Freiwillige für das WJMF 2024 gesucht

Vom 11. bis 14. Juli findet das Welt Jugendmusik Festival Zürich (WJMF) statt. Helferinnen und Helfer werden Teil einer internationalen Musikgemeinschaft.

 

Eröffnungsfeier des letzten Festivals 2017. Foto: WJMF

Rund 60 Formationen aus Bulgarien, China, Deutschland, El Salvador, Hongkong, Irland, Japan, Schweden, der Schweiz und Taiwan sind laut der Teilnehmerliste des WJMF angemeldet.

Für die Betreuung der Orchester, Unterstützung der grossen Anlässe und vieles mehr sucht das Festival Helferinnen und Helfer. Wer sich beim WJMF engagiert könne wertvolle Erfahrungen in verschiedenen Bereichen sammeln, schreibt das WJMF. Total werden 450 Freiwillige gesucht.

Weitere Informationen zum WJMF über https://wjmf.ch/ und Anmeldung zur Mitarbeit https://wjmf.ch/helfer-gesucht/

Die AHV-Philharmonie spielt

Das von Bruno Schneider ins Leben gerufene Orchester aus pensionierten Berufsmusikerinnen und -musikern hat Mitte April ein erstes Konzert gegeben und den Erlös an Procap übergeben.

Foto: AHV-Philharmonie

Im Dezember 2022 beschrieb Bruno Schneider in der Schweizer Musikzeitung sein Vorhaben: «Ich lanciere daher die Idee eines schweizerischen Orchesters von Profis im Ruhestand, offen für alle Musikerinnen und Musiker, die in der Schweiz an einer musikalischen Institution gearbeitet haben und AHV beziehen. Das Ziel wären ein oder zwei Projekte unter einer zu findenden Orchesterleitung, das heisst: ein oder zwei Konzerte im Jahr, deren Erlös wir einer karitativen Organisation schenken würden.»

Ein erstes Konzert

Im Frühjahr 2024 wurde die Idee verwirklicht. Roland Perrenoud schreibt: «Die AHV-Philharmonie wurde geboren und am Freitag, 19. April 2024, um 19 Uhr getauft. Zu diesem Anlass war der Musiksaal in La Chaux-de-Fonds gut besetzt. Ein staunendes Publikum sah und hörte den grauen Köpfen zu, die mit Feuereifer ein prächtiges Programm von Mozart (Sinfonia concertante) und Dvořák (8. Sinfonie) spielten. Der Erfolg war der Leistung angemessen. Schon in der Pause war die Freude der Musikerinnen und Musiker zu spüren, ihr herzlicher Kontakt untereinander und mit dem Publikum sowie ihre Professionalität. Mit Nandingua Bayarbaatar hatten sie eine junge Dirigentin aus Ulan Bator ausgewählt. Sie hatte an der Musikhochschule in Genf studiert und ihre Eleganz und Effizienz  überzeugte alle.»

Das nächste Konzert ist für den 15. Dezember dieses Jahres in Bern geplant.

Zukünftige Rentnerinnen und Rentner sind herzlich willkommen und können sich bei Bruno Schneider, brubru@swissonline.ch, melden.

Zu den Quellen gehen und auf die Berge

Chouchane Siranossian gehört zu den wenigen Geigerinnen, die ganz selbstverständlich zwischen einem Barockinstrument und einer modernen Violine wechseln. Ein Gespräch über ihr Leben in der Schweiz und armenische Musik.

Chouchane Siranossian. Foto: Tashko Tasheff

Chouchane Siranossian, Sie sind beim diesjährigen Bodensee-Festival (27. April bis 20. Mai) Artist in Residence. Welche Beziehung haben Sie zu dieser Gegend?
Ich habe zwei Jahre in der Nähe des Bodensees gelebt, als ich Konzertmeisterin im Sinfonieorchester St. Gallen war. Ich habe sehr schöne Erinnerungen an eine Bootsfahrt mit meinen Grosseltern. Und war sehr häufig auf dem Säntis zum Bergsteigen.

Auf Ihren jüngsten Alben spielen Sie Barockvioline, im kommenden Eröffnungskonzert in Friedrichshafen dann Mendelssohn auf einem modernen Instrument. Ist dieser Wechsel nicht schwierig?
Nein. Beim Solo-Rezital in der Klosterkirche Münsterlingen spiele ich sogar beide Instrumente in einem Konzert. Es sind verschiedene Welten, zwischen denen ich mich gerne hin und herbewege. Das Barockinstrument hat Darmsaiten und ist anders gestimmt. Auch die Bögen sind natürlich unterschiedlich. In der Barockzeit haben die Musiker häufig verschiedene Instrumente gespielt.

Ihr Solistendiplom machten Sie auf der modernen Violine bei Zakhar Bron in Zürich. Danach waren sie mit 23 Jahren als jüngstes Orchestermitglied Konzertmeisterin im Sinfonieorchester St. Gallen. Wie war diese Zeit für Sie?
Ich habe sehr viel gelernt – musikalisch, aber vor allem auch menschlich. In dieser Position hat man eine grosse Verantwortung. Man ist das Bindeglied zwischen dem Orchester und dem Dirigenten. Jetzt leite ich viele Orchester von der Violine aus.

Wurden Sie gleich akzeptiert vom Orchester?
Das war zu Beginn nicht einfach als junge Frau und dazu noch als Ausländerin. Mir ging es immer um die Musik. Aber jedes Orchester ist ein Mikrokosmos, den man kennenlernen muss. Ich habe wirklich gelernt, mit Menschen umzugehen. Ich habe immer versucht, jede und jeden zu motivieren, das Beste zu geben.

Sie haben die feste Stelle aufgegeben, um nochmals zu studieren – und zwar Alte Musik bei Reinhard Goebel am Mozarteum in Salzburg.
David Stern, der damalige Chefdirigent in St. Gallen, empfahl ihn mir, weil ich viele Fragen zur Musik stellte. Und auch mich in Frage stellte. Als ich Reinhard Goebel dann kennengelernt hatte, war ich sofort fasziniert von seinem enormen Wissen über Alte Musik. Im ersten Jahr bei ihm las ich nur Bücher und studierte Manuskripte, bevor ich wieder die Violine in die Hand nahm. Diese intensive Recherche hatte nicht nur einen grossen Einfluss auf mein Musizieren mit der Barockvioline, sondern auf jede meiner Interpretationen.

Was haben Sie von ihm gelernt?
Alles (lacht). Ich habe durch ihn verstanden, dass es grosse Unterschiede gibt zwischen modernem Violinspiel und historisch informiertem. Der Ausdruck in der Alten Musik wird viel mehr mit der rechten Hand, also mit dem Bogenstrich gemacht. Ich habe gelernt, die richtigen Fragen zu stellen und immer an die Quelle zu gehen – also an das Autograf oder den Erstdruck.

Was spielen Sie lieber? Barockvioline oder moderne Violine?
Da kann ich nicht sagen. Wenn Sie mich fragen, ob ich Französin, Armenierin oder Schweizerin bin, kann ich das auch nicht sagen. Ich bin alle drei. Bei der Violine ist das ähnlich. Italienische Barockmusik spiele ich schon besonders gerne. Aber gerade der Wechsel ist für mich reizvoll.

Sie sind in Lyon geboren, haben armenische Vorfahren und leben schon lange in der Schweiz. Wo ist Ihre Heimat?
Ich lebe seit zwanzig Jahren in der Schweiz. Auch als Kind war ich oft dort, weil ich bei Tibor Varga in Sion Unterricht hatte. Die Schweiz ist mein Lebensmittelpunkt, auch wenn ich oft in Frankreich und ab und zu auch in Armenien bin.

Welche Rolle spielt armenische Musik in Ihrem Leben?
Die armenische Musik war immer präsent. Mein Vater ist auch Musiker und Spezialist der armenischen Musik. Meine Grosseltern haben oft armenische Lieder gesungen. Die armenische Kultur ist gefährdet – nicht nur durch den türkischen Völkermord 1915, sondern auch gegenwärtig in Bergkarabach, wo Armenier durch die Besatzungsmacht Aserbaidschan vertrieben wurden. Sie möchten auch unsere Kultur auslöschen, aber unsere Musik können sie nicht zerstören. Deshalb ist es wichtig, diese Musik zu pflegen und öffentlich zu machen.

