Am Wochenende vom 25. bis 27. April finden in 14 europäischen Städten Konzerte für den Frieden statt. Initiiert hat dies die Europäische Organisation für historische Orgeln (Echo).
SMZ/ks
- 24. Apr. 2025
Foto: galdzer/depositphotos.com
Die Organisation Echo umfasst 17 Städte, 14 davon haben unter dem Label «Echo for Peace» lokal Projekte entwickelt. Damit wollen die Beteiligten in einem symbolischen Akt Friedensnachrichten überbringen und eine Botschaft der Hoffnung vermitteln. Dieser Link führt zu den Programmen der einzelnen Städte.
In der Schweiz hat die Fondation Académie d’Orgue de Fribourg am 26. und 27. April Konzerte und Vorträge zum Thema «Da pacem» organisiert. Das detaillierte Programm der Veranstaltungen in Fribourg ist via diesen Link einzusehen: https://www.academieorgue.ch/de/echo-for-peace
Unabhängig davon veranstaltet der Verein «Steh wieder auf» am 27. Mai in der Zürcher Augustinerkirche ein Konzert für den Frieden unter der Leitung von Gabriella Carli.
David Virelles ausgezeichnet
David Virelles, der an der ZHdK eine Klavier-Professur Jazz/Pop inne hat, wurde zum Guggenheim Fellow 2025 im Bereich Komposition ernannt.
ZHdK
- 22. Apr. 2025
David Virelles. Foto (Ausschnitt): José Silva
Die diesjährigen Guggenheim-Stipendiaten wurden in einem strengen Bewerbungs- und Peer-Review-Verfahren aus einem Pool von fast 3500 Bewerbern aufgrund ihrer bisherigen beruflichen Leistungen und ihres aussergewöhnlichen Potenzials ausgewählt.
Seit 100 Jahren verleiht die John Simon Guggenheim Memorial Foundation das Guggenheim-Stipendium, aktuell an 198 herausragende Künstlerinnen, Künstler und Gelehrte aus 53 Fachrichtungen.
Seit November 2024 wird gegen die Regierung von Aleksandar Vučić protestiert. Die wöchentlichen, manchmal täglichen Proteste sind ungebrochen, die Situation ist für das Kulturleben des Balkanlandes verheerend.
Chris Walton
- 17. Apr. 2025
Gymnasiastinnen und Gymnasiasten protestieren am 2. April 2025 gegenüber vom Nationaltheater gegen die Regierung. Foto: Chris Walton
Die aktuelle Nachrichtenflut aus den USA ist so überwältigend, dass sie fast alles andere überlagert. Angesichts des jetzigen Zollkriegs ist selbst der Krieg in der Ukraine in den Hintergrund getreten. Daher ist es verständlich, dass auch die politischen Ereignisse in Serbien verhältnismässig wenig Beachtung finden. Die westlichen Medien berichteten zwar über den Tod mehrerer Menschen beim Einsturz des renovierten Bahnhofs in Novi Sad im vergangenen November, der zu massiven Protesten gegen Korruption in der Regierung führte. Danach verschwand Serbien aber von den Titelseiten und tauchte nur gelegentlich wieder auf, beispielsweise als der Premierminister Anfang des Jahres zurücktrat oder als die Regierung bei einer Massenprotestkundgebung in Belgrad am 15. März angeblich eine Art «Schallkanone» (so bezeichnet von der NZZ) gegen die eigene Bevölkerung einsetzte. Die Proteste laufen aber unentwegt weiter und wirken sich jetzt auch verheerend auf das kulturelle Leben des Landes aus.
Proteste an den Hochschulen …
Tatsächlich waren es Studierende der Faculty of Dramatic Arts in Belgrad, die den Stein ins Rollen brachten nach den Protesten in Novi Sad. Als sie vor ihrer Fakultät protestierten, wurden sie von Provokateuren angegriffen. Daraufhin begannen die Studentinnen und Studenten eine Blockade ihrer Gebäude, die sich bald auf alle Hochschuleinrichtungen ausweitete, einschliesslich der Faculty of Music in Belgrad. An den meisten Instituten gab es seitdem weder Unterricht noch Prüfungen; das akademische Jahr muss möglicherweise ganz annulliert werden. Um zu verhindern, dass Einzelne ins Visier genommen werden, trifft die Vollversammlung der Studierenden gemeinsam mittels direkter Demokratie Entscheidungen über die Blockaden und Proteste.
