle. Die Nähe zum Publikum zählt.

Das Theater Jungbrunnen bringt schon seit bald 70 Jahren Theater und Musik zu Menschen mit eingeschränkter Mobilität. Dafür tourt es durch die ganze Deutschschweiz, am häufigsten gastiert es aber im Kanton Zürich. Der Kanton trägt viel zur Finanzierung bei, ebenso die Stadt Zürich. Das Angebot sei begehrt, sagt Sinnika Jenni, die administrative Leiterin. Zwar schreibe sie Institutionen an, aber etliche kämen auch von sich aus auf sie zu, sie könne gar nicht alle berücksichtigen. Solche Vorstellungen sind wertvolle Bausteine in den Aktivierungsbemühungen von Gesundheits- und Alterszentren. Und in der Tat: Hier an der Langgrütstrasse wurden soeben Erinnerungen wachgerufen, Ohren umschmeichelt und Augen zum Leuchten gebracht.

Das könnte Sie auch interessieren