Was zeichnet armenische Musik aus?
Armenien ist das erste Land, das im Jahr 301 offiziell christlich geworden ist. Deshalb spielt die religiöse Musik eine grosse Rolle. Daneben ist Volksmusik sehr wichtig. Der Komponist Komitas hat viel davon aufgeschrieben, bevor er wegen des Völkermordes, den er erleben musste, verrückt wurde. Armenien war immer eine Brücke zwischen Europa und dem Orient – das ist auch zu hören.

Auf Ihrer Website sind Sie im Abendkleid mit einer Violine in der Hand auf einem Berggipfel zu sehen. Ist das Foto echt oder eine Montage?
Natürlich echt. Bergsteigen ist eine grosse Leidenschaft von mir. Ich habe auch schon auf dem Mont Blanc Violine gespielt. 2020 war ich noch auf dem Matterhorn, bevor ich zum ersten Mal schwanger wurde.

Was gefällt Ihnen am Bergsteigen?
Die Freiheit. Der Kontakt zur Natur. In den Bergen ist man weg vom Lärm, weg von den Menschen. Diese Stille geniesse ich sehr. Bergsteigen ist für mich auch eine Art Meditation – zurück zu meinen Wurzeln. Mit zwei kleinen Kindern muss ich noch darauf verzichten, aber irgendwann kann ich sie mitnehmen in die Berge. Und im Rucksack sind sie jetzt schon dabei bei kleineren Touren.

Welche Verbindungen sehen Sie zwischen Geigenspielen und Bergsteigen?
Wenn ich mich stundenlang in der Natur bewege, kommen mir die besten musikalischen Ideen. Diese frische Luft tut mir einfach gut. Alleinsein in der Natur ist wirklich eine grosse Inspiration für mich. Musik heisst auch immer, eine Geschichte zu erzählen. Nach einer Bergtour habe ich viel neue Seelenkraft – das tut meinem Musizieren gut.

Sie konzertieren auch mit Ihrer Schwester, der Cellistin Astrig Siranossian. Ist es leichter oder schwieriger, mit der eigenen Schwester zu spielen?
Beides. Leichter ist es, weil wir uns so gut kennen und uns auch wunderbar ergänzen. Aber wir sind auch gegenseitig die grössten Kritikerinnen und in den Proben besonders streng zueinander.

Was bedeutet Ihnen Familie?
Alles. Ich kann heute auf die Bühne gehen, weil ich meine Familie habe, die mich unterstützt. Ich bin immer unterwegs mit meinen beiden Kindern. Ich bin auch mit einer sehr grossen Familie aufgewachsen. Wenn wir ein Familienfest feiern, sind wir schnell über hundert Personen.

Wagner-Manuskript nach 170 Jahren wieder in Zürich

Die Universität Zürich hat die Handschrift von Richard Wagners (1813–1883) «Mitteilung an meine Freunde» erworben. Darin nimmt der Komponist eine autobiografisch-künstlerische Standortbestimmung vor und blickt in die Zukunft. Die Erforschung des Manuskripts soll neue Erkenntnisse zu Wagners Zürcher Zeit bringen.

Manuskript «Mitteilung an meine Freunde» von Richard Wagner, 1851. Foto: Zentralbibliothek Zürich

In ihrer Mitteilung vom 24. April schreibt die Universität Zürich (UZH), Wagner habe während seines Zürcher Exils von 1849 bis 1858 neben der Arbeit u.a. an Der Ring des Nibelungen auch wegweisende musik- und dramentheoretische Schriften verfasst. «Das originale Arbeitsmanuskript einer dieser Schriften mit dem Titel Eine Mitteilung an meine Freunde ist nun nach rund 170 Jahren an ihren Entstehungsort zurückgekehrt.» Wagner habe es 1851 in Zürich Enge geschrieben. «Erschienen ist der Text im selben Jahr als Beigabe und Vorwort zu den Libretti der Opern Der fliegende Holländer, Tannhäuser und Lohengrin. Die Schrift ist eine Art autobiografische Standortbestimmung, bezogen auf die Werke vor der Revolution und das grosse nach-revolutionäre Ring-Vorhaben.»

Handschrift als Untersuchungsobjekt

Die Zentralbibliothek Zürich (ZB) bewahrt das Manuskript auf. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Zürich erforschen es. Bisher sei der Text «nur im Erstdruck sowie in der Fassung der gesammelten Schriften und Dichtungen Richard Wagners verfügbar. Die Handschrift lässt dagegen eine intensive Arbeit erkennen.» Man erwartet, dass die Forschungen «neue Erkenntnisse und Einblicke in das Werk, das Denken und das Wirken Richard Wagners in Zürich ermöglichen werden. Nach Abschluss der Forschungsarbeiten wird die Handschrift durch die ZB verfügbar gemacht werden.»

Stiftungen ermöglichten den Kauf

Der Erwerb des Manuskripts bei Sotheby’s wurde möglich dank Zuwendungen der UBS-Kulturstiftung in Zürich und der Bareva Stiftung in Vaduz. Der Kauf dieser Handschrift sei für Zürich, die UHZ und die Wissenschaft von grosser Bedeutung, sagt UZH-Rektor Michael Schaepman in der Mitteilung. Laurenz Lütteken, Co-Direktor des Musikwissenschaftlichen Instituts der UZH, wo Wagner zu den Forschungsschwerpunkten gehört, meint: «Solche hochkarätigen Handschriften Wagners sind sonst kaum auf dem freien Markt verfügbar». Das Arbeitsmanuskript der Mitteilung an meine Freunde sei «eine weitere Perle in der bedeutenden Wagneriana-Sammlung an der ZB, die Musik- und Textmanuskripte, Musikdrucke, Druckschriften und Briefe umfasst», bilanziert die UHZ.

Link zur originalen Medienmitteilung der Universität Zürich

Mutiges neues Chorkonzept in Luzern

Vor drei Jahren führte der Boys Choir Luzern eine «Carmina Burana» in choreografierten Tableaux auf. Jetzt doppelte er mit dem gleichen Konzept nach: «Bilder (k)einer Ausstellung» im April im Maihof Luzern.

Ballett der unausgeschlüpften Küken. Foto: Manuela Jans

Der 2011 von Andreas Wiedmer und Regula Schneider gegründete Boys Choir Luzern kann eine kurze und eindrückliche Erfolgsgeschichte vorweisen. Einladungen ans Europäische Jugendchorfestival in Basel, die Aufführung von Carmina Burana 2021 im Maihof Luzern, die Schweizer Erstaufführung von Les Choristes am KKL 2023 und vieles mehr zeugen von einer zielgerichteten Chorarbeit. Der Identifikationsfaktor ist hoch. Die Kinder bleiben bis über den Stimmbruch hinaus dabei und wechseln meist nahtlos in den Herrenchor. Die Knaben- und Herrenstimmen bilden heute dank einer kompetenten und ambitionierten Aufbauarbeit einen Kinder- und Jugendchor, der zu den besten Europas gehört. Besonders in letzter Zeit regnete es Auszeichnungen. Wettbewerbsgewinne und Goldmedaillen im In- und Ausland sind fast schon selbstverständlich geworden.

Il vecchio castello. Foto: Manuela Jans

Energie umwandeln

Um Knaben zum Chorsingen zu bringen, bedarf es heute anderer Rezepte, als einen zappligen Haufen ruhig zu stellen und Kinderlieder aus dem Liederbuch vortragen zu lassen. «Knaben der 4. bis 6. Klassen, die singen, gelten unter Gleichaltrigen als extrem uncool», sagt Regula Schneider. Sie hält es deshalb für sinnvoll, diese Altersgruppe separat zu betreuen, um ihre speziellen Anlagen und Bedürfnisse ideal fördern zu können. Knaben in dem Alter haben viel Energie. Es gelte, diese zu nutzen und in musikalische Energie umzuwandeln.