… Theatern und Orchestern
Mitglieder der Belgrader Philharmonie schlossen sich schon früh den Strassenprotesten an, aber ein Auto fuhr in sie hinein und brachte vier von ihnen ins Krankenhaus. (Die neuesten Nachrichten aus Belgrad besagen, dass drei von ihnen inzwischen wieder genesen sind, während der vierte sich noch von seinen Verletzungen erholt.)
Anfang März, vor den Protesten vom 15., als über eine Viertelmillion Menschen auf den Strassen Belgrads demonstrierten, streikten auch die Theater und Orchester. Neben der aktuellen politischen Malaise beklagen Künstler auch unzureichende Arbeitsbedingungen und schlechte Bezahlung. Die Belgrader Philharmoniker arbeiten seit über drei Jahren unter Interimsmanagement, und nach eigenen Angaben verdienen ihre Mitglieder etwa 660 Euro im Monat, was unter dem nationalen Durchschnitt liegt. Nach meinem jüngsten Besuch in Belgrader Supermärkten zu urteilen, sind zwar Backwaren immer noch relativ billig, aber Grundnahrungsmittel wie Kaffee und Milch kosten jetzt so viel wie in der Schweiz. Laut meinen Kontakten sind Familien oft darauf angewiesen, dass ihre Verwandten auf dem Land günstige Lebensmittel liefern.
Staatliche Erpressung
Die Forderungen der Streikenden wurden nicht erfüllt, aber die Musiker Serbiens sind inzwischen aus purer wirtschaftlicher Not an ihre Arbeitsplätze zurückgekehrt. Die finanzielle Lage verschlechtert sich jedoch weiter. Die Dozenten der Universität der Künste in Belgrad können ihre Gebäude wegen der Blockade nicht betreten, meine Gespräche vor Ort lassen aber keinen Zweifel daran, dass die meisten von ihnen sich mit den Studenten solidarisch fühlen. Aber auch das wissen die Behörden und haben die Gehälter entsprechend gekürzt. Der Gehaltsscheck im März betrug für einige Professoren der Music Faculty 230 Dinar – etwa zwei Euro, genug, um zwei Liter Milch zu kaufen.
Die Pattsituation hält an. Zum Zeitpunkt der Niederschrift dieses Berichts hat Präsident Vučić soeben eine neue Regierung eingesetzt – aber die Proteste gehen weiter. Wie überall auf der Welt machen Fake News die Lage noch schlimmer. So sind beispielsweise seltsame Websites zweifelhafter Herkunft aufgetaucht, die Akademiker und andere Demonstranten als «Öko-Terroristen» bezeichnen. Jeden Abend um 19.30 Uhr hupen Autos in Belgrad – eine Form des Protests, die, wie ich höre, in die Milošević-Ära zurückreicht. Und auf dem Platz der Republik vor dem Nationaltheater finden weiterhin regelmässig nächtliche Proteste statt.
Ausbildungsnotstand in einem musikbegeisterten Land
Die langfristigen Folgen all dessen können verheerend sein. Die Music Faculty der Universität der Künste – immer noch blockiert – ist für das Musikleben Serbiens von entscheidender Bedeutung. Laut ihrer Website sind «mehr als 90 Prozent der Mitglieder aller grossen Ensembles im Land» ihre Absolventen. Das kann ich gut glauben. Ein paar Tage nachdem ich einen Protest von Gymnasiasten und ihren Eltern gegen die Regierung auf dem Platz der Republik beobachtet hatte, besuchte ich eine Aufführung von Tosca im gegenüberliegenden Nationaltheater, bei der fast alle auf der Besetzungsliste in Belgrad studiert hatten (und vermutlich auch die meisten Orchestermitglieder). Der Streik der Künstler hat die Musikbegeisterung des lokalen Publikums nicht getrübt. Tosca wurde vor ausverkauftem Haus aufgeführt, und selbst ein weniger populäres Repertoire kann die Massen anlocken. Ein Konzert des Jazzkomponisten Giovanni Di Domenico im Radio Belgrad nur wenige Tage zuvor war ebenfalls ausverkauft, mehrere Interessierte mussten wegen Platzmangel abgewiesen werden.
