Andrew Holland verlässt Pro Helvetia

Andrew Holland, seit 2012 Direktor der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia, gibt sein Amt per Ende April 2017 ab. Nach insgesamt 12 Jahren Tätigkeit für Pro Helvetia habe er sich aus persönlichen Gründen dazu entschieden, schreibt die Stiftung.

Foto: zvg

Die Direktion der Pro Helvetia ad interim übernimmt ab 1. November 2016 Sabina Schwarzenbach, Leiterin des Bereichs Kommunikation, in Zusammenarbeit mit den weiteren Mitgliedern der Geschäftsleitung.

Andrew Holland steht laut der Mitteilung der Stiftung Pro Helvetia bis Ende April 2017 zur Verfügung, um eine reibungslose Übergabe seines Amtes sicher zu stellen. Anlässlich der ordentlichen Sitzung vom 30. November 2016 wird der Stiftungsrat das weitere Vorgehen zur Nachfolge bestimmen.

Seine Tätigkeit bei Pro Helvetia begann Andrew Holland 2004 als Leiter der Abteilung Tanz. Von 2009 bis 2012 leitete er den Bereich Förderung und war stellvertretender Direktor.  Die Direktion übernahm er als Nachfolger von Pius Knüsel im November 2012.

 

 

 

Finanzspritze für die Schweizer Musikedition

Die Schweizerische Gesellschaft für Neue Musik SGNM gewährleistet mit einem zinslosen Darlehen die Liquidität der Schweizer Musikedition SME

Foto: Andrea Kusajda/pixelio.de

Angesichts der labilen finanziellen Lage der SME zu Beginn des laufenden Jahres und der dringend anstehenden Aufgaben, unter anderem der Verknüpfung der beiden Webseiten musinfo.ch und musicedition.ch, ermöglicht die SGNM mit einem zinslosen Darlehen von 5000 Franken der SME, ihre laufenden Arbeiten zwischenzufinanzieren.

Die SME hat nach dem überraschenden Tod ihres Präsidenten Hans-Jürg Meier im Dezember 2015 unter Roman Brotbeck und Thomas Gartmann ihren Vorstand erweitert und den Präsidenten der SGNM Javier Hagen in ihren Vorstand gewählt, was der Zusammenarbeit beider Musikorganisationen und Dienstleister, wie an diesem Beispiel ersichtlich, zugute kam.

Die SGNM ist die 1922 gegründetete Schweizer Sektion der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik (International Society for Contemporary Music ISCM) und das Schweizer Relais zum internationalen Netzwerk der ISCM. Die SME ist der Schweizer Komponistenverlag und betreibt auch die Schweizer Datenbank zur Neuen Musik musinfo.ch.
 

Gute Sänger tragen grosse Krawatten

Bach, Beethoven oder Messiaen liessen sich von Vogelgesängen inspirieren. Wenn man auf einem Frühlingsspaziergang vom Vogelgesängen begleitet wird, lassen sich denn auch Parallelen zur Musik erkennen, wie Heinz Richner vom Institut für Ökologie und Evolution der Universität Bern zeigt.

Männliche Kohlmeise mit schwarzer «Krawatte». (Bild: Heinz Richner, UniBE)

Das Singen und Spielen von Intervallen verlangt eine hohe Kontrolle, gepaart mit  präzisen Sinneswahrnehmung und einer schnellen Justierung falls das gesungene Intervall zu hoch oder zu tief ausfällt. Diese Präzision benötigen auch Kohlmeisenmännchen (Parus major) während der Brutzeit. Sie singen unermüdlich einen zweisilbigen Gesang. Ein einzelnes Exemplar hat ein Repertoire von bis zu sechs verschiedenen Gesängen. Der Gesang dient dazu, das Territorium gegenüber Rivalen zu markieren und mögliche Fortpflanzungspartnerinnen anzulocken.

In einer Studie geht der Berner Forscher Heinz Richner nun von der Hypothese aus, dass die Präzision der gesungenen Intervalle verschiedener Kohlmeisenmännchen ein Indikator für deren Attraktivität oder sozialen Status sein kann.

Kohlmeisen gehören zu den optisch auffälligsten Singvögeln: Der schwarz-weisse Kopf kontrastiert mit dem leuchtenden Gelb der Vorderseite, in dessen Mitte eine mehr oder weniger breite «Krawatte» aus schwarzen Federn auffällt. Frühere Studien haben gezeigt, dass die Krawattengrösse ein Indikator für Attraktivität, sozialen Status, Fortpflanzungserfolg und Resistenz gegen Parasiten ist.

In der Studie wurden Männchen mit einem computergenerierten Meisengesang zum Singen animiert, deren Gesang aufgezeichnet, die Schwingungsfrequenzen der beiden Töne des zweisilbigen Gesanges mittels Computersoftware berechnet, und damit die Abweichung zum naheliegendsten Intervall bestimmt. Danach wurden die Männchen vermessen und die Bauchseite fotografiert, um die Breite und Fläche der schwarzen Krawatte zu bestimmen.

Die Ergebnisse zeigen, dass die Sänger präziser Intervalle und mit grossem Gesangsrepertoire auch diejenigen mit grosser Krawatte sind. Somit kann ein Rivale oder eine mögliche Partnerin die Qualität eines Männchens nicht nur an der Krawatte, sondern auch aus grösserer Distanz und im dichten Wald einschätzen. Es ist die erste Studie, die für eine Tierart einen Zusammenhang zwischen individueller Qualität und der Präzision der gesungenen Intervalle herstellt.