Chorleiter Andreas Wiedmer sagte im Porträt des Chores in der Sternstunde Musik des Schweizer Fernsehens (23.09.23): «Singen ist für die Jungen lange ein Nebenprodukt, sie könnten eigentlich auch Fussball spielen. Es geht darum, in der Gruppe zusammen zu sein, sich fordern zu lassen und sich mit den andern zu messen.» Werde zu lange am Gleichen gearbeitet, langweilten sie sich schnell. Auf ein Ziel hin zu arbeiten und häufiges Auftreten seien wichtig, um sie bei der Stange zu halten.

Sanfte Klänge zum Auftakt

Das Hauptereignis des Konzertabends im Maihof war die Uraufführung von Modest Mussorgskis Bilder einer Ausstellung in der Bearbeitung von Regula Schneider.  Vorangestellt war die Mass of the Children von John Rutter (Uraufführung, New York 2003), ein eingängiges, musicalähnliches Werk mit den traditionellen Messtexten, ergänzt mit zusätzlichen religiösen Texten. Rutter hatte es in seiner Zeit als Knabensopran immer aufregend gefunden, mit Erwachsenen zusammen an einem Konzert mitwirken zu dürfen. Deshalb schrieb er später dieses Stück für gemischten Chor und Kinderchor.

Der Boys Choir Lucerne in John Rutters Kyrie: Awake my soul. Foto: Manuela Jans

Das Ad-hoc-Orchester unter der Leitung von Philipp Hutter klang präzis und verband sich sehr gut mit dem Gesang. Die Sopranistin Samantha Herzog, der Bariton Andreas Wiedmer und die Chormitglieder Loris Sikora und Jonathan Kionke hatten wohlklingende solistische Einsätze. Der Charakter des Stücks wurde durch meist weiche, anmutige Bewegungen des Chores illustriert. Das «Qui tollis» erhielt durch markante Armbewegungen eine besondere Note. Auffallend war die selbstverständliche Bühnenpräsenz der jungen Leute, welche sich im darauffolgenden Werk noch stärker akzentuieren sollte.

Musikalische Bildbetrachtung

Zum 10-jährigen Bestehen 2021 führte der Chor Carl Orffs Carmina Burana auf. Als zusätzliche Herausforderung übernahmen die Chormitglieder die Choreografie selbst. Dabei wurde besonderer Wert auf die Umsetzung der Bildlichkeit des Werks gelegt. Der Erfolg der Aufführung weckte den Wunsch, ein weiteres Stück im gleichen Stil zu gestalten. Der Weg zu Bilder einer Ausstellung von Mussorgsky war nicht weit, zumal es sich hier um eine Art musikalische Bildbetrachtung handelt. Bewegungen und Bildinterpretationen sind in der Musik bereits angelegt.

Jetzt ging es noch darum, Gesang und Texte einzubauen. Regula Schneider nahm die Bearbeitung für Kammerorchester von Bruno Peterschmitt als Vorlage und arrangierte aus den Melodielinien eine Gesangspartitur, mehrheitlich unisono mit einigen mehrstimmigen Abschnitten. Co-Leiter Marcel Fässler schrieb dazu einen poetischen Text, der von Mussorgskis imaginärem Museumsbesucher stammen könnte. Bis auf eines versah Schneider alle Bilder mit Gesang – und es hat funktioniert! Die Originaltonarten des Stücks erwiesen sich als gut singbar. Wo es etwas hoch wurde, setzten die Herren schon mal auf elegante Weise das Falsett ein. Zusätzlich zu den rund 45 Knaben- und Herrenstimmen trat ein Frauen-Projektchor mit noch einmal an die 25 Stimmen in Erscheinung.

Der Gnom. Foto: Manuela Jans

Klare Bewegungsmuster, ausdrucksstarke Gesten

Trotz gut singbarer Musik ist es immer eine Herausforderung, gleichzeitig zu singen und sich zu bewegen. Die Choreografin Yvonne Sieber verzichtete auf zu komplexe Tanzfiguren und beschränkte sich meist auf klare Bewegungsmuster und ausdruckstarke Gesten, die den Inhalt der Bilder verdeutlichten. Eine starke Lichtregie unterstrich das Bühnengeschehen vortrefflich. Nach einem wirkungsvollen Aufmarsch der Chöre wuselten Zwerge im ersten Bild «Gnomus» über die geräumige Spielfläche des Maihof. In «Tuileries» hatten die Knaben einen erfrischenden Auftritt, während die Herren und Damen in «Bydlo» mit dem einfachen Motiv des Hinkens Wirkung erzielten.

Beim «Ballett der unausgeschlüpften Küken» waren wieder die Knaben im Mittelpunkt. Obwohl sie zunächst hinter dem Orchester aufgestellt waren, klang ihr Gesang präsent und kompakt. «Samuel Goldenberg und Schmuyle» wurde von neun Herren bestritten. Das Solo übernahm Jonathan Kionke mit seiner makellosen Counterstimme. Er ist seit Jahren Mitglied des Chors und studiert inzwischen Gesang an der Zürcher Hochschule der Künste. Mit aussagekräftigen Armbewegungen sorgten die Darstellenden im Bild «Die Hütte auf Hühnerbeinen» für inhaltliche Assoziationen. «Das grosse Tor von Kiew» war als monumentales Schlussbild gestaltet.

Zum Schluss Das grosse Tor von Kiew. Foto: Manuela Jans

Ausgabe 05/2024 – Focus «Stabspiele»

Tchiki-Duo: Jacques Hostettler und Nicolas Suter. Foto: Holger Jacob

 

Inhaltsverzeichnis

Focus

Wie zwei Seiten eines einzigen Instruments
Das Tchiki-Duo spielt Bach oder Scarlatti auf Marimbas – Interview

Ursprung und Verbreitung der Stabspiele
Kurze kompakte Geschichte

Die unbekannteren Verwandten des Drumsets
Mallets an Musikschulen

Vom Explorieren zum Musizieren
Die Rolle der Stabspiele im Orff-Instrumentarium

 (kursiv = Zusammenfassung in Deutsch des französischen Originalartikels)

Critiques

Rezensionen von Tonträgern, Büchern, Noten

Echo

Künstliche Kunst
Festival Interfinity in Basel

Partitions d’occasion en mobilité douce
Vendre par un triporteur

Auf die Pandemie folgt eine Blütezeit
26. Ausgabe von m4music

God save the «Nachwuchsarbeit»
Junger Chor Solothurn

Radio Francesco
Das Versprechen

Die Stimme einer «stummen Nation»
Das Afghan Youth Orchestra in Genf

Chatten über den Instrumentalunterricht im Aargau
Valentin Sacher und Andreas Schlegel

Carte blanche
für Jürg Erni


Basis

Artikel und Nachrichten aus den Musikverbänden

Eidgenössischer Orchesterverband (EOV) / Société Fédérale des Orchestres (SFO)

Konferenz Musikhochschulen Schweiz (KMHS) / Conférence des Hautes Ecoles de Musique Suisse (CHEMS)

Kalaidos Musikhochschule / Kalaidos Haute École de Musique

Schweizer Musikrat (SMR) / Conseil Suisse de la Musique (CSM)

CHorama

Schweizerische Gesellschaft für Musik-Medizin (SMM) / Association suisse de Médecine de la Musique (SMM)

Schweizerische Musikforschende Gesellschaft (SMG) / Société Suisse de Musicologie (SSM)

Schweizerischer Musikerverband (SMV) / Union Suisse des Artistes Musiciens (USDAM)

Schweizerischer Musikpädagogischer Verband (SMPV) / Société Suisse de Pédagogie Musicale (SSPM)

SONART – Musikschaffende Schweiz

Stiftung Schweizerischer Jugendmusikwettbewerb (SJMW)

Arosa Kultur

SUISA – Genossenschaft der Urheber und Verleger von Musik

Verband Musikschulen Schweiz (VMS) / Association Suisse des Écoles de Musique (ASEM)

 

Das Xylofon im Glaspalast
Rätsel von Pia Schwab

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Orpheus als Bilderreigen und Musikcollage

Nach vierjähriger Pause präsentiert Musikwerk Luzern Beni Santoras multimediale Inszenierung des Orpheus-Mythos. Das Basler Vokalensemble Domus Artis singt Jacopo Peris Oper «Euridice» inmitten einer filmischen Revue.