Die kulturelle Bedeutung Serbiens ist weitaus grösser, als man es von einem wirtschaftlich angeschlagenen Land mit knapp über sechs Millionen Einwohnern erwarten würde. Man muss nur ein paar Konzert- oder Opernprogramme hier in Zentraleuropa durchsehen, um zu realisieren, wie viele Sängerinnen und Instrumentalisten serbischer Herkunft sind. Aber ein Land, dessen Universitäten nicht funktionieren, hat keine Zukunft. Die Begabtesten der jüngeren Generation – diejenigen, die es sich leisten können – suchen nun im Ausland nach Möglichkeiten für ihr Studium. Das sind schlechte Nachrichten für die Zukunft der serbischen Musikinstitutionen.
m4music: Düstere Aussichten für die Clubkultur
Die 27. Ausgabe von «m4music» bot neben Konzerten einmal mehr Panels und Workshops an. Wie sich Konzertlokale, aber auch die einzelnen Musikschaffenden noch finanzieren können, gab zu reden.
Michael Gasser
- 11. Apr. 2025
Auftritt des Zürcher Duos L Loko & Drini im Rahmen von m4music am 28. März 2025. Foto: Jonathan Labusch
Das zweitägige Popmusikfestival des Migros-Kulturprozents vom 28. und 29. März zog neben 6000 Besucherinnen und Besuchern auch rund 1600 Branchenprofis an. Auf den fünf Bühnen rund um den Zürcher Schiffbau präsentierten sich mehr als 40 Acts. «Die Schweizer Musikszene hat gezeigt, dass sie lebendig, vielfältig und innovativ ist», bilanzierte Festivalleiter und Mitbegründer Philipp Schnyder. Zudem sei es dem Event, der sich in erster Linie als Plattform für aufstrebende nationale und internationale Künstlerinnen und Künstler versteht, einmal mehr gelungen, einen wichtigen Beitrag zur Vernetzung der Musikszene zu leisten.
Gute Songs finden ihr Publikum
Der zweite Festivaltag war nicht mit Wetterglück gesegnet, weshalb es die Besucherscharen kaum nach draussen drängte. Mit der Folge, dass sich das Publikum vorzugsweise im Schiffsbau staute. Das gut besuchte Panel «Wohin sollen wir gehen, wir Musikschaffende?» setzte sich insbesondere mit der Frage auseinander, inwiefern sich unabhängige Künstlerinnen und Künstler überhaupt noch finanzieren können.
Die in Zürich lebende Moderatorin Meng Tian war bis 2017 selbst als Singer/Songwriterin aktiv. Mittlerweile hat sie die Seiten gewechselt und berät nun Marken und Unternehmen. Auf ihre Frage, welchen Stellenwert die Musikpromotion heute noch spiele, antwortete Sebastian Król, Gründer der Hamburger Musikagentur Backseat, dass diese für Musikschaffende weiterhin relevant sei. «Doch die Musikpromotion verliert zunehmend an Wichtigkeit», fuhr er fort. Was den Unternehmer zur Einsicht brachte, über einen direkten Kanal zu ihren Fans zu verfügen, sei für Musikschaffende wichtiger denn je. Dies könne ziemlich zeitintensiv sein, gab Singer/Songwriterin Hilke Ros zu bedenken. «Mittlerweile betreibe ich einen enormen Aufwand, um meine Musik auch zu visualisieren – und das gratis.» Leisten könne sie sich das einzig, weil sie nebenher als Software-Entwicklerin arbeite.
Digital-Experte Marcel Hunziker, der seit einigen Jahren in London zu Hause ist, sah die Situation gelassener: «Ich bin und bleibe optimistisch. Entsprechend glaube ich, dass gute Songs immer ihr Publikum finden werden.» Zugleich zeigte er sich überzeugt, dass sich Musikschaffende in dem Mass um ihre Fanbasis kümmern sollten, wie es ihr eigener Businessplan vorsieht. «Wir pushen unsere Artists jedenfalls nie dazu, Content für die Anhängerschaft zu kreieren.»