«Es ist erstaunlich, dass Kohlmeisen dieselben Intervalle benutzen, auf denen auch die Tonleitern westlicher Musik in der reinen Stimmung beruhen», sagt Heinz Richner. Deshalb habe die neue Studie nicht nur hohe Relevanz für das Verständnis der Evolution akustischer Kommunikation bei Tieren – sondern potenziell auch für die Evolution der Musik.

Originalartikel:
Heinz Richner: Interval singing links to phenotypic quality in a songbird. Proceedings of the National Academy of Sciences PNAS, 2016, DOI: 10.1073/pnas.1610062113

 

Mister Café Bar Mokka überraschend verstorben

Beat Anliker, als Betreiber des Thuner Café Mokka ein Urgstein der Schweizer Rock- und Popszene, ist überraschend gestorben. Am 1. November hätte er den Thunpreis 2016 entgegennehmen können.

Beat Anliker (Bild: Stadt Thun/zvg)

Beat Anliker alias Pädu MC Anliker ist laut der Begründung der Behörden zum Thunpreis eine der bekanntesten Persönlichkeiten der Stadt – und ein Unikum. Mit seinem Kulturlokal Café Bar Mokka hat er aus einem ehemaligen Jugendhaus einen renommierten Club gemacht und die Stadt Thun damit auf die Landkarte der wichtigen Konzertorte der Schweiz gehievt. Mit über 100 Konzerten pro Jahr ist das Lokal beim Publikum wie bei Musikerinnen und Musikern gleichermassen beliebt und strahlt weit über die Grenzen Thuns hinaus.

Bekannte Schweizer aber auch internationale Musikgrössen, Slam Poeten sowie andere Kunstschaffende treten regelmässig in dem Club auf. Der Musikkenner Anliker gab aber auch jungen Musiktalenten immer wieder die Möglichkeit, erste Erfahrungen auf der Bühne zu sammeln und war damit auch ein wichtiger Förderer der regionalen Musikszene. 30 Jahre führte Beat Anliker, der sich selbst MC («Master of Ceremony») Anliker nannte, seinen Club mit grosser Leidenschaft.
 

Kolossale Ratterharmonie

Erstmals ist das Zusammenspiel von Tinguelys vier «Méta-Harmonien» und des fahrbaren «Klamauk» zu erleben – eine aussergewöhnliche Klangerfahrung. Ein reichhaltiges Beiprogramm rundet die Ausstellung bis am 21. Januar 2017 ab.

«Fatamorgana – Méta-Harmonie IV» (Detail), 1985. © Museum Tinguely, Basel; Foto: Christian Baur,© 2016, ProLitteris, Zürich; Foto: 2016 Museum Tinguely, Basel; Daniel Spehr

Wir sehen Räderwerke, die in rostigen Rahmen hängen. Die grossen Räder greifen ineinander und assoziieren verrückte überdimensionierte Uhrwerke, Fantasiemaschinen, rätselhafte mechanische Apparate. Zerbrochene Musikinstrumente und Klangkörper sind den Maschinenkonstruktionen eingearbeitet. Symbole aus dem Fundus der Kunstgeschichte neben Industrie- und Alltagsgegenständen in überraschenden Funktionen, Glasschüsseln, Ölfässer, Jauchelöffel und Schlackehammer komplettieren die Kolossalskulpturen. Trotz des Rostes und der zahlreichen Spuren von Vergänglichkeit überwiegen bunte, fröhliche Farben. Im Ruhezustand und auf den ersten Blick ähneln sich die vier Musikmaschinen, doch ihr Klangbild ist völlig unterschiedlich. Ein Knopfdruck erweckt sie zum Leben, und dann entfalten sie für ein paar Minuten ihre ganze Individualität.

Méta-Harmonie I ist die melodischste, Geige und Tasteninstrumente sind zentrale Elemente. Verborgen im Getriebe dreht sich ein Gartenzwerg mit Akkordeon wie besessen um seine eigene Achse. Kinderspielzeug ist sehr präsent, eine Pinocchio-Figur aus Holz gleitet über die Tasten eines zerstörten Klaviers. Der Versuch, die Abfolge der Klänge den mechanischen Bewegungen und den dabei entstehenden Bildern zuzuordnen, braucht einige Geduld. Doch, da klingen Tasteninstrumente, eine Tonleiter bildet die Melodie für dumpfe Schläge und Rasseln. Zuhören, erkennen und versuchen, die Mechanismen zu verstehen, oder sich staunend dem Assoziationsfluss überlassen, beide Zugänge haben ihren Reiz.

Das opulenteste Stück der Schau ist die Méta-Harmonie 3 aus dem Jahr 1984, auch Pandämonium No. 1 genannt. Tierschädel, die mit den Kiefern klappern. Ein alter Plastikhase und eine Adlerplastik drehen sich um ihre eigene Achse, zweiundfünfzig Motoren bewegen Räder, deren imaginäre Achsen kreuz und quer durch den Raum verlaufen. Immer neue Details werden sichtbar, wenn die Aufmerksamkeit von den Klängen gelenkt wird. Die ganze Maschine ist geschmückt mit bunten Federbüscheln. Schaubuden-Lichteffekte lassen die Maschine blinken und strahlen, und man spürt, dass Tinguelys Auseinandersetzung mit dem Tod nicht tragisch oder beängstigend, sondern ein barockes Sinnenfest ist, das seinen Bezug zum Basler Totentanz nicht verleugnet. 