Premiere von «… und er schaute zurück» im Moderne Karussell am 11. April 2024. Foto: Musikwerk Luzern / Priska Ketterer

Beni Santora hat Musikwerk Luzern 2015 gegründet, um moderne Klassiker wie Béla Bartók oder Igor Strawinsky in neuartigen Konzertformaten aufzuführen. Das filmische Element hat ihn dabei stets interessiert. So hat er als Cellist auch Filmregie studiert und sich zum Kameramann weitergebildet. Seine multimediale Collage zur Orpheus-Mythologie … und er schaute zurück zeugt von dieser Doppelbegabung. Die Musik bekommt Zeit und Raum, um zu wirken.

Der technische Aufwand ist jedoch enorm. Die notwendige Infrastruktur fanden Santora und sein Team im ehemalige Kino Moderne. Durch den Umbau zum «Moderne Karussell» ist daraus ein grosszügiger Raum mit drei Kinoleinwänden entstanden. Fünf Hochleistungsprojektoren stehen zur Verfügung, um 360-Grad-Projektionen zu ermöglichen.

Sanft belebte Bilder

Für seine filmische Umsetzung suchte Santora weltweit nach Orpheus-Darstellungen aus 4000 Jahren Kulturgeschichte. Diese bekannteste Liebesgeschichte der Antike hat Künstler seit jeher inspiriert. Orpheus ist der griechische Held, der in die Unterwelt hinabstieg, um seine geliebte Eurydike aus dem Totenreich zurückzuholen. Bei der Rückkehr hätte er jedoch nicht zu ihr zurückschauen dürfen. Er tat es doch und verlor sie ein zweites Mal.

Die ausgewählten Bilder projiziert Santora wie in einer Galerie nebeneinander an die drei Wände: eine antike Bronze, ein frühbyzantinisches Mosaik, griechische Statuen, ein Gobelin aus dem 17. Jahrhundert oder Ölgemälde aus der Romantik. Diese Galerie-Perspektive zieht sich als roter Faden durch die Produktion. Ähnlich wie Mussorgski in den Bildern einer Ausstellung kehrt Santora immer wieder zu ihr zurück.

Foto: Musikwerk Luzern / Priska Ketterer

Grundsätzlich arbeitet er mit stehenden Bildern, die er sanft belebt. Er zoomt eines der Sujets heran, vergrössert Ausschnitte oder bewegt einzelne Figuren, und das über die drei Screens hinweg. Die Luzerner Agentur 360 Emotion hat diese «Ausstellung in bewegten Bildern» mit modernster Technik umgesetzt.

Als Zuschauer sitzt man in bequemen Kinosesseln mittendrin. Dank der ruhigen Dramaturgie hat man genug Zeit, sich die Bilder genauer anzusehen. Die Figuren werden durch die Vergrösserungen lebendig und kommen einem nahe. Längst vergangene Zeiten tauchen raumfüllend auf.

Livemusik und Tonaufnahmen

Und die Musik? Hier wagt Santora einen Dialog zwischen der Liveaufführung von Jacopo Peris Oper Euridice und Aufnahmen, die er zu den Bildern einspielt: antike römische Festmusiken, mehrstimmige Madrigale, Sinfonisches von Franz Liszt, Claude Debussy, Igor Strawinsky, Hans Werner Henze und Philipp Glass, stets mit Bezug zur Orpheus-Thematik.

Auch wenn diese Tour d’Horizon durch die Musikgeschichte auf die jeweils dargestellte Kunst abgestimmt ist, strengen die ständigen stilistischen Wechsel an. Besonders heikel aber ist das Nebeneinander von Livemusik und dem Surround-Klang über Lautsprecher. Kaum hat man sich in die Eigenart der Renaissancemusik eingehört, wird man von einer Tonaufnahme jäh wieder herausgerissen.

Doch mit der Zeit gewöhnt man sich auch daran. Peris Oper ist die musikalische Instanz, zu der man immer wieder zurückkehrt, sie bildet den erzählerischen Rahmen. 1600 in Florenz uraufgeführt, ist sie die älteste vollständig erhaltene Oper der Musikgeschichte. Überraschenderweise kann sich dieses schlichte Werk im multimedialen «Gesamtkunstwerk» gut entfalten.

Das Basler Vokalensemble Domus Artis sang die fünf Partien an der Premiere vom 11. April mit engagierter Hingabe, begleitet von Guilherme Barroso an der Theorbe und Inés Moreno Uncilla am Cembalo. Die konzertant auftretenden Sängerinnen und Sänger packten die Aufmerksamkeit mit ihrer lebendigen Artikulation und natürlichen Phrasierung.

In der Hauptpartie des Orpheus rührte einen der Tenor Cyril Escoffier mit einem hingebungsvollen Lamento. Sein warmes Timbre passte auch gut zum klaren hellen Sopran von Jaia Niborski, welche die stolze Eurydike gab. Und die reiche Farbpalette des Ensembles kam in den beschwingteren Chorliedern eindrücklich zur Geltung. So enorm der Aufwand für diese Orpheus-Produktion auch war, sie hat dem antiken Stoff ein stimmiges, modernes Gesicht gegeben.

Weitere Aufführungen: 24. und 25. April sowie 2., 3. und 5. Mai. Ab 25. April bis 13. Juni ist eine verkürzte Version ohne Domus Artis jeweils Do bis So, 16 bis 21 Uhr, zu sehen.

musikwerkluzern.ch

Foto: Musikwerk Luzern / Priska Ketterer

Neue Dozenten an der ZHdK

Die Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) hat auf das Herbstsemester 2024 zwei neue Hauptfachdozenten ernannt: Linley Marthe für E-Bass und Petter Eldh für Kontrabass Jazz und Pop.

Petter Eldh (links) und Linley Marthe unterrichten ab Herbst in Zürich. Fotos: Dovile Sermokas (Eldh) und Jeff Ludovicus (Marthe)

Als Kontrabassist, Produzent und Komponist habe Eldh, schreibt die ZHdK, «einen einzigartigen Stil geschaffen, der die Grenzen jeglicher Musikgenres hinter sich lässt.» Als Bandleader und Mitwirkender habe er mit Künstlern wie Django Bates, Kit Downes, Jameszoo und Christian Lillinger zusammengearbeitet, was zu wegweisenden Alben führte, die «sein breites Spektrum an künstlerischen Fähigkeiten zeigen und die von elektronischer Musik bis Avantgarde-Jazz reichen.»

Auch der E-Bassist Linley Marthe überwinde mit seinem Schaffen Grenzen und Genres: Sein «kulturelles Erbe dient als reiches Geflecht, das Groove-Musik und die vielschichtigen Rhythmen des Jazz mit den Melodien Afrikas und den komplexen Kompositionen Indiens verwebt. Seit 2003 war Linley Marthe ständiges Mitglied des Joe Zawinul Syndicate, wo er durch seine einzigartigen Performances ein globales Publikum faszinierte. Besonders bemerkenswert ist der Grammy Award, den er für die 75th Birthday-Tour des Zawinul Syndicate im Jahr 2007 erhielt. Kurz vor seinem Tod ernannte Joe Zawinul Linley Marthe zum künftigen Leader des Syndicate. Seither ist Linley Marthe mit den renommiertesten Jazz & World Artists rund um den Globus unterwegs.»

Dem «ausbündigen Meister» auf der Spur

Im Rahmen des 40. Festivals Alte Musik Zürich fand eine Tagung zum böhmischen Komponisten Jan Dismas Zelenka (1679–1745) statt. Die Veranstaltung am Musikwissenschaftlichen Institut der Universität Zürich wurde konzipiert und geleitet von Esma Cerkovnik.

Zelenka-Gedenktafel in Louňovice pod Blaníkem, dem Geburtsort des Komponisten fotografiert 2014 von Ivan Rozkošný/Wikicommons

Unter dem Titel Du hochgepriesener, vollkommner Virtuos: Jan Dismas Zelenka und seine Zeit bot die Tagung vom 16. März Einblicke, Einordnungen und neue Aspekte zu den vielen offenen Fragen rund um Zelenkas Leben und Werk: Wer war dieser Komponist, der sich selbst den Beinamen des «reuigen Schächers», Dismas, gab? Welche musikalischen Entwicklungen brachte der von seinem Zeitgenossen Johann Sebastian Bach hoch geschätzte Zelenka nach Dresden? In sechs Vorträgen wurden sozialgeschichtliche, ideengeschichtliche, musiktheoretische und aufführungspraktische Fährten verfolgt.

