Über Musik urteilen

Ein Sammelband fragt nach Wesen und Hintergründen von Beurteilungen in der Musik.

Foto: Stefanie Salzer-Deckert/pixelio.de

Musikmachen heisst Kritisieren, heisst die Frage stellen: gut oder schlecht? Musiker und Musikerinnen kritisieren sich selbst, die Lehrenden, die eigenen Schüler, andere Interpreten, Aufnahmen usw. Kenner kritisieren, noch lustvoller aber Liebhaber. Wie äussern sich Musikwissenschaftlerinnen, Vertreterinnen «des Fachs» (fünfmal im Vorwort auf S. 5), zu «Urteil und Werturteil in der Musik»? «Geschmacksurteile» sind auf diesem Niveau verpönt, vielmehr sollten «qualifizierte Hörer» relevante «Sachurteile» fällen. Carl Dahlhaus (gestorben 1989) vertrat noch die Ansicht, solche Urteile müssten auf musikalischer Analyse beruhen. Davon ist man heute weit entfernt. Man könnte fast sagen: Je kompetenter ein Urteil ist, desto mehr widerspiegelt es seine eigene Zeit; denn Werturteile im Rahmen der Künste sind weder nur in der Sache selbst noch in den darüber Urteilenden, sondern stets kulturell begründet und damit wechselnden Einflüssen und Moden unterworfen.

Die meisten der Beiträge zu einer Hamburger Tagung im Herbst 2013 kommen zu diesem Schluss, egal ob Gounods Bach-Bearbeitung Ave Maria, Johann Mattheson oder die Musik von Erik Satie, ob die Rezeption von Friedrich Witts pseudo-beethovenscher Jenaer Symphonie oder von Hans Rotts E-Dur-Sinfonie als Beispiele gewählt sind. Komplizierter wird es, wenn der Humor hineinspielt, wenn also die Musik selbst schon auf einer Unterscheidung von gut und schlecht beruht und die Zuhörenden dies merken sollten. Dass das Urteilsvermögen des Musikverlegers prophetische Züge, jedenfalls finanzielle Konsequenzen hat, ist eine weitere Spielart von impliziter Kritik. Wenn heute, in einer kommerzialisierten Welt, Kunst problemlos neben Nicht-Kunst steht, wird jedes Urteil schwierig. Darum kommt Manfred Stahnke zum Schluss: «Letztlich hat für uns nur das ‹Wert›, was an unsere Seele kommen kann. Und die ist kommerzfrei» (S. 188). Ist das ein Plädoyer für die Wiederauferstehung des reinen «Geschmacksurteils»?

Ich lese den Band mit Interesse, nicht weil er grundlegend Neues enthält, sondern weil die Gedankengänge der Schreibenden, ihre Argumente, Quellen und Illustrationen Unbekanntes entdecken lassen. Nur: Warum bleiben Musik-, Literaturwissenschaftlerinnen und Komponisten unter sich? Haben sie dazu mehr zu sagen als jene Musikkritiker und -rezensentinnen, deren Tagesgeschäft sich um «Urteil und Werturteil in der Musik» dreht, mithin um die Frage: «Gut oder schlecht?»?

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Gut oder schlecht? Urteil und Werturteil in der Musik, (=Hamburger Jahrbuch für Musikwissenschaft, Band 30), hg. von Claudia Maurer Zenck und Ivana Rentsch, 188 S., Fr. 37.00, Peter Lang, Bern u. a. 2015, ISBN 978-3-631-659997-7

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