Löcher in den Kassen
Auf noch grösseres Interesse stiess das Panel «Clubs in der Krise – neue Wege oder alte Muster?» Alexandra Götz, die seit bald sieben Jahren der Betriebsleitung des Winterthurer Clubs Kraftfeld angehört, verwies zu Beginn der Diskussionsrunde auf eine Umfrage aus Zürich. Sie besagt, dass der Umsatz eines Clubs im Kanton vor der Pandemie noch bei 45 Franken pro Gast lag. «Heute soll dieser im Schnitt 15 Franken geringer ausfallen.» Das hänge insbesondere damit zusammen, dass das ältere Publikum nach Corona den Weg in die Clubs nicht mehr gefunden habe, während das jüngere nie nachgerückt sei. Als Folge hätten sich die Finanzen des Kraftfelds rapide verschlechtert. Ein Abwärtstrend, der nur dank erfolgreicher Crowdfunding-Kampagne keine fatalen Folgen für den Club hatte.
Düster seien auch die Aussichten für das Fri-Son in Fribourg, erzählte dessen Generalsekretärin Léa Romanens. Die Westschweizerin führte die Malaise des renommierten Konzertortes nicht zuletzt auf die Tatsache zurück, dass sich die Abende, an denen ein DJ auflege, nicht mehr rechneten, was zu einem Loch in der Kasse geführt habe. Hinzu komme, dass Millennials – anders als frühere Generationen – sich kaum noch für Gratisarbeit im Club gewinnen liessen. Was Romanens zur Erkenntnis führte, das Fri-Son müsse sich neu erfinden.
Diversifiziert oder subventioniert
Einen ganz anderen Weg eingeschlagen hat etwa das Bierhübeli in Bern. Die seit neun Jahren von Dave Naef mitbetriebene Konzert- und Eventlocation hat schon früh bewusst auch auf Firmenevents gesetzt und im vergangenen Jahr eine Booking-Agentur übernommen. Ab Juli 2025 wird zudem die All Blues Konzert AG zur «Bierhübeli-Familie» stossen. «Das macht uns unabhängiger von internationalen Konzertveranstaltern wie Live Nation», freute sich Naef.
Anders als das Bierhübeli, das noch nie Subventionen erhalten hat, hängen sowohl das Kraftfeld als auch das Fri-Son teils von öffentlichen Geldern ab. Und solche lassen sich in Städten wie Winterthur respektive Fribourg, die beide von Defiziten geplagt sind, nicht einfach zusätzlich herbeizaubern. Anders präsentiert sich die Lage im Kanton Basel-Stadt, der insbesondere von seiner florierenden Pharmaindustrie profitiert. Weshalb sich der Stadtkanton mit Sandro Bernasconi sogar einen Beauftragten für Clubkultur und eigens dafür geäufnete Fördergelder leisten kann – dank einer 2024 gewonnenen Volksabstimmung. Die Vertreterin des Fri-Son sah ein, dass sich «ihre» Situation nicht mit derjenigen von Basel vergleichen lässt. «Einen Lösungsansatz habe ich auch nicht. Vielleicht müssten sich alle Clubs des Landes zusammentun und zu einem Streik aufrufen, um auf die gefährdete Existenz von Lokalen wie dem Fri-Son aufmerksam zu machen.»
Ars Electronica Forum Wallis 2025
Im Rahmen der 10. Ars Electronica Forum Wallis Call for Acousmatic Works kamen 26 Werke in die Ränge, für 14 weitere gab es eine Special Mention. Eingereicht wurden 279 Werke von 249 Komponierenden aus 39 Ländern und allen Kontinenten.
Forum Wallis
- 02. Apr. 2025
Sie gehören zu den Komponistinnen und Komponisten der Ars Electronica Forum Wallis 2025 Selection: v.l.n.r.u.o.n.u. Robert Curgenven, Marc Behrens, Tobias Alvarez, Benjamin-Alan Kubaczek, Cristian Argento, Elliot Hernandez, Matteo Bordin, Ernst van der Loo, Ginas K, Nicola Fumo Frattegiani, Roy Guzman, Conchita Huerta. Quellen: zVg Forum Wallis
Die 10. Ars Electronica Forum Wallis Selection Concerts werden von Simone Conforti (IRCAM Paris) kuratiert und performt. Sie finden am 28. und 29. Mai 2025 im Rahmen des Festivals Forum Wallis am MEbU im Goms statt. Die Jury bildeten Kotoka Suzuki (JPN), Jaime Oliver La Rosa (PER), Reuben de Lautour (NZL) und Javier Hagen (Festivalleitung Forum Wallis).