In ihrer Einführung beleuchtete Esma Cerkovnik (Zürich) den Topos des Virtuosentums ausgehend von einem Lobgedicht Johann Gottlob Kittels, eines Zeitgenossen des Komponisten, der Zelenka im «Wettstreit der Music» als «vollkommner Virtuos» bezeichnete. Anschliessend stellte Jóhannes Ágústsson (Reykjavík) neue Quellen zu Zelenkas frühen Dresdner Jahren vor mit besonderem Augenmerk auf jesuitische Kontexte. Thomas Hochradner (Salzburg) ordnete die Bedeutung von Zelenkas Lehrzeit bei Johann Joseph Fux kritisch ein. Dabei nahm er die bisherige Forschung, namentlich die Untersuchungen Friedrich Wilhelm Riedels und Wolfgang Horns, als Ausgangspunkt für eine neue Gewichtung der bekannten schriftlichen Zeugnisse. Václav Kapsa (Prag) präsentierte die böhmischen Netzwerke des Komponisten, wobei neben tschechischen Elementen in seiner Musik der musikalische Austausch zwischen Prag und Dresden – beides Wirkungsorte Zelenkas – im Vordergrund stand.

Angelika Moths (Zürich) stellte musiktheoretische Betrachtungen in Zelenkas Œuvre an. Vor dem Hintergrund von Johann David Heinichens Generalbass-Traktaten betonte sie die innovative Harmonik des Komponisten. Laurenz Lütteken (Zürich) untersuchte die Ouvertüre Hipocondrie aus ideengeschichtlicher Perspektive. Zeitgenössische Begriffsdefinitionen der Hypochondrie und Einblicke in Athanasius Kirchers Musikphilosophie boten neue Aspekte zu Zelenkas Musikverständnis in diesem Werk. Schliesslich berichtete der Organist und Dirigent Adam Viktora (Prag) von den Bezügen zu kirchlichen Kontexten mit Ausblick auf die Zelenka-Rezeption zur Zeit der sozialistischen Tschechoslowakischen Republik und präsentierte aufführungspraktische Überlegungen zu Zelenkas Musik.

Die Referentinnen und Referenten der Tagung liessen den «ausbündigen Meister» als eine vielseitige Figur der Musikkultur seiner Zeit lebendig werden und boten in ihren Beiträgen und den anschliessenden Diskussionen viele Denkanstösse für die künftige Musikforschung.

God save the «Nachwuchsarbeit»: Junger Chor Solothurn

Was ursprünglich als Corona-Projekt begann, bereichert seit 2021 das musikalische Leben der Region an der Aare. An Ostern präsentierten rund 25 junge Erwachsene unter der Leitung von Lea Scherer und Joël Morand ihr drittes Programm.

Joël Morand und Lea Scherer leiten den Jungen Chor Solothurn. Foto (Ausschnitt): Sara Affolter

Der Werdegang seiner Co-Leitung ist bezeichnend für den neuen Projektchor: Selbst in der Kindheit bereits mit der Passion für Chormusik und gemeinsames Singen infiziert, engagieren sich Lea Scherer und Joël Morand seit Jahren an den zwei grossen örtlichen Chorschulen. So sind nahezu alle Sängerinnen und Sänger des Jungen Chors im Solothurner Mädchenchor oder bei den Singknaben der St.-Ursen-Kathedrale ausgebildet worden und teilweise dort aktiv – und welch ein Pfund das ist, liess sich am 4. April beim Konzert in der Franziskanerkirche Solothurn hören.

Just Good Music

Ein anspruchsvolles britisch-schweizerisches A-cappella-Programm unter dem Titel God save the Queen music! hatten Lea und Joël zusammengestellt und vor gut besetzten Reihen mit zahlreichen jungen Zuhörenden war rasch klar: Hier wird auf hohem Niveau musiziert.

Martha von Castelbergs O bone Jesu liess klare Höhen und einen erstaunlich samtenen Tiefklang hören, gute Diktion und klare Vokalführung in Ich hebe meine Augen auf von Willy Burkhard. In der herausfordernden Kirchenakustik zwei Sätze der Messe pour double chœur von Frank Martin zu präsentieren, meisterte das junge Ensemble mit Bravour. Mit homogenem Klang (und der offensichtlichen Schulung in Vokalmusik der Renaissance) überzeugte Music divine von Thomas Tomkins, ebenso der Pyramid Song von Radiohead.

Eindringlich interpretierte das Ensemble Advance Democracy von Benjamin Britten aus dem Jahr 1938, ein Werk, welches im Vorfeld des 2. Weltkriegs zur Verteidigung demokratischer Werte aufrief. Erwähnenswert ist auch, dass auf jeglichen inszenatorischen «Firlefanz» (Zitat aus dem Publikum) verzichtet wurde und die Musik die «Queen» des Abends war.

Basisausbildung lohnt sich

Der Junge Chor Solothurn zeigt auf berührende Weise, wie wertvoll alle Bemühungen in der musikalischen Kinder- und Jugendausbildung sind. Die unzähligen Stunden Stimmbildungs-, Proben- und Projektarbeit bilden eine Basis, auch für das beeindruckende Niveau, auf welchem hier musiziert wird.

Auch wenn die Ressourcen vielleicht noch nicht allzu üppig sind und es an Zeit für zukünftig zwei Projekte pro Jahr mangelt: Hohe Ambition und Zuversicht, sich in einem stimmigen Umfeld musikalisch zu beweisen, strahlen die jungen Sängerinnen und Sänger aus. Der Junge Chor Solothurn kann auf ein unterstützendes Umfeld in der Stadt zählen und ist Mitglied des kantonalen Chorverbands.

Zwischen Jugendchor und 60+

Das Angebot schliesst eine Lücke, auf die viele junge (semiprofessionelle) Sängerinnen und Sänger stossen, sobald sie den Jugendchören entwachsen: Wo können sie mit hohem Anspruch weitersingen, sich mit Gleichaltrigen (in jedem Fall mit «Nicht-60+») musikalisch weiterbilden, gute Programme präsentieren? Unichöre haben vielleicht nicht das erhoffte Niveau, der «gap» zu den bestehenden Erwachsenenchören und den traditionellen Amateurchören scheint mitunter gross.

Die bescheidene und offensichtlich mit Herzblut engagierte Leitung des Jungen Chors versetzt die Sängerinnen und Sänger, die nur zu einem kleinen Teil eine professionelle Musikerlaufbahn anstreben, in die Lage, sich eine eigene musikalische Heimat zu errichten. Die Möglichkeit einer identitätsstiftenden musischen Betätigung im nur vermeintlich abgeschriebenen «Chorverein», noch dazu für ein begeistertes Publikum, ist in Solothurn nunmehr vorhanden.

Die nächste Generation schickt sich an, das Chorleben in der Schweiz weiterzuentwickeln und das regionale Kulturleben zu bereichern.

jungerchorsolothurn.ch

Auf die Pandemie folgt eine Blütezeit – m4music

Die 26. Ausgabe des Musikfestivals m4music war ausverkauft und geprägt von Aufschwung und Kreativität. Zu den grossen Themen gehörte nebst der Nachhaltigkeit insbesondere die künstliche Intelligenz und ihre Auswirkungen auf die Musikszene.

Foto: Jeremie Dubois

Über 6000 Interessierte besuchten Ende März 2024 m4music, das Popmusikfestival des Migros-Kulturprozents. Laut Festivalleiter Philipp Schnyder hat die Schweizer Musikszene dargelegt, dass sie ein Jahr nach der Pandemie erneut blüht, sich kreativ und voller Tatendrang präsentiert. «Trotz einiger struktureller Probleme schreitet die Professionalisierung voran», zeigt er sich überzeugt. Dies habe sich auch in den Diskussionen des Conference-Programms niedergeschlagen, an dem rund 1600 Professionals teilgenommen haben. «Es ist ein grosser Wille spürbar, gemeinsam Fortschritte zu erzielen in Fragen der Diversität und Awareness, Nachhaltigkeit und sozialen Gerechtigkeit, aber auch bei wirtschaftlichen Themen.»