Tinguelys Synthese der Künste
Méta-Harmonie ist ein herausforderndes Wort. Annja Müller-Alsbach, Kuratorin der Ausstellung, erklärt es so: Die Töne, die Jean Tinguely mit seinen Maschinen erzeugt, das Schrillen und Krächzen, Rattern und Poltern, sind das Gegenteil von Harmonie. Seine Skulpturen sind keine Musikmaschinen im eigentlichen Sinn, sondern Klangmischmaschinen. Von Anfang an verwendete Jean Tinguely Töne als künstlerisches Material. Häufig greift er vorgefundene Alltags- und Industrieklänge auf, die er wie seine plastischen Objekte als Fundstücke behandelt. Der akustische Reiz, der von den Skulpturen ausgeht, soll den visuellen Reiz komplettieren. Hören und Sehen sind für das Verständnis seiner Arbeiten gleichbedeutend.

Er sah seine Méta-Harmonien als eigenständige Erscheinungen, wenn auch Bezüge zur minimalistischen Neuen Musik oder zur Fluxus-Bewegung, zu John Cage und Robert Rauschenberg erkennbar sind. Jean Tinguely ging es jedoch nicht um einen Beitrag zur Musik seiner Zeit, sondern um eine Synthese der Künste.

Der Solo-Auftritt jeder einzelnen Méta-Harmonie ist ein Erlebnis, das Staunen und Heiterkeit auslöst. Aber man sollte sich auf keinen Fall die Gelegenheit entgehen lassen, die vier Méta-Harmonien und die fahrbare Skulptur Klamauk, die die Serie ergänzt, in Interaktion zu erleben. Dann geschieht etwas Unerwartetes: Es stellt sich tatsächlich Harmonie ein. Die Töne und Geräusche der fünf Skulpturen greifen ineinander, ergänzen sich oder heben einander auf, und es entstehen Klangbilder, die Melodien und Rhythmen ausbilden. Erstaunlich, wenn man bedenkt, dass die Arbeiten im Verlauf von acht Jahren entstanden sind und gleich an ihre Auftraggeber ausgeliefert wurden, so dass Jean Tinguely selbst nie die Gelegenheit hatte, sie im Dialog zu erleben. Das Zusammenspiel der Musikmaschinen ist in der Ausstellung mehrmals am Tag jeweils zur halben Stunde mitzuverfolgen.

Museumsdirektor Roland Wetzel betonte in seiner Eröffnungsrede die Einmaligkeit des Ereignisses: Unwahrscheinlich, dass die Grossplastiken in absehbarer Zeit wieder zusammenkommen werden. Zwei befinden sich in der Sammlung in Basel, eine in Wien, und Méta-Harmonie 3 aus Karuizawa, Japan, war acht Wochen als Seefracht unterwegs, ehe sie ihren Platz im Ausstellungsraum einnehmen konnte.

Kommission gegen Rassismus ruft zu Wachsamkeit auf

Die Schweiz dürfe kein Empfangsort für extremistische Gruppen sein, die rassendiskriminierende Gesinnungen verbreiten und zu Hass aufrufen, schreibt die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus (EKR) mit Blick auf das Konzert rechtsextremer Bands in Unterwasser vom 15. Oktober.

Foto: occhi verdi©chambo4ka/fotolia.com

Das Konzert im Kanton St. Gallen, an dem rund 5000 Personen teilnahmen, wurde von verschiedenen Bewegungen organisiert, deren Existenz und Aktionen im Rassenhass begründet sind. Obschon die Rassismusprävention nicht die Vorzensur beinhaltet, erachtet es die EKR als zentral, dass die Schweizer Behörden aller Ebenen die erforderlichen Kontrollen, welche an die Erteilung einer Bewilligung im Rahmen eines Bewilligungsverfahrens geknüpft sind, durchführen.

Wichtig sei ebenfalls, dass die Behörden in der Lage sind, die Einhaltung der Rassismusstrafnorm an öffentlichen Veranstaltungen zu überprüfen, oder allenfalls die nötigen Massnahmen ergreifen, um jeglichen Gesetzesverstoss der Justiz melden zu können. Mit Blcik auf das Konzert in Unterwasser sieht die EKR einen grossen Klärungsbedarf hinsichtlich der Mittel zur Verhinderung oder – bei Gesetzeswidrigkeit – zur Sanktionierung solcher Anlässe.

 

Plurale Positionen

Werke von Michael Wertmüller und Martin Jaggi an den Donaueschinger Musiktagen 2016

Wieder einmal: verstörende Momente. Da betritt der englische Philosoph Roger Scruton die Donaueschinger Bühne. Scruton war einst Berater von Margaret Thatcher und schrieb ein Buch über die Musik des 20. Jahrhunderts. Nun referiert er auf Englisch über zeitgenössische Musik beziehungsweise über das, was er für Neue Musik hält: über Werke Arnold Schönbergs also, über die von Pierre Boulez oder Karlheinz Stockhausen. Scrutons Schlüsse: Die Neue Musik hat sich in Systeme verrannt, habe das Ohr ebenso wenig berücksichtigt wie so etwas Nebulöses wie «physiologische Perzeptionsbedingungen». Ergo: Zeitgenössische Musik sei nur mehr eine Sache für jene Spezies, die sich zum Beispiel alljährlich in Donaueschingen trifft. Die Angesprochenen applaudierten nach dem Vortrag brav, verliessen schnell den Raum im Wissen darüber, dass es sich kaum lohne, auf den Referenten einzugehen. Allein die Auflistung Scrutons inhaltlicher Fehler würde den Rahmen sprengen. Nein: Theodor W. Adorno favorisierte keine schönbergsche Zwölftontechnik. Nein: Das Ohr ist keine überhistorische Konstante. Nein: Schon Beethoven war kein populäres Massenphänomen, das schöne Melodien schrieb, die jeder verstanden hat. Und nochmals nein: Neue-Musik-Festivals sind gut besucht, sei es in Berlin, in Stuttgart, auch in Oslo, Warschau oder eben Donaueschingen, wo sich im Gegensatz zu den 50er- oder 60er-Jahren nicht nur 50 Komponisten und Theoretiker trafen, sondern – laut Pressemeldung des Veranstalters – 10 000 Menschen, die sich öffnen und interessieren für das, womit sich heutige Komponisten und Klangkünstler beschäftigen.