Resultate
Concert Selection (26 Werke)
Alvarez Tobias, Paralelismos (MEX)
Bangun Setyawan Candra, Idrak (IDN)
Behrens Marc, L’écrit fantome (GER)
Bordin Matteo, Symbols (ITA)
Borrel Stéphane, The Favourites (FRA)
Cappelletti Nicola, Parallaxe.Parataxe (ITA)
Castro Pinto Joao, Circumsphere: to bounce and rebounce (PRT)
Cheung Chris, Casting light (HKG)
Curgenven Robert, Across Country (AUS)
Dall’Ara-Majek Ana, Mare Buchlae (FRA)
Delgado Gustavo, Strin[G]i(n)[Mi] (ARG)
Duchenne Jean-Marc, L’énigme des objets (FRA)
Fumo Frattegiani Nicola, Hybris (ITA)
Karkatselas Theodoros, Lacuum (GRC)
Koszolko Martin, Tympan (AUS)
Kubaczek Benjamin-Alan, Impromptu 8 (AUT)
Kuehn Mikel, Dancing In The Ether (USA)
Nguyen David Quang-Minh, Texture Arc The Points (USA)
Oliveira Joao Pedro, Pulses (BRA)
Orlandini Valerio, Jeu de Bruits (ITA)
Perez Simon, Las cifras y las palabras (ARG)
Sambucco Dominic, Versenkung (ITA)
Sintaratana Tanid, Fragments (THA)
Sismann Valentin, Morphaime (FRA)
Talebi Shahrzad, WatchTheOnlyWayHomeDisappear (IRN)
van der Loo Ernst, Void Population (NLD)
Special Mention (14 Werke)
Argento Cristian, Diviso in Due (ITA)
Gintas K, Crunchy (LTU)
Guzman Roy, Guasábara (PRI)
Harper Nathan, Nutria No. 4 (USA)
Hernández Elliot, Leviathan (MEX)
Hernandez Omar, de tu piel supura… tristeza /from your skin exudes… sadness (MEX)
Huerta Concepción, somos de los lugares… (MEX)
Magnien Léo, dans la plaine incertaine (FRA)
Moyers Timothy, On the Rim of Conciousness (USA)
Polymeneas-Liontiris Thanos, Tettix ‚A (GRC)
Quint Ursel, Es (GER)
Sintaratana Tanid, Phi Fa (THA)
Soria Edmar, PostAnthroposRecord1 (MEX)
Turcotte Roxanne, Alibi des voltigeurs (FRA)
Forum Wallis
Das Forum Wallis ist ein jährlich stattfindendes internationales Festival für Neue Musik im Wallis. Seit 2006 hat das Forum Wallis über 300 Uraufführungen mitproduziert und Werke von über 500 Komponistinnen und Komponisten aus aller Welt präsentiert, darunter Stockhausens Helikopterstreichquartett zusammen mit dem Arditti Quartet, André Richard und Air Glaciers sowie Cod.Acts Pendulum Choir. Zu den regelmässigen Gästen des Festivals gehören Ensembles wie recherche, Zafraan, UMS’nJIP, dissonArt, Steamboat Switzerland, Klangforum Wien, ensemble für neue musik zürich, Contrechamps oder Ensemble Modern.
Nachtrag am 7. April 2025 – Interview
In der Jahrespublikation Carolvon arttourist.com (eine Marke von Art Cities in Europe, «eine Nische zwischen Zeitung, dem Magazin und dem reinen Veranstalterkatalog» gemäss https://www.arttourist.com/about.html) wird das Forum Wallis porträtiert (Seiten 48 und 49). Der Verleger Kai Geiger hat mit Javier Hagen das folgende Interview geführt.
Kai Giger: Was ist die Ars Electronica Forum Wallis? Javier Hagen: Die Ars Electronica Forum Wallis (AEFW) ist eine seit 2015 bestehende Programmschiene für akusmatische Musik innerhalb des Festivals für Neue Musik Forum Wallis. Deren Repertoire speist sich Jahr für Jahr aus einem internationalen Call for Acousmatic Works, 2025 feiert sie ihre 10. Ausgabe.
Wie kamen Sie dazu, diese in den Walliser Alpen zu etablieren?
