«So ein Projekt hält die Hoffnung hoch»

Roman Melish lebt in Kyjiw und organisiert dort Liederabende. Ein Gespräch über die Ukraine im Krieg, den Verlust der Stimme, Musik als Kraftquelle und Licht in der Dunkelheit.

Roman Melish bei seinem Auftritt in Basel 2023. Foto: Lied Basel/Benno Hunziker

Roman Melish ist letztes Jahr mit seinen Mitmusikerinnen und -musikern am Festival Lied Basel aufgetreten. Dieses unterstützt ihn auch bei seinen deutsch-ukrainischen Liederabenden (Red. die SMZ hat darüber berichtet). Im Moment plant er mehrere Konzerte in Kyjiw zum Jahrestag der russischen Invasion.

 Wie geht es Ihnen?

Ich lebe noch. Ich habe ein Dach über dem Kopf, meine Familie und meine engen Freunde leben – das ist das Wichtigste. Häufig hörte ich in der Nacht russische Drohnen und Raketen und sass im Treppenhaus mit meinen persönlichen Dokumenten für den Fall, dass das Haus getroffen worden wäre. Das ist Ivanna Plish passiert, die bei den Liederabenden als Sopranistin dabei war. Am 24. Juni 2023 wurde das Gebäude zerstört, in dem sie mit ihrer Familie lebte. Jetzt ist sie gezwungen, eine Wohnung zu mieten. Ausserdem hatte ich im August meine Stimme komplett verloren.

Wie kam das?

Das passierte auf der Rückreise von Utrecht, wo ich auf einem Alte-Musik-Festival gesungen hatte. Ich weiss nicht genau, warum die Folgen so drastisch waren. Wahrscheinlich war es die allgemeine Erschöpfung nach so vielen Monaten Krieg. Man kann sich nie richtig erholen. Natürlich mussten wir uns alle an den Krieg gewöhnen, aber irgendwann streikt der Körper durch den permanenten Stress. Viele meiner Freunde sind auch krank geworden.

 Wie war es für Sie als Sänger, nicht mehr singen zu können?

Man hat alles verloren, für das man sein Leben lang gearbeitet hat. Zunächst fühlte ich, dass ich selbst verloren bin. Ich weiss auch nicht, ob die Stimme so wiederkommt, wie sie war. Zunächst versuche ich in Absprache mit meinem Arzt, in Tenorlage zu singen – und mache kleine Schritte. Wenn es gut funktioniert, dann kann ich es später wieder als Countertenor versuchen. Die ersten Wochen waren hart, als ich auch nicht sprechen durfte. Gerade, wenn ich mit Freunden zusammen war. Ich konnte meine Gefühle nicht teilen. Das war sehr schwierig. Auf der anderen Seite habe ich in dieser stillen Zeit mehr gehört und mehr beobachtet – Menschen auf der Strasse oder Bäume im Wind. Ich habe auf Dinge geachtet, auf die ich sonst nie achte.

Welche Rolle spielt die Musik in der Ukraine?

Manches Mal fühle ich keine Hoffnung. Musik ist gut, aber unsere Soldaten brauchen mehr Waffen. Und sie brauchen auch andere Soldaten, die sie ablösen. Es gibt Soldaten, die 18 Monate oder länger ununterbrochen im Krieg sind. Seit Russland 2014 die Krim und Teile des Ostens der Ukraine besetzt hat, haben wir einen ständigen Kriegszustand. Diejenigen, die nach Hause kommen, brauchen Hilfe. Sie müssen wieder resozialisiert werden. Dabei kann Musik helfen, damit sie wieder normale Gefühle entwickeln können. Taras Stoliar, der an der Front gekämpft hat und bei unseren Liederabenden an der Bandura begleitete, ist jetzt in der Truppenbetreuung engagiert und spielt Metallica-Songs wie Nothing Else Matters für die Frontsoldaten. Das hilft enorm für die Moral. Auf diese Weise erfahren sie auch Wertschätzung. Bei meinem letzten Konzert habe ich für Mütter gesungen, deren Söhne im Krieg gefallen sind. Die Mutter eines ausgezeichneten Piloten, weinte um ihren Sohn. Aber sie spürte durch die Musik, dass sie nicht alleine ist mit ihrer Trauer. Wir vergessen nie, dass dein Sohn gestorben ist, damit wir immer noch leben.

Es gibt keine Anzeichen, dass der Krieg bald endet. Am 24. Februar jährt sich der Überfall Russlands auf die Ukraine schon zum zweiten Mal. Sind Sie desillusioniert?

Natürlich habe ich geglaubt, dass der Krieg früher enden wird. Aber es bringt nichts, darüber nachzudenken – ich kann es nicht beeinflussen. Ich muss etwas tun. Ich kann spenden, ich kann auch die Wahrheit teilen mit Freunden im Ausland, um die Aufmerksamkeit hochzuhalten. Und mich bei der Armee bedanken, für das, was sie für uns tut. Ich habe auch Angst davor, dass ich selbst mal an die Front muss. Aber wir brauchen Leute dort. Unser Feind Russland hat mehr Leute. Für Putin sind Menschenleben nicht wichtig. In der Ukraine zählt jedes einzelne Leben. Ich glaube, wir werden gewinnen – ich weiss nur nicht, wie lange das dauert. Und wie viele Menschen noch sterben müssen. Es ist eigentlich ein Wunder, dass wir so lange Widerstand leisten. Wir haben eine starke Armee. Vor allem haben aber eine starke Moral und ein grosses Zusammengehörigkeitsgefühl.

Jetzt planen Sie ein paar Konzerte zum Jahrestag der russischen Invasion. Und zwar am 1., 3. und 7. März in Kyjiw. Wie ist das für Sie, diese Konzerte vorzubereiten?

Es ist schön, etwas vorzubereiten, auch wenn wir nie wissen, was morgen sein wird. Werden wir noch leben? Ich weiss es nicht, aber wir müssen nach vorne schauen. Wir werden drei Konzerte in Kyjiw geben mit Vokalquartetten von Johannes Brahms und dem Schweizer Komponisten Hans Huber, die wir kombinieren mit Werken ukrainischer Komponisten. Wir werden das alles organisieren. Und hoffen darauf, dass es stattfinden kann. Wir wissen auch nicht, ob wir Strom haben und gesund sein werden. Aber die Konzerte wären wichtig für uns – und natürlich für unser Publikum.

Wie wichtig sind diese Konzerte und die Unterstützung von Lied Basel für Sie?

Das bedeutet mir sehr viel. Eines der Ziele Russlands ist es, dass sich die Ukrainer allein fühlen. Die Russen möchten gerade mit den Angriffen auf die Zivilbevölkerung unsere Moral brechen. Die Aufmerksamkeit und Unterstützung aus Basel helfen dabei, sich nicht allein zu fühlen. Natürlich fühlen wir uns manchmal völlig erschöpft und hoffnungslos. Aber so ein Projekt hält die Hoffnung hoch. Auch von unserem Konzert in Basel am 21. April 2023 können wir noch lange zehren. Das war ein Licht in der Dunkelheit. Und wir brauchen weiterhin dieses Licht, um es anderen weitergeben zu können.

Red. Das Gespräch wurde Ende November 2023 via Online-Schaltung geführt. In den März-Konzerten werden unter anderen Ivanna Plish, Sopran, und Roman Melish als Tenor zu hören sein. Weitere Informationen zu den Konzerten über die Webseite von Lied Basel.

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