Fusionen

Positionen wie die geschilderte, überaus konservative, haben sich erledigt, nicht nur in Donaueschingen. Längst findet Musikgeschichte im Plural statt – und Festivals wie die Donaueschinger Musiktage spiegeln dies wider. Der Schweizer Komponist Michael Wertmüller bringt das fantastische Jazz-Hardcore-Trio Steamboat Switzerland mit Marino Pliakas (Bass), Lucas Niggli (Schlagzeug) und Dominik Blum (Hammond-Orgel) zusammen mit dem Neue-Musik-Ensemble Klangforum Wien. Rhythmisch zupackend, dicht und energetisch geht es zu in diesem uraufgeführten discorde. Beeindruckend die Präsenz beider Formationen, die unter Leitung des Dirigenten Titus Engel unglaublich genau «auf Punkt» spielen. Wertmüller liegt wenig an organischer Geschlossenheit. Immer wieder gibt es Brüche, Zäsuren, Generalpausen, dann auch Parataktisches in Form solistisch-virtuoser Passagen der Hammond-Orgel, des E-Basses oder der Klarinetten und des Xylofons. In Sachen Begegnung von Jazz/Rock und dem, was unter Neuer Musik firmiert, ist der einstige Schlagzeuger Wertmüller erfahren. Problematisch bleibt am Ende aber doch die Klangbalance. Selbst wenn E-Bass und Hammond Orgel leise spielen, selbst wenn Lucas Niggli am Drum-Set zurückhaltend agiert – Fusion hat da seine Grenze, wo Dynamik nicht fusioniert.

«Megaheterofonie»

Letztes Jahr gab es geschlossene Einigkeit: Es war ein schlechter Jahrgang mit zuviel Konzepten und Ideen statt durchdachter Musik. Nun hörte es sich besser an. Zwar gab es auch dieses Jahr wieder Langweiliges, manchmal auch – was besser ist – danebengegangene Experimente. Andererseits bleiben nicht wenige der 17 Uraufführungen in guter Erinnerung. Abgeklärt souverän klingt das neue Konzert für Posaune und Orchester des Österreichers Georg Friedrich Haas im abschliessenden Orchesterkonzert. Haas´ Personalstil entsprechen die getragenen, mikrotonalen Klangflächen, die der Solist Mike Svoboda anreichert mit wunderbar strahlend-durchdringenden Posaunen-Tönen. Gespannt war man auf das neue Werk des 1978 in Basel geborenen Martin Jaggi. Mit seinem beeindruckenden, 2008 entstandenen Moloch für grosses Orchester frönte er noch den eher dunklen Farben. Im nun uraufgeführten Caral für Orchester beginnt es mit vier Querflöten, die – leicht mikrotonal verstimmt – eine vom Aussterben bedrohte Musikkultur vorstellen. Melodien aus den Anden, genauer: aus bolivianischen und peruanischen Hochebenen spielt das Flötenquartett, dem das Orchester antwortet in einer Art – so Jaggi selbst – «Megaheterofonie». Wie schon in Moloch gelingt Jaggi das Kunststück einer formalen Bündigkeit, ja sogar unterschwelligen Logik. Nichts bricht hier auseinander trotz aller klanglichen Widerborstigkeit, auch trotz aller so unterschiedlichen Elemente, die dem Werk ein farbiges, aber auch tiefgründiges Antlitz geben. Wiederholen wolle er sich auf keinen Fall, sagt Jaggi. Aber dieses Caral erklingt hoffentlich bald wieder.

Siehe auch: Bericht von Marco Frei in der NZZ vom 19. Oktober 2016

Link zum Bericht

Musikpreise 2016 des Kantons Bern

Die mit je 15‘000 Franken dotierten Musikpreise 2016 des Kantons Bern gehen an den Komponisten Christian Henking, die Violinistin Patricia Kopatchinskaja, den Sänger Andreas Schaerer und das Solo-Projekt Strotter Inst. von Christoph Hess. Die Jazz-Pianistin Marie Kruttli erhält den Nachwuchsförderpreis «Coup de cœur 2016» in der Höhe von 3’000 Franken.

Strotter Inst. Foto: zvg

Christian Henking studierte bei Cristobal Halffter und Edison Denissov. Wichtige Impulse erhielt er von Wolfgang Rihm und György Kurtag. 2014 wurde seine Oper «Figaro¿» am Theater Orchester Biel Solothurn uraufgeführt.

Die Violinistin Patricia Kopatchinskaja, die seit vielen Jahren in Bern lebt, trat als Solistin mit zahlreichen renommierten Orchestern Europas auf, an der Seite von Dirigenten wie Sir Roger Norrington, Philippe Herreweghe oder Thomas Hengelbrock.

Andreas Schaerer hat in Bern Gesang und Komposition studiert. Er musiziert mit der Gruppe «Hildegard Lernt Fliegen», im Duo mit Lucas Niggli, im Trio mit den beiden Wiener Musikern Martin Eberle und Peter Rom oder seit neustem mit Bobby Mc Ferrin. Schaerer unterrichtet seit 2010 an der Hochschule der Künste Bern Jazzgesang, Improvisation und Ensemblespiel.