Akusmatische Musik (Anm. d. Red.: Musik ausschliesslich für Lautsprecher) ist in ansprechender Qualität selten live zu erleben, denn die technischen Anforderungen sind komplex und die Instrumente teuer. Am MEbU im Goms verfügen wir aber über ein fix installiertes State of the art-16-Kanal-Akusmonium. Dieses wurde von Simone Conforti, der am IRCAM in Paris unterrichtet und für die Biennale Musica in Venedig tätig war, designt und eingerichtet. Somit können wir denkbar beste Voraussetzungen für akusmatische Musik bieten — und mit dieser Programmschiene weitherum auch ein einzigartiges Alleinstellungsmerkmal. (schmunzelt) Zudem ist akusmatische Musik angesichts der Pracht der Walliser Alpen auch ein Statement, das zum Nachdenken anregt.
Bemerkenswert ist, dass beim Call for Acousmatic Works der AEFW keine Anmeldegebühren anfallen, ebenso wenig gibt es ein Ranking, was sind die Gründe hierfür?
Es gibt zahlreiche Wettbewerbe, deren Kosten zu einem beträchtlichen Teil über die Anmeldegebühren von KomponistInnen finanziert werden und deren Preisgelder im Verhältnis dazu symbolisch sind. Wir vertreten den Standpunkt, dass der Veranstalter die Mittel für eine solche Konzertreihe nicht auf die Mehrheit der — notabene nicht ausgewählten — KomponistInnen abwälzen sollte, sondern diese unabhängig davon generieren muss.
Zur Rankingfrage: Uns geht es darum, einer möglichst grossen Zahl von Werken Visibilität zu verschaffen. Lediglich drei Werke aus Hunderten von Eingaben in einem Ranking zu küren finden wir anmassend. Unser Prinzip ist vielmehr ein aktivistisches. Lassen Sie mich dies anhand des folgenden Vergleiches etwas näher erläutern: vor 40 Jahren — in Zeiten vor Internet — gab es, sagen wir mal, weltweit ein Dutzend unabhängiger Bubbles, in welchen Neue Musik gespielt, rezipiert und eben auch in Wettbewerben gewürdigt wurde. In jeder Bubble kamen jeweils etwa 20 Komponierende regelmässig in die Ränge, was auf die weltweite Szene hochgerechnet bedeutet, dass über 200 KomponistInnen die Top-Rankings weltweit unter sich ausgemacht haben.
In unserer globalisierten Welt sind diese Bubbles zu einer grossen zusammengeschmolzen, aber die Anzahl der gekürten Komponierende ist nicht um den entsprechenden Faktor gewachsen. Im Gegenteil, sie hat sich verringert: gefühlt sind nicht mehr als 50 Komponierende regelmässig in den Top-Rankings zu finden. Das sind 75% weniger, das professionelle Spielfeld ist somit verknappt. Auch wenn es nur ein Tropfen auf dem heissen Stein ist: Indem wir nicht nur eine Handvoll, sondern wie in diesem Jahr 26 Stücke spielen und 14 weiteren eine Special Mention verleihen, bekommen überdurchschnittlich mehr Werke ein Spielfenster und alle KomponistInnen ein Zertifikat. Die gespielten Komponierende erhalten die Royalties und die Übernachtungen bezahlt, was bereits in vielen Fällen ein Preisgeld übersteigt. Insgesamt finden wir das zielführender.
Die Jury der AEFW ist mit Kotoka Suzuki, Reuben de Lautour, Jaime Oliver La Rosa und Ihnen seit Jahren dieselbe, hat dies eine spezielle Bewandtnis?
Ja, das ist eine bewusste Entscheidung: Wir haben ein konstantes Jury-Ensemble, das über die Jahre einen ästhetischen Diskurs führt. Dieser wäre nicht möglich, wenn die Jury jedes Jahr anders zusammengesetzt würde. Der Austausch der Jurymitglieder ist ausgesprochen offen, und wir überblicken gemeinsam eine Entwicklung über mehrere Jahre, was besonders wertvoll ist. Besonders ist auch, dass wir über die individuellen Backgrounds der Jurymitglieder — mit der Ausnahme von Afrika, zumindest noch für den Moment — sämtliche Kontinente abdecken: Kotoka Suzuki steht für den asiatischen Raum, Jaime Oliver La Rosa für beide Amerikas, Reuben de Lautour für den türkisch-arabischen und austro-pazifischen Raum und ich für das alte Europa.