Im Rahmen der verschiedenen Panels wurde unter anderem über «Fair Pay in der Musikszene» oder «Tiktok als Karrierebooster» diskutiert und auch ein Blick hinter die Kulissen von Förderinstitutionen geworfen. Unter dem Titel «Festival Utopias» berichteten Vertreterinnen und Vertreter kleiner Musikfestivals aus der Schweiz darüber, wie sie auf die voranschreitende Klimakrise reagieren: Während das in der Nähe von Lugano stattfindende Facciamo la Corte zugunsten eines möglichst geringen ökologischen Fussabdrucks nur noch Musikschaffende aus der Schweiz verpflichtet, achtet das dreitägige Buatsch-Festival im bündnerischen Tersnaus auf nachhaltige Infrastruktur und darauf, so wenig Abfall wie möglich zu produzieren.

Die Region als Zielpublikum

«Zu unseren Anliegen zählt, dass sich unser Publikum mit dem Veranstaltungsort und den dort lebenden Menschen verbunden fühlt», erklärte Eli Müller, die Teil des Organisationskollektivs von Buatsch ist. «Mit unserem Event sprechen wir in erster Linie Leute aus den umliegenden Tälern und der Region an.»

«Wir verstehen unser Festival in erster Linie als Geschenk an den Weiler Le Cerneux-Godat, auf dessen Boden der Event stattfinden kann», betonte Loris Vettese, der künstlerische Leiter des Tartare-de-Miettes-Festivals im Jura. Es zeichnet sich dadurch aus, dass das Publikum selbst bestimmen kann, wieviel Eintritt es bezahlt.

Das Tartare de Miettes verzichtet auf jegliches Sponsoring, erhält aber 6000 Franken vom Staat, was einem Zehntel des Budgets entspricht. «Wir leben vor allem davon, was unsere Besucherinnen und Besucher zu zahlen bereit sind – auch bei den Getränken», ergänzt Vettese. Das Konstrukt funktioniere, weil ausser dem technischen Personal niemand Lohn erhalte. «Was letztlich beweist, dass wir alle sehr privilegiert sind. Andernfalls wäre es uns gar nicht möglich, so viel Freiwilligenarbeit für das Festival aufzubringen.»

Propere Musik auf SRF 3?

Das Panel «Eine Liebesgeschichte: Die SRG und die Schweizer Musikindustrie» machte seinem Titel alle Ehre: Gilles Marchand, Generaldirektor der SRG, und gleich vier seiner Programmleiter betrieben zunächst viel Eigenlob. «Die Vielfalt unseres Programms entspricht der Vielfalt der Schweizer Musik», beweihräucherte Marchand die Arbeit seines Unternehmens. Dass nicht alle seine Sichtweise teilen, wurde deutlich, als Chris Wicky, Co-CEO der Schweizer Musikagentur Irascible, die Bühne betrat. Zwar sei es durchaus beeindruckend, was die SRG leiste, doch auf ihn wirke die von SRF 3 gespielte Musik ausgesprochen harmlos.

Michael Schuler, Musikleiter von SRF, verteidigte die Programmierung und erläuterte, man dürfe das Publikum nicht irritieren. «Sonst wechselt es rasch zu Streamingdiensten wie Spotify.» Moderatorin Maria Victoria Haas warf ein, dass Songs von Schweizer Musikschaffenden auf SRF 3 vorwiegend in der Nacht zu hören seien. Auf die Frage, weshalb Musik einheimischer Künstlerinnen und Künstler nicht vermehrt auch tagsüber gespielt werde, antwortete Schuler ausweichend: «Wir haben uns in dieser Hinsicht extrem gesteigert.» Immerhin: Alle Anwesenden waren sich einig, dass die SRG und die Schweizer Musikschaffenden voneinander abhängig und aufeinander angewiesen sind. «Ich hoffe, dass wir künftig enger zusammenarbeiten», schloss Schuler.

KI anwenden

Zu den heiss diskutierten Themen am m4music gehörte insbesondere die künstliche Intelligenz (KI) und ihre Auswirkungen. In seinem Keynote-Talk «Musik und KI» widmete sich der deutsche Musiker und Labelbetreiber Florian Kreier (alias Angela Aux) nicht zuletzt der Frage, wie sich die KI von Kunstschaffenden verwenden lässt. «Wer ein Handy nutzt, nutzt bereits KI», betonte der 41-Jährige und versuchte, seinem Publikum die Angst vor der neuen Technologie zu nehmen. Er lobte namentlich die Vorzüge von Softwarekomponenten wie den sogenannten Stem Separation Tools, die mithilfe von KI die einzelnen Instrumente eines Tracks isolieren, so dass man sie studieren kann. Erstaunlicherweise klingt die neue Single von Angela Aux, Traveler of the Mind, aber keineswegs nach Science-Fiction, sondern erinnert vielmehr an ein eingängiges, aber harmloses Klangpotpourri, das sich beim Pop der Siebzigerjahre bedient.

 

Armin Rüeger im Mittelpunkt

Der Bischofszeller Apotheker Armin Rüeger war mit Othmar Schoeck, dem international bekannten Komponisten aus Brunnen, befreundet. Für drei Opern Schoecks hat er die Libretti verfasst. Eine Sonderausstellung des Historischen Museums Bischofszell rückt den vielseitig Begabten in den Mittelpunkt.

Christa Liechti und die Ausstellung «Armin Rüeger – mehr als der Textdichter von Othmar Schoeck» Foto: Historisches Museum Bischofszell

Die Vernissage der Ausstellung «Armin Rüeger – mehr als der Textdichter von Othmar Schoeck» findet am 19. April um 18 Uhr in der Schniderbudig Bischofszell beim Museum an der Marktgasse 4 statt. Auf rueeger-schoeck.ch sind Informationen über die Freundschaft der beiden zu erfahren, ebenso detaillierte Angaben zur Ausstellung und den Begleitveranstaltungen.

Christa Liechti, Präsidentin der Museumsgesellschaft Bischofszell, lässt sich in der Medienmitteilung vom 3. April wie folgt zitieren: «Sie [Rüeger und Schoeck] gingen verschiedene Wege und blieben sich doch immer nah. Das macht die Sonderausstellung so spannend.»

Weitere Informationen über diesen Link.

Künstliche Kunst – Interfinity 2024

Künstliche Intelligenz treibt alle um. An der Basler Fasnacht 2024 war sie eines der häufigsten Sujets. Am Festival Interfinity ging es einige Wochen später um ihre Auswirkungen auf die Kunst, insbesondere die Musik.

Künstliche Intelligenz an der Basler Fasnacht. Foto: Daniel Lienhard

 

Die 2018 in Basel unter dem Namen Basel Infinity Festival gegründete Reihe unter der Leitung des Pianisten und Musikmanagers Lukas Loss hat sich auf die Fahne geschrieben, interdisziplinäre Veranstaltungen zwischen Musik und Wissenschaft auszurichten. Ein dreitägiger Zyklus widmete sich dieses Jahr innerhalb des zu Interfinity umbenannten Festivals vom 18. bis 20. März dem Thema «Artificial Art», den Möglichkeiten von moderner künstlicher Intelligenz (KI) (oder Artificial Intelligence, AI) und deren Auswirkungen auf Kunst und Gesellschaft. Da es zu diesem Thema durchaus noch Informationsbedarf gibt, wurden am ersten Abend im neuen Novartis-Pavillon in einer hochkarätig besetzten Podiumsdiskussion die wichtigsten Aspekte und Problematiken von KI erörtert. Moderiert von Gerd Folkers (ETH Zürich) diskutierten Bianca Prietl und Heiko Schuldt (Universität Basel), Damir Bogdan (CEO Quantum Basel), Frank Petersen (Leiter Forschung Naturstoffe Novartis) und Jan Mikolon (Quantum Basel, IBM).

Nicht mehr wegzudenken

Es ist eine Tatsache, dass sich KI in vielen Gebieten etabliert hat. Die Umwälzung ist ähnlich bedeutend wie etwa die Erfindung des Fotokopierers, des Internets oder des Smartphones, und man weiss nicht, wohin die Reise geht. Einen Weg zurück gibt es nicht mehr, und die Gesellschaft ist gezwungen, sich damit zu arrangieren. Ob eine strenge Regulierung sinnvoll wäre, ist umstritten, da immer Schlupflöcher existieren. Ethische Regeln sind in der Wissenschaft meist kurzlebig.