Hinter dem Solo-Projekt Strotter Inst., in dessen Name bewusst das Instrument wie auch auf die Installation mitschwingt, steht der Architekt, Performer und Musiker Christoph Hess. In seinen Konzerten generiert er mit präparierten Plattenspielern sich immer komplexer aufschichtende Klang- und Rhythmusstrukturen.

Nachdem sie bereits einige Jahre klassische Musik studiert hatte, entdeckte die Pianistin Marie Kruttli den Jazz für sich. Sie setzte ihre Studien in Lausanne bei Emil Spanyi fort, dann in Luzern bei Hans Feigenwinter. Als Komponistin und Pianistin gründete sie 2010 ihr eigenes Trio, als Pianistin spielte sie bereits mit zahlreichen bekannten Jazzmusikern.
 

Ein Wegweiser zur Musik

Mit «timpano» legt der Bosse-Verlag ein imposantes Komplettpaket für die musikalische Grundbildung vor.

Auszug aus einem der Titelblätter

Als der Pöstler die grosse Kiste bringt, staune ich nicht schlecht. timpano umfasst einen dicken Konzeptordner, drei Liederbücher und zwei Materialordner mit Arbeitsblättern. timpano ist ein Lehrmittel, nein es ist viel mehr als das, es ist ein Kompendium. Damit kann ein kompletter Musikunterricht aufgebaut werden für Kinder von 0 bis 10. Es richtet sich an Fachlehrpersonen Musik im Früh-, Vor- und Grundschulbereich, aber auch an Pädagoginnen und Kleinkindererzieher. Zudem ist es möglich, Teile davon im Frühinstrumentalunterricht einzusetzen.

Äusserer Anlass für die Schaffung des Lehrwerks war die Publikation des Bildungsplans Musik des Verbands deutscher Musikschulen. timpano liefert nun quasi das Material zu dessen Umsetzung und tut das fulminant.

Nach einer Einführung in die generelle Ausrichtung bietet das Kapitel «Grundlagen» Texte zu allen relevanten Aspekten eines frühen Musikunterrichts. Es gibt Artikel zur kindlichen Entwicklung, zum Umgang mit allen Sinnen, zum Transfer in andere Disziplinen, zur Arbeit mit den Eltern, um nur wenige zu nennen. Anschliessend folgt das eigentliche musikalische Material. Themenzentriert bietet timpano über 100 komplette, sehr ausführliche Lektionsvorbereitungen an. Das Liedmaterial ist oft neu komponiert worden, auf den beiliegenden drei CDs können alle Hörbeispiele angehört werden. Die Musikauswahl ist sorgfältig, da gibt es richtig viel zu entdecken: Jazz, aussereuropäische Musik, aber auch klassische Stücke ausserhalb des allgemein bekannten Kanons. Extrem hilfreich ist, dass es zusätzlich einen tabellarischen Überblick über alle Themenkreise gibt, dank dem man sich sehr schnell zurechtfindet.

Die drei illustrierten Liederhefte in einem etwas kleineren, handlichen Format sollen helfen, dass die erlernten Lieder den Weg vom Unterricht ins familiäre Repertoire finden können. Einen Teil der Lieder kann man anhören, die Arrangements sind ausgesprochen abwechslungsreich und transparent gesetzt, die CDs so konzipiert, dass man sie getrost ins Kinderzimmer geben kann. Sie tragen dem Umstand Rechnung, dass kleine Kinder noch relativ wertfrei auf die verschiedenen Stile reagieren.
Die zwei Materialordner bieten Zusatz-(Arbeits-)blätter für den Unterricht: Vorlagen, die kopiert, ausgefüllt oder koloriert werden können.

Fazit: Da waren Profis überaus sorgfältig und mit enormer Sachkenntnis am Werk. Wer im Bereich der musikalischen Bildung für diese Altersstufen tätig ist, wird in timpano eine wahre Fundgrube an spannenden Musikstücken, Liedern und Ideen entdecken. Ich bin überzeugt, dass es in kurzer Zeit in jede Musikbibliothek Eingang finden wird. Die Investition lohnt sich.

Vielleicht noch das winzige Härchen in der Suppe: timpano ist das Gemeinschaftswerk von fünf Autorinnen und einem Autor. Jeder Text, jedes Lied, ja jede Idee wird einem von ihnen zugeordnet, zum Teil an verschiedenen Stellen mehrmals. Vielleicht wäre da etwas weniger mehr gewesen.

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timpano. Elementare Musikpraxis in Themenkreisen für Kinder von 0 bis 10, Komplettpaket, BE 2827, bis 27.2.2017 € 159.00, danach € 184.00; alle Teile auch einzeln erhältlich; Bosse Verlag, Kassel 2016, www.timpano.de
 

Zwei Elegien

Vieuxtemps und Glasunow zeigen die Bratsche als leidenschaftlich, brillant und melodisch.

Henri Vieuxtemps (signature non identifiée : Bouchot ?). Gallica Digital Library/wikimedia commons

Der «Löwengeiger» Henry Vieuxtemps schrieb die Elégie op. 30 als sein erstes Werk für Bratsche und führte sie 1848 in St. Petersburg auf. Da der Widmungsträger Graf Wielhorski auch ein begabter Cellist war, arrangierte Vieuxtemps sie auch für Cello. Die düster-leidenschaftliche f-Moll-Stimmung hellt sich im As-Dur-Mittelteil auf, und nach der Reprise folgt eine brillante Coda, deren Sextolenmuster auch vorher in vielen überraschenden Überleitungen und in der Klavierstimme aufscheint. Wunderschön verknüpft der Komponist alle Register der Viola. Die von Tabea Zimmermann bezeichnete zusätzliche Stimme enthält alle Fingersätze der Erstausgabe, ergänzt sie sinnvoll, aber überlädt sie mit zu vielen Zahlen in der gleichen Lage.