Ist die akusmatische Musik männerdominiert? Die Programm-Lineups lassen zumindest diese Vermutung zu.
Zahlenmässig scheint dies der Fall zu sein, musikalisch ist es aber nicht so: Unsere Erfahrung zeigt, dass sich hinter den Stücken, die wir intern über die Jahre am höchsten bewertet haben, auffällig oft Komponistinnen verbergen. Dabei stellen diese in der Regel — und leider — nicht mehr als 20% des Eingabekollektivs. Sie kommen aber mit ihren Stücken statistisch sehr weit nach vorne. Wir wählen Stücke aus, die wir hörens- und vorstellenswert finden. Notabene: in mehreren Ausgaben reichten Komponistinnen so gute Werke ein, dass wir in einzelnen Jahren Küren mit mehr als 50% Komponistinnen hatten, und dies bei einer Beteiligung von weniger als 25% Komponistinnen! Chapeau!
AEFW, quo vadis?
Da die IGNM-VS, die Ortsgruppe der Int. Gesellschaft für Neue Musik, welche das Forum Wallis organisiert, mit dem MEbU eine Partnerschaft eingegangen ist, können wir in den kommenden Jahren jederzeit auf ein qualitativ überdurchschnittlich gutes Instrument zurückgreifen. Das MEbU hat seit 2023 mit der Ars Acusmatica eine eigene Konzertreihe für akusmatische Musik im Goms aufgebaut und bietet über das ganze Jahr weitere Spielmöglichkeiten für akusmatische Musik an. So werden wir in den kommenden Jahren diese Aktivitäten verstärken und bedeutend mehr Werke spielen lassen können.
Allmähliches Verholzen
Das neue Musiktheater von Andreas Neeser und Alfred Zimmerlin erzählt vom Verschwinden.
Thomas Meyer
- 01. Apr. 2025
Mirjam Fässler in der Rolle des zwölfjährigen Sohns Luca mit seinem Vater Favri (Jaap Achterberg). Foto: Beat Sieber
Ein seltsamer Fall: Herr Fravi leidet an einer ungewöhnlichen Krankheit, die der Arzt als Burn-out deklariert. In Wahrheit verholzt Fravi allmählich: Er wird gleichsam zum Baum, zieht sich deshalb immer mehr zurück und verschwindet in sein Inneres, seinen Kopf, seine Gedankenwelt. Seine Frau und sein Sohn können nur ratlos, wenn auch nicht teilnahmslos zuschauen. Am Ende löst sich das Stück wie sein Protagonist selber auf.
Das ist der Plot des neuen Musiktheaters, das am 29. März in der Alten Aarauer Reithalle uraufgeführt wurde. Ersonnen hat ihn der Aargauer Dichter Andreas Neeser. Sechs Prosagedichte aus seinem Lyrikband Nachts wird mir wetter sowie weitere Gedichte in Mundart liegen dem Stück zugrunde. Weil es im Auftrag des Bündner Festivals tuns contemporans entstand, kam als dritte Sprache das Sursilvaner Rätoromanisch hinzu. In Chur, wo das Festival seit einiger Zeit im Zweijahresrhythmus prägnante Akzente punkto Neue Musik setzt, folgen zwei weitere Aufführungen. Beteiligt waren denn auch – hinter einem durchsichtigen Gazevorhang sitzend (Bühnenbild: Peter Wendl) – die Kammerphilharmonie Graubünden und das Ensemble ö! unter der Leitung von Philippe Bach. Der ebenfalls aus dem Aarauer Kanti-Umkreis stammende Komponist Alfred Zimmerlin, der in diesen Tagen seinen siebzigsten Geburtstag feiert, schrieb die Musik dazu.
Der Untertitel spricht von einem «audiovisuellen Bühnenstück», was auf ein techniklastiges, multimediales Event hinzudeuten scheint, aber gerade das ist es nicht. Im Gegenteil: Alles Automatisierte scheint absent. Das Stück ist gewissermassen «altmodisch» in seiner Absage ans Spektakel, es erzählt ruhig und ohne Umwege, ohne Schnickschnack. Ivo Bärtsch hat es behutsam in Szene gesetzt. Selten erlebt man, dass sich die unterschiedlichen Ebenen so selbstverständlich, so unabhängig und doch aufeinander bezogen durch die Zeit bewegen. Sie sind in den drei Personen verkörpert, die nur in einigen Momenten, Knotenpunkten gleichsam, miteinander in Berührung kommen.
