Spielpraktische Erörterungen

Eine Auseinandersetzung mit aufführungspraktischen Fragen ist auch für das 19. Jahrhundert nötig. In seiner Dissertation hat Burkhard Wind Mendelssohns Orgelwerke unter diesem Gesichtspunkt betrachtet.

Spielpraktische Erörterungen
Ausschnitt aus dem Buchcover

In seiner Besprechung von Band 7 der Studien zur Orgelmusik (SMZ 3/2020) hatte der Rezensent bedauert, dass der 2018 im Butz-Verlag erschienene Band zum Orgelwerk Felix Mendelssohns (hg. von Birger Petersen und Michael Heinemann) trotz einer Fülle an analytischen und historischen Informationen nur wenig auf explizit spielpraktische Fragen der Interpretation eingeht. Das vorliegende Buch (es handelt sich um eine Doktorarbeit, vorgelegt an der Musikhochschule Frankfurt) scheint nun erfreulicherweise eine Art «Komplementarität» dazu zu schaffen. Unter Verwendung umfassender Quellentexte aus dem historischen Umfeld des Komponisten beleuchtet der Verfasser Burkhard Wind die wesentlichen aufführungspraktischen Aspekte der Orgelmusik Mendelssohns (und darüber hinaus ganz generell der Musik der deutschen Frühromantik), d. h. Fragen zur Fingersetzung, Pedalspieltechnik, Artikulation, Phrasierung und Interpunktion, Akzentuierung, Ornamentik und Tempo. Einzig Mendelssohns instrumentale Vorlieben und seine Registrierpraxis werden vom Autor – unter Verweis auf bereits existierende Arbeiten – nicht weiter ausgeführt. Die Fülle des Materials zeugt von einer akribischen Sichtung der vorhandenen Primärquellen, in erster Linie deutsche Orgelschulen aus dem ersten Drittel des 19. Jahrhunderts (oft für die Lehrerausbildung an Seminarien geschrieben und daher relativ grundlegend), Klavierschulen sowie musikästhetische Schriften aus der Zeit Mendelssohns und seiner Lehrer. Dazu kommt eine gründliche Auseinandersetzung mit zahlreichen Sekundärquellen rund um Mendelssohns Orgelmusik bis in die jüngste Zeit, die im einleitenden «Literaturbericht» knapp dargestellt und dann in den einzelnen Kapiteln teilweise noch eingehender – teilweise auch kritisch – kommentiert werden.

Fazit: eine wichtige und grundlegende Arbeit, die auf eindrückliche Weise zeigt, dass eine vertiefte Auseinandersetzung mit aufführungspraktischen Fragen auch bezüglich der Musik des 19. Jahrhunderts nötig geworden ist, da unsere Zeit durchaus nicht mehr in einer ungebrochenen «Traditionslinie» zur Epoche Mendelssohns steht.

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Burkhard Wind: Zur Aufführung der Orgelwerke Felix Mendelssohn Bartholdys, 280 S., € 48.00, Georg Olms, Hildeshe

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