Der schon an seiner 4. Sinfonie arbeitende 28-jährige Alexandre Glasunow schuf 1893 mit seiner Elégie op. 44 eines der schönsten romantischen Originalwerke für Bratsche und Klavier. Die im 9/8-Takt fliessende Melodie wird von einem differenziert ausgestalteten Klavierpart begleitet. Wie in der Elégie von Vieuxtemps ist die Klavierstimme mit Fingersätzen von Klaus Schilde versehen und die Violastimme von Tabea Zimmermann bezeichnet.

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Henry Vieuxtemps, Elégie op. 30 für Viola und Klavier, Urtext hg. von Peter Jost, HN 1229,
€ 11.50, G. Henle, München 2014

Alexandre Glasunow, Elégie op. 44, für Viola und Klavier, hg. von Dominik Rahmer, HN 1241, € 9.00, G. Henle, München 2014

Föhn – ein musikalisches Wetterspiel

Zum wetterleuchtenden Vermächtnis von Urs Widmer in der Vertonung von Fortunat Frölich nach einer Idee von Christian Zehnder.

Foto: bratispixi/flickr.com

Eine volkstümliche Redensart nennt den Föhn den ältesten Bewohner der Innerschweiz. Wer dort einen Föhnsturm erlebt hat, weiss, dass man diesen heissen Wind auch als Ur-Musiker bezeichnen könnte, denn er singt, pfeift, braust und donnert, er lässt alles, was nicht niet- und nagelfest ist, scheppern, klirren, poltern.

Der Initiant der Oper Föhn, die 2014 auf der grossen Bühne des Theaters Basel uraufgeführt wurde, der Sänger und Regisseur Christian Zehnder, fragt sich denn auch zurecht, warum dieses Phänomen nie in Musik umgesetzt worden sei. Wohl finden sich Anklänge an die Musik der Alpen als couleur locale in romantischen Bühnenwerken mit schweizerischem Inhalt und in sinfonischen Werken mit pastoralen Motiven, aber an die zerstörerische Kraft der Berggeister erinnert in neuerer Zeit erst Heinz Holligers Alb-Cheehr von 1991.

Wer die wenigen szenischen Aufführungen der Oper verpasst hat, kann nun zu einem mit Natur- und Theaterfotos ausgestatteten, vom Verlag rüffer & rub sehr schön gestalteten Buch mit CD greifen: Föhn, ein Mythos in Wort und Musik.

Die Interpreten entsprechen jenen der Basler Produktion. Sie haben das Werk mit dem Ensemble Phönix Basel unter der Gesamtleitung von Erik Oña aber neu eingespielt und dabei die Abfolge der Rezitationen in Standardsprache (Sprecher: Hansrudolf Twerenbold), der gesprochenen Dialoge in einem Gemisch von Urnerisch und Obwaldnerisch des Bauernpaares (Carina Braunschmidt und Martin Hug), der Männerchorpartien (Vorbereitung Fritz Näf) und der Gesangsteile (die dänische Koloratursopranistin Susanne Elmark als Föhnfrau und als Berg und Wetterrufer der Jodel- und Obertonsänger Christian Zehnder) leicht verändert.

Aufgabe des Kammerorchesters ist es, vor allem mit Blas- und einigen Streichinstrumenten, E-Gitarre, Klavier, Perkussion und Geräuschen, lautmalerisch Wind, Lawinen, die rohe Gewalt der Natur im Tosen und Kesseln nachzuzeichnen. Der Komponist arbeitet mit seriellen Elementen, verwendet bis zu zwölftönige Cluster, komponiert aber auch frei in unterschiedlichen Klängen, ja, verarbeitet in den Chorpartien Kühreihen und das Kopfmotiv zum Volkslied Lueget vo Bärge und Tal.

In den gesprochenen Passagen beklagen die Bergler den Föhn. Er sei schuld an erotischer Erregung, an Schmerzen und Leiden. Hilflos nimmt die Bäuerin Zuflucht zu einem Zauberspruch: «Rämpä, mämpa, dWelt isch scheen / Hä kä Ängscht, dü bleede Feehn.» Dennoch donnert der Berg zu Tal. Nur der Föhn bleibt. Der Bauer und die Bäuerin halten sich an den Händen.

Das Libretto bezeugt ein letztes Mal die überbordende Fantasie, die Sprachgewandtheit und die Liebe zur Umwelt des Dichters. Urs Widmer erlebte die Aufführung, in der er als Erzähler vorgesehen war, nicht mehr. So ist Föhn – ein zyklisches Wetterspiel im gedruckten, gesprochenen und gesungenen Wort zum wetterleuchtenden Vermächtnis geworden.

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Urs Widmer, Fortunat Frölich, Christian Zehnder, Föhn – Ein Mythos in Text und Musik, 144 S., mit CD, Fr. 34.00, rüffer & rub, Zürich 2016, ISBN 978-3-907625-93-4

Wie durch Zufall

Kit Powell gibt in dieser Werkmonografie Auskunft über seine kompositorische Arbeit.