In unterschiedlichen Gesellschaftsmodellen wird KI auch unterschiedlich eingesetzt: In China ist «social scoring», also die totale Überwachung der Bürgerinnen und Bürger, bereits Realität, während KI in Europa eher zur Zeitersparnis bei Bewerbungen und Ausschreibungen verwendet wird. In der Wissenschaft hat sich KI bereits weltweit durchgesetzt, aber in kürzester Zeit werden sich auch Schulen intensiv überlegen müssen, wie KI sinnvoll zu brauchen ist. Die Universität Basel fördert explizit die Auseinandersetzung mit KI, Angehörige aller Fakultäten sollten fähig sein, sie einzusetzen. Transparenz dürfte ein Zauberwort im Umgang damit sein, ihr Zutun und Anteil sollte kenntlich gemacht werden.

Heiko Schuldt hielt in einem Interview der Basler Zeitung fest: «Man muss sich nicht [vor KI] fürchten. Es ist jedoch sehr wichtig, zu verstehen, wie KI funktioniert und wo ihre Grenzen sind. Was KI kann: innerhalb grosser Datensätze verschiedene Informationen miteinander in einen Zusammenhang bringen. Was KI nicht kann: zwischen wahr und falsch unterscheiden.» KI kann auch nicht eigenständig kreative Prozesse auslösen, könnte aber zumindest theoretisch einen spannenden Kriminalroman auf der Basis aller bisher existierenden Krimis generieren. Man war sich auch einig, dass KI nicht unhinterfragt verwendet werden soll, sieht man doch, dass bei der KI-unterstützten Berufsberatung Frauen zum Studium der Psychologie, Männern aber zu IT und Ingenieurwesen geraten wird. Dass durch KI verschiedene Berufe obsolet werden, ist ein Problem, das nicht vernachlässigt werden darf, ebenso wie die in der Zukunft geringere Wochenarbeitszeit. Ist der Mensch fähig, mit der «eingesparten» Zeit etwas Sinnvolles anzufangen?

Künstliche Paradiese

Am zweiten Abend präsentierte der Schweizer Schriftsteller Alain Claude Sulzer einen launigen Text zum Thema «Künstliche Paradiese». Das Paradies kann sich auf sehr unterschiedliche Art und Weise präsentieren: Für den greisen François Mitterand war es wohl ein Ortolan-Essen, für das Fettammern, kleine Vögel, in einem grotesken, tierquälerischen Ritual zur Befriedigung exquisiter Gelüste zubereitet werden. Einen Gipfel an raffinierter Künstlichkeit stellen die drei Androiden dar, welche die Neuenburger Uhrmacher Vater und Sohn Jaquet-Droz und ihre Mitarbeiter 1774 dem Publikum präsentierten. Diese Automaten, ein Schreiber, ein Zeichner und eine Organistin, begeisterten europäische Schaulustige während Jahrzehnten.

Ein eher absurdes künstliches Paradies schuf sich August Engelhardt um 1900 in der Südsee, wo er sich nur von Kokosnüssen, die ewiges Leben verhiessen, ernähren wollte. Er starb – von Unterernährung und Krätze gezeichnet – frühzeitig, und die von ihm gegründete «kokovorische» Sekte löste sich auf. Auch Albert Hofmanns in Basel erfundenes LSD war ein Weg in ein problematisches künstliches Paradies.

Einen Kontrapunkt zu Sulzers Essay bildeten Klavierwerke von Bach (arr. Siloti), Bartók, Ornstein und Skrjabin, die nicht durch die Wirkung von Drogen entstanden sind, sondern ihre Eigenständigkeit der Beschäftigung mit Volksmusik, der Erfahrung der Emigration und einer esoterischen Weltanschauung verdanken. Der hervorragende Interpret war der weissrussische Pianist Denis Linnik.

Der Pianist Denis Linnik (oben) am Interfinity-Festival mit dem Publikumsvotum über die Chopin-Kopie (unten). Fotos: Daniel Lienhard

Mensch vs. Maschine

Den Abschluss bildete in der Voltahalle ein mit über 300 Personen sehr gut besuchter und vom Basler Erziehungsdirektor Conradin Cramer mit einer kurzen Rede eröffneter Abend mit einem interessanten Konzept: Fünf Komponistinnen und Komponisten schufen je fünfminütige Werke im Stil von Bach, Chopin, Brahms, Messiaen und Bartók für unterschiedlich besetzte Ensembles. Der lettische Komponist Platons Buravickis «komponierte» Gegenstücke mit KI, interpretiert von den gleichen Musikerinnen und Musikern. Die Interpretationen waren durchwegs ausgezeichnet. Zwischen den Aufführungen gab Henry Legg eine mit Videokunst spektakulär unterstützte Einführung in KI.

Das Publikum konnte jeweils mit QR-Code darüber abstimmen, welche Version eines Stücks es für menschengemacht hielt. Man konnte gespannt sein, ob eine Unterscheidung möglich sein würde. Das Publikum irrte sich aber schliesslich bei keinem der Werke, obwohl es zum Beispiel in der KI-Version von Messiaen einige ausgezeichnete Takte gab, die absolut vom französischen Meister hätten stammen können. Das Klavierquintett im Stil von Brahms von Johannes Raiser und speziell das Quartett für Violine, Klarinette, Klavier und Schlagzeug von Amador Buda im Stile von Bartók waren so überzeugend komponiert, dass man sie problemlos in einem «normalen» Konzert spielen könnte. Obwohl dieses Fazit vielleicht wie eine Plattitüde wirkt: Man hatte den Eindruck, dass die KI-Stücke schülerhaft klangen und ihnen die emotionale Tiefe fehlte. Aber KI kann ja noch Fortschritte machen …

Alte oder neue Musik: Zum Unterricht in historischer Aufführungspraxis

Den Ausführungen von Elizabeth Dobbin und Thomas Drescher zur Lage der historischen Aufführungs- und Ausbildungspraxis (SMZ 1_2/24) sollen hier ergänzend noch ein paar Gedanken angefügt werden, die vor allem die Zukunft betreffen.

Detail aus dem Basler Musikmuseum. Foto: SMZ

Der Ausbildungsbereich «Alte Musik» ist in der Regel beschränkt auf die Zeit vom Frühmittelalter bis ins 19. Jahrhundert, das heisst, auf den Bereich der «alten Instrumente». Mit der Entwicklung der modernen Instrumente im Verlaufe des 19. Jahrhunderts ergab sich ein passender Grund, den Bereich nach vorne einzugrenzen. Nun sind aber Brahms, Mahler, Strawinsky und Boulez ebenfalls bereits alte Musik. Auch die Musik des späten 19. und des 20. Jahrhunderts müsste also im Bewusstsein ihres historischen Kontexts erforscht, gelehrt und aufgeführt werden. Für das 20. Jahrhundert ist dieser Anspruch aus gutem Grunde seit Anbeginn eingelöst. Es fehlt also nur noch das späte 19. Der Geltungsbereich der historisch informierten Aufführungspraxis und der dazu passenden historisch informierten Ausbildung ist, so meine nicht nur ich, notwendigerweise auszudehnen auf den Zeitbereich vom Frühmittelalter bis gestern. Die Verbindung von Forschung, Lehre und Aufführung, die Paul Sacher einst als Grundkonzept für die Basler Schola postulierte, erscheint für jede Musikausbildung sinnvoll. Auch im Bereich der mittlerweile längst akademisierten Ausbildung im Jazz. Wenn eine Bigband ein Stück von John Coltrane spielt, dann müssen die Soli im Coltrane-Stil vorgetragen werden. Die Solisten müssen zu solch historischer Aufführungspraxis (technisch und ästhetisch) in der Lage sein, das heisst ausgebildet werden.