Maja Zimmerlin drückt die Gefühle von Favris Frau Seraina tänzerisch aus. Foto: Beat Sieber
Da ist zunächst die Geschichte von Fravi, fast ohne Aktion gelassen vom Tisch aus erzählt von Jaap Achterberg. Seine Frau Seraina bleibt ernst und stumm, doch in ihrem schlicht und unprätentiös anmutenden, zuweilen aber auch geometrisch abgezirkelten Tanz drückt Maja Zimmerlin eine ganze Palette von Gefühlen zwischen Zuneigung und Sorge, Verspannung und Loslassen aus. Der zwölfjährige Luca hingegen, dargestellt von der Mezzosopranistin Mirjam Fässler, sucht erst auf spielerische Weise den Kontakt zum Vater, fühlt sich zurückgewiesen, entwickelt dann aber Mitgefühl mit ihm. Er reift heran und beginnt zu sinnieren und zu verstehen. Sein melancholisches Duo mit dem Flügelhornisten Christoph Luchsinger ist einer der ergreifendsten Momente in dieser ohnehin äusserst einnehmenden Produktion.
Bildhafte Klänge, denen man gerne folgt
Sprechen, Tanzen und Singen geschehen also neben- und miteinander. Was ein blosses gestalterisches Konzept bleiben könnte, gewinnt jedoch zarte Lebendigkeit. Es funktioniert, zumal die orchestrale «Begleitung» ebenso selbständig eine weite Linie durch die siebzig Minuten zieht und auf ihre Weise Zusammenhang herstellt. Es ist erstaunlich, wie sich Zimmerlins Musik einmal mehr gewandelt hat, noch biegsamer geworden ist, warm im Klang und ausdrucksstark. Nur in wenigen Augenblicken bedarf es hier heftiger Akzente. Es ist schon alles gesagt. In diese Linie hat Zimmerlin auch einige Bündner Volkstanzmelodien eingewoben. Sie scheinen fein auf, verschmelzen mit der Umgebung, färben diese aber auch ein, lassen etwas nachklingen von den Emotionen der Bühne. Es ist eine sehr empathische Musik, die das Ohr leitet. Und das war ja schon häufig eines der entscheidenden Charakteristika bei diesem Komponisten: Man vertraut diesen Klängen, ihrer Offenheit und Aufrichtigkeit, ihrer unambitionierten Bildhaftigkeit und folgt ihrem Weg – auch wenn sie ins Verschwinden führen.
Bericht von der Uraufführung am 29. März in Aarau. Zwei weitere Aufführungen am 3. und 6. April im Theater Chur im Rahmen des Festivals tuns contemporans.
Hinter dem Gazevorhang ist das Ensemble unter der Leitung von Philippe Bach auszumachen. Foto: Beat Sieber
Entwurzelung in unerhörten Klängen
Beat Furrers jüngste Oper «Das grosse Feuer» erlebte am 23. März 2025 im Opernhaus Zürich ihre Uraufführung. Die vieldeutige Musik erwies sich als Widersacherin der Spannung.
Georg Rudiger
- 25. März 2025
Ensemble. Foto: Herwig Prammer
Ein Ton wie ein Tinnitus: hoch, leise, unablässig. Im dritten Takt nimmt das Akkordeon einen zweiten in Sekundreibung hinzu, was den Klang, verbunden mit den nervösen Tonwiederholungen der Violinen, noch verstörender macht. Dazu tiefe, abstürzende Figuren in den Bassinstrumenten. Wie ein Gurgeln klingt das, wie ein mattes Seufzen. «Regen, Holz, Indios … in diesem Drecksloch», flucht Andrew Moore als Paqui. Auch der Chor – das extra für die Produktion engagierte, zwölfköpfige Ensemble Cantando Admont – verstärkt mit seinen isolierten, übereinander geschichteten Silben das Gefühl der Unbehaustheit. Die Mikrotonalität, die diese Formation den knapp zweistündigen Abend über präzise umsetzt, entfaltet einen fremden, faszinierenden Klangraum.
Beat Furrers neue Oper Das grosse Feuer (Libretto: Thomas Stangl), die bei der Uraufführung am Opernhaus Zürich stark bejubelt wurde, meidet von Beginn an