«Whale» für Posaune und Tonspur von Kit Powell. Bild: zvg

Mit Quite by Chance/Wie durch Zufall legt der 1937 in Neuseeland geborene und seit 1984 in der Schweiz lebende Komponist Kit Powell eine Art Summa seines Schaffens und der ihn inspirierenden und bewegenden Themen vor. Mit seiner dokumentarischen Akribie und Fülle an teilweise auch sehr persönlichen Einblicken kann das Buch einerseits als hintergründige künstlerische Biographie gelesen werden. Manches dürfte dem Schweizer Publikum dazu wenig bekannt sein, etwa Powells Pionierleistungen als Schulmusiker in Christchurch, Neuseeland, oder die prägende Zusammenarbeit mit dem 1937 geborenen neuseeländischen Dichter und Psychologen Michael Harlow.

Kern des durchgehend zweisprachig (englisch/deutsch) gehaltenen Buches sind aber die mit wunderschönen Notenbeispielen versehenen Werkbeschreibungen, die uns ein Œuvre vor Augen führen, dessen Umfang, konzeptionelle wie gattungs- und besetzungsmässige Vielfalt beeindrucken. Gruppiert sind die Werke innerhalb von elf Kapiteln, die bestimmten für die besprochenen Kompositionen besonders wichtigen Aspekten gewidmet sind: Gattungen, Instrumentarium, Kompositionstechnik, aussermusikalische Einflüsse, Texte und ihre Autoren u.a. Die Werkeinführungen werden reich ergänzt durch Fotos, Pressetexte und Zeugnisse von Ausführenden und anderen Weggefährten, wodurch immer auch eine Aussenperspektive präsent ist.

Mit beeindruckender, erfrischender Offenheit legt Powell in seinen Werkbetrachtungen technische, ästhetische und philosophische Grundlagen und aussermusikalische Bezüge seines Schaffens dar. Dadurch können seine Darlegungen mitunter subjektiv und bis zu einem gewissen Grad hermetisch anmuten. Man mag auch mit der einen oder anderen Betrachtung nicht ganz übereinstimmen, wenn z. B. ein musikhistorischer Bezug in recht vergröbernder Weise hergestellt wird, doch wird man dies dem Autor nicht vorhalten, denn er führt ja keine historische Diskussion, sondern legt dar, was seine eigene Arbeit geprägt hat. Es ist vielmehr die grosse Qualität des Buches, ungewöhnlich tiefen und quasi unverstellten Einblick in das Denken eines zeitgenössischen Komponisten zu gewähren. Shon alleine als Ideensammlung und Illustration eines komplexen Verhältnisses musikalischer und aussermusikalischer Ideen und der vielgestaltigen Vermittlung zwischen beiden ist das Buch höchst lesenswert und in seiner Art einzigartig.

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Kit Powell, Quite by Chance/Wie durch Zufall,
hg. von Roger Boltshauser, 169 S., € 30.00, Pfau-Verlag, Saarbrücken 2014, ISBN 978-3-89727-505-8

Auf dem Klavierolymp

Zwei absolute Spitzenwerke des Repertoires, Klavierkonzerte von Beethoven und Mozart, in neuen Ausgaben.

Foto: Ochileer/flickr.com

Mozarts Klavierkonzert in c-Moll – bewundert nicht nur von Beethoven und offensichtlich Inspirationsquelle für sein eigenes in der gleichen Tonart – verdient unter den vielen grossartigen Konzerten des Meisters wohl einen Ehrenplatz. Anders als im Schwesterwerk in d-Moll ist der Solopart noch konsequenter mit dem Orchester verwoben, was besonders im ersten Satz zu sinfonischen Wirkungen führt. Im mittleren Larghetto dann herrscht reinste Kammermusik im Dialog mit den solistischen Bläsern. Und das Finale endet – ganz aussergewöhnlich und nicht wie bei Beethoven etwa – kompromisslos in Moll.

Ernst Herttrich vom Henle-Verlag hat nun das Meisterwerk neu herausgebracht. Der Klavierauszug, die Fingersätze, Kadenzen und Eingänge stammen von András Schiff. Der Verlag hat damit im wörtlichsten Sinne ein gutes Händchen bewiesen: Der Orchesterpart im Klavierauszug ist auf raffinierte Art einfach gehalten, fast vom Blatt zu spielen und klingt dennoch farbig. Die Fingersätze sind auch für den Normalverbraucher durchaus zu empfehlen. Nicht immer trifft das zu, wenn grosse Künstler ihre ganz persönlichen Spielrezepte zum Besten geben …

Und schliesslich überzeugen auch Schiffs Kadenzen und Eingänge, die viel Stilgefühl und Praxis verraten. Besonders bemerkenswert: Am Ende der grossen Kadenz im ersten Satz zitiert Schiff wörtlich das Ende der Durchführung und schafft so einen zwingenden Übergang ins Tutti. All diese Zusätze und auch einige Varianten aus Mozarts Feder sind unaufdringlich ins übersichtliche Notenbild integriert. Eine mustergültige Ausgabe!

Einen ganz anderen Ansatz wählte der Bärenreiter-Verlag für die neue Urtext-Ausgabe von Beethovens fünftem Klavierkonzert, das ja noch stärker zu sinfonischem Ausmass neigt. Und üppig ist auch das Resultat, das uns Herausgeber Jonathan Del Mar präsentiert. Er hat nicht nur eine grosse Studienpartitur in akribischer Kleinstarbeit von Fehlern bereinigt, sondern liefert dazu auch gesondert eine Solostimme, einen Klavierauszug und einen umfangreichen und interessant bebilderten Kritischen Kommentar.

