Freunde beidseits des Eisernen Vorhangs

Meinhard Saremba zeichnet in seinem Buch die Künstlerfreundschaft von Britten und Schostakowitsch nach.

Berliner Mauer am Bethaniendamm in Berlin-Kreuzberg 1986. Foto: Thierry Noir/Wikimedia commons CC BY-SA 3.0 unported

Das Wagnis hat sich gelohnt, die beiden Komponisten aus dem Schatten der Politik zu holen, den englischen, Benjamin Britten (1913–1976), in der Zeit des Niedergangs eines Weltreiches, und den russischen, Dmitri Schostakowitsch (1906–1975), in der schreckenerregenden Sowjetzeit. Die 1960 eher zufällig sich ergebende Bekanntschaft, welche sich über die schier unüberwindliche Grenze des Kalten Krieges hinweg zur Freundschaft entwickelte, wird in den verschiedensten Facetten von künstlerischen und menschlichen Bezügen dargestellt. Allen Widerwärtigkeiten zum Trotz konnten sie sich sechs Mal treffen, sowohl in Aldeburgh wie in Moskau und auf der gemeinsamen Reise in Armenien (Sommer 1965).

Dabei bemüht sich der Autor, politische Grossereignisse wie die Kubakrise 1962, den Einmarsch der Warschaupakt-Staaten in die Tschechoslowakei 1968 und die hitzige Diskussion in Grossbritannien um das Festival sowjetischer Musik 1972 in die Auseinandersetzungen um die Entwicklung der Neuen Musik einzubauen, ohne den Fokus auf die beiden Künstler als bedrohte Existenzen zu vernachlässigen. Denn unter diesem Aspekt wurden sie vor und nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion als Komponisten völlig kontrovers beurteilt, und die Diskussionen in Ost und West setzen sich heute unvermindert fort, da beide kaum je der Avantgarde zugezählt werden konnten und ihre Werke deshalb oft unter ihrem Wert be- und abgeurteilt wurden.

Zitate in Überfülle aus englischen und russischen Quellen – in weit über tausend Anmerkungen ausgewiesen – ersetzen oft eine vom Autor erwartete Stellungnahme. Primär aber geht es ihm nicht darum, die Werke neu zu beurteilen, sondern er beleuchtet die teilweise vergleichbaren schwierigen Umstände, unter denen die Werke entstanden sind, neu. Da sich beide Komponisten mit den politischen Ereignissen beschäftigen mussten und dadurch oft, aber nicht immer, ungewollt zu Mitbeteiligten wurden, erforderte dies umfangreiche Recherchen im privaten Umfeld. Der «Bedeutungswandel von Werten und Worten» oder Details zum Kulturaustausch-Abkommen zwischen Grossbritannien und der UdSSR im Jahr 1959 führen weit darüber hinaus, eröffnen aber oft Einblick in schon vergessene Vorkommnisse in der Zeit des Kalten Krieges.

Solche Überblicksbetrachtungen bergen allerdings die Gefahr, dass die geopolitischen Aspekte, aus der eingeengt kulturellen Perspektive begriffen, einer gesamthistorischen Beurteilung nicht immer standhalten. Hingegen ist es verdienstvoll, dass der Autor versucht, auch die problematischen Seiten der in Aussenseiterrollen gedrängten Individualisten zu beleuchten.


Meinhard Saremba: Keeping the cultural door open. Britten und Schostakowitsch. Eine Künstlerfreundschaft im Schatten der Politik, 518 S., € 28.00, Osburg-Verlag Hamburg, Eimsbüttel 2022, ISBN 978-3-95510-295-1

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