Was für Wissen braucht es zum Können

Die Lehrenden müssen sehr viel wissen. Ihren Lernenden aber müssen sie vor allem Handlungsfähigkeit beibringen. Hier liegt meines Erachtens ein grosses Missverständnis beim Anspruch der historischen Informiertheit in der Ausbildung. Sie ist selbstverständlich (auch!) eine Disziplin der wissenschaftlich-historischen Forschung und abhängig davon. Die Resultate solcher Forschung aber sind für die Ausbildung angehender Musiker propädeutisch. Sie sollen nicht einfach in Worten weitergegeben und gelehrt werden, ihre Ergebnisse müssen bei den Lernenden vor allem zur praktischen Anwendung gebracht und so fruchtbar gemacht werden. Hat ein Lernender auf diese Weise «musikalische Handlungskompetenz» erworben, wird er auch die Formulierungen der Komponisten auf ganz andere, nämlich direkte Weise erkennen, einschätzen- und bewerten können. Mit anderen Worten: Für angehende Musiker ist die Ausbildung zum Denken in Tönen wichtiger als diejenige zum Reden oder Vielwissen über Musik. Damit soll die Bedeutung und der Wert des Redens und Wissens keineswegs kleingeredet werden. Es geht nur um die Prioritäten. Gefördert werden soll im Unterricht mit Vorrang das implizite Wissen und erst in zweiter Linie das explizite solche.

Abschied vom vorgefertigten theoretischen Instrumentarium

Kollegen aus dem angrenzenden Ausland berichten mir, wie dieser Denkansatz an ihren Hochschulen diskutiert und wie sehr dessen Realisierung manchenorts als Wunschziel angestrebt wird. Dies bedingt nicht nur die Formulierung neuer Curricula und die sukzessive Anstellung entsprechend ausgebildeten Lehrpersonals, es bedingt auch den Abschied von vielen immer noch ziemlich heiligen Kühen. Dazu gehört etwa das theoretische System der Harmonielehre, mit dem manchenorts die Musik zwischen Monteverdi («da wird’s ja bereits so’n bisschen tonal») und Mahler analysiert wird. Dazu gehört die systematische Formenlehre, mit deren Vorgaben man nach wie vor Kunstwerke vermisst. Dazu gehört wohl schlicht das meiste vorgefertigte theoretische Instrumentarium. Es führt notwendigerweise zur Einengung und nicht selten auch zur bleibenden Deformation des Blick- bzw. Hörwinkels.

Aufeinander bezogene Fächer vermitteln ein Gesamtbild

Die Unterrichtscurricula an Instituten für historische Aufführungspraxis unterscheiden sich nicht nur im Bereich der Hauptfächer (alte Instrumente, Spieltechniken, Ästhetik), sondern auch und ganz besonders im Pflichtfachbereich von denjenigen landesüblicher Musikhochschulen. Dargestellt am Beispiel der Basler Schola: Hier folgen die Kernfächer Satzlehre, Gehörbildung, Notationskunde und Musikgeschichte einem einheitlich historisch differenzierten Ausbildungsplan. Dank dem chronologischen Vorgehen in allen diesen Fächern entstehen viele innere Beziehungen, wird derselbe Gegenstand von unterschiedlichen Standpunkten beleuchtet und betrachtet. Diese Fächer werden ergänzt durch die ebenfalls in chronologischem Vorgehen angebotenen Fächer Quellen- und Instrumentenkunde, den Pflichtfächern Gregorianik (Modalität in der Einstimmigkeit), Historischer Tanz, Improvisation und Verzierungslehre sowie, je nach Arbeitsbereich, auch Generalbassspiel. Für alle Studierenden kommt dazu noch das Pflichtfach Gesang (Stimmbildung, historische Singpraxis). Der Kanon der aufeinander bezogenen Fächer vermittelt den Studierenden ein Gesamtbild, in das sie ihre Arbeit im Hauptfach stellen können. Sie verfügen über einen detailreichen Hintergrund und ein auf allen Ebenen vertraut gewordenes Umfeld. Sie erhalten damit die nötigen Grundlagen für ihre ästhetischen Entscheidungen als Interpreten.

Aufgeteilt ist der Gesamtbereich in die stilspezifischen Arbeitsbereiche bzw. Studiengänge: 1) Mittelalter/Renaissance, 2) Renaissance/Barock/Klassik und schliesslich 3) Barock/Klassik/Frühromantik. (Dieses Ausbildungskonzept geht zurück auf einen Entwurf von Wulf Arlt im Jahre 1970. Es wurde danach erweitert und ergänzt durch Peter Reidemeister und später durch dessen Nachfolgerinnen und Nachfolger.)

Die genannten Arbeitsbereiche liessen sich wie folgt weiterdenken: 4) Klassik/Frühromantik/Hoch- und Spätromantik, 5) Romantik/Neue Musik in der ersten Hälfte des 20. Jh. /Musik nach dem zweiten Weltkrieg. Die Bereiche 1) und 2) blieben wohl den darauf spezialisierten Instituten vorbehalten, an den meisten Musikhochschulen bestünde das Standard-Angebot wie bisher aus den Bereichen 3), 4) und 5). Ausbildungsprogramme könnten als Module frei zusammengestellt werden.

 

Markus Jans unterrichtete von 1972 bis 2010 an der Schola Cantorum Basiliens historische Satzlehre.

Ausgabe 04/2024 – Focus «Schaffhausen»

Annedore Neufeld in Schaffhausen. Foto: Holger Jacob

Inhaltsverzeichnis

Focus

In Schaffhausen arbeiten wir zusammen, die Wege sind kurz
Interview mit Annedore Neufeld, u.a. engagiert bei Musik-Collegium und Bachfest tätig

Schaffhauser Jazzfestival
Spiegel des helvetischen Schaffens

Kleine Stadt mit grossem Herzen für verrückte Musik
Schaffhausen als Hochburg des Do-it-yourself-Pop
Link zu Hanspeter Künzlers Playlist Schaffhausen

Es geht um etwas ganz Grosses
Die Musikschule Schaffhausen und ihre Singschule

Chatten über … die kulturelle Atmosphäre in Schaffhausen
Sonix und Joscha Schraff

 (kursiv = Zusammenfassung in Deutsch des französischen Originalartikels)

 

Critiques

Rezensionen von Tonträgern, Büchern, Noten

 

Echo

Beethoven lebt im Emmental
Das Langnauer Orchester und sein grosses Beethoven-Projekt

Radio Francesco
Accoucher | Gebären

«Ein bisschen an den Basler Madrigalisten riechen»
Erster Schweizer Chorleitungspreis «Swiss Made»

Un parcours hors du commun
Raymond Meylan

Il faut arrêter d’être obsédé par la question de la modernité
Entretien avec Karol Beffa, compositeur, pianiste et écrivain

Chancengerechter Instrumentalunterricht im Aargau
Diskussionsbeitrag von Andreas Schlegel
Link auf musikbildung-aargau.ch

Alte oder neue Musik: Zum Unterricht in historischer Aufführungspraxis
Überlegungen zur Zukunft von Markus Jans

Carte blanche
für Werner Bärtschi


Basis

Artikel und Nachrichten aus den Musikverbänden

Eidgenössischer Orchesterverband (EOV) / Société Fédérale des Orchestres (SFO)

Konferenz Musikhochschulen Schweiz (KMHS) / Conférence des Hautes Ecoles de Musique Suisse (CHEMS)

Kalaidos Musikhochschule / Kalaidos Haute École de Musique

Schweizer Musikrat (SMR) / Conseil Suisse de la Musique (CSM)

CHorama

Schweizerische Gesellschaft für Musik-Medizin (SMM) / Association suisse de Médecine de la Musique (SMM)

Schweizerische Musikforschende Gesellschaft (SMG) / Société Suisse de Musicologie (SSM)

Schweizerischer Musikerverband (SMV) / Union Suisse des Artistes Musiciens (USDAM)

Schweizerischer Musikpädagogischer Verband (SMPV) / Société Suisse de Pédagogie Musicale (SSPM)

SONART – Musikschaffende Schweiz

Stiftung Schweizerischer Jugendmusikwettbewerb (SJMW)

Arosa Kultur

SUISA – Genossenschaft der Urheber und Verleger von Musik

Verband Musikschulen Schweiz (VMS) / Association Suisse des Écoles de Musique (ASEM)

 

Gender-Pay-Gap im 19. Jahrhundert
Rätsel von Rudolf Baumann

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