Man kann die Sorgfalt und den Aufwand des Herausgebers nicht hoch genug würdigen. Das Problem liegt indes im Konzept: Was bringt eine gesonderte Stimme des Klaviersolos, in der nur dann und wann der Orchesterpart ersichtlich ist? Gerade bei diesem Konzert möchte man doch ständig eine Gesamtübersicht haben. Und umgekehrt ist im Klavierauszug, den Martin Schelhaas im Übrigen ganz hervorragend gesetzt hat, der Solopart nur kleingedruckt beigefügt, was optisch nicht überzeugt.

So ist also diese Neuausgabe leider weder praktisch für jemanden, der den Solopart lernen möchte, noch für den Korrepetitor und somit auch im Unterricht wenig hilfreich. Die Partitur hingegen lehrt einen viel über ein Werk, das man schon zu gut zu kennen glaubte …

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Wolfgang Amadeus Mozart, Klavierkonzert c-Moll KV 491, hg. von Ernst Herttrich, Klavierauszug, Fingersatz, Kadenzen und Eingänge von András Schiff, HN 787/ EB 10787, € 18.50, G. Henle, München/Breitkopf & Härtel, Wiesbaden 2015

 

 

 

 

 

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Ludwig van Beethoven, Konzert Nr. 5 in Es-Dur op. 73 für Klavier und Orchester, hg. von Jonathan Del Mar; Partitur, BA 9025, € 45.50; Klavierauszug von Martin Schelhaas, BA 9025-90, € 24.95; Kritischer Bericht, BA 9025-40, € 41.50; Bärenreiter, Kassel 2015

Zeitlos mitreissende Rhythmen

Was vor über 150 Jahren als virtuose Klavier-Salonmusik komponiert wurde, läuft heute in einem Arrangement für zwei Gitarren unter der Kategorie «Fingerstyle».

Foto: Lauro Maia/flickr.com

Der 1829 geborene Komponist und gefeierte Pianist Louis Moreau Gottschalk verbrachte seine Kindheit in New Orleans und seine Jugend in Paris, wo er als junger Mann unter anderem mit Hector Berlioz, Georges Bizet und Camille Saint-Saëns in Kontakt stand. Seine familiären Wurzeln lagen in England, Spanien und Frankreich; die Grosseltern lebten in der Karibik. Dieser multikulturelle Hintergrund schlug sich in einer virtuosen Handhabung verschiedener Nationalstile nieder, wobei meist die Betonung des Rhythmischen kennzeichnend war und bereits auf die Entwicklung typischer Elemente des späteren Ragtimes vorauswies. Gottschalk starb 1869, im Alter von nur 40 Jahren, in Rio de Janeiro.

Manchega ist ein Bravourstück mit spanischem Einschlag, geschrieben in einem Sechsachteltakt, der wiederum über weite Strecken in Sechssechzehntel- und Dreiachteltakte zerlegt werden könnte. In hohem Tempo gespielt, ergeben sich daraus charakteristische Synkopen. Das Arrangement des Wiener Musikers, Pädagogen und Herausgebers Michael Langer für zwei Gitarren hält sich nicht sklavisch ans Original, sondern adaptiert die Noten auf instrumentenspezifisch sinnvolle Weise, indem zum Beispiel Tonwiederholungen in der linken Hand des Pianisten in der Gitarrenbegleitstimme in passende Arpeggios zerlegt werden. Trotz hoher Lagen, schneller Läufe und einiger perkussiver Elemente bleibt das Stück gut spielbar und attraktiv.

Die tadellose Notenausgabe besteht aus einer Partitur sowie zwei Einzelstimmen mit Fingersatz- und Anschlagsbezeichnungen. Dass die grundsätzlich in «klassischer» Tradition stehende Komposition als Fingerstyle-Nummer in derselben Reihe wie Stücke von Musikern wie Paul Simon oder Carlos Santana erscheint, verwundert etwas, wird aber vom Herausgeber mit Gottschalks Aufenthalten in Lateinamerika und der faszinierenden Zeitlosigkeit seiner Musik begründet.

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Louis Moreau Gottschalk, Manchega für zwei Gitarren, fingerstyle hg. von Michael Langer, D 839, € 9.80, Dux, Manching 2015

Gospel, erfrischend anders

Peter Przystaniak hat neue Gospels komponiert und bekannte neu arrangiert.

Foto: Geoffrey Froment/flickr.com

Das Heft That’s Gospel enthält sechs Neukompositionen und ebenso viele traditionelle Spirituals in neuem Arrangement, darunter das zum Gospel-Standard gewordene Oh Happy Day. Der Chorsatz ist überwiegend vierstimmig, wird aber bei einigen Stücken durch Teilung des Soprans zur Fünfstimmigkeit erweitert. Als Begleitung steht ein ausgeschriebener Klaviersatz zur Verfügung. Die angefügten Harmoniesymbole machen aber auch eine instrumentale Ergänzung (z. B. durch Gitarre oder Bass) möglich oder erlauben ersatzweise eine vereinfachte Begleitung. Die in dieser Musik üblichen Claps und Snaps auf dem Off-Back-Beat sind an den entsprechenden Stellen in der Partitur angefügt und können bei Bedarf verändert werden. Die Solisten dürfen je nach individuellen Vorlieben bzw. Möglichkeiten Veränderung bei den Phrasings vornehmen sowie auch eigene Fill ins ergänzend beisteuern.

Die Chöre sind eingängig und mit Leichtigkeit zu bewältigen. Sie bedeuten eine Auffrischung der bisherigen Singweise.

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That’s Gospel. New Gospel Songs and Traditional Spirituals for mixed Choir (with solo Voice) and Piano, composed and arr. by Peter Przystaniak; EP 11399, mit CD, € 24.95; Klavierpart mit Solostimme, EP 11399a, Fr. 16.80; Edition Peters, Leipzig u.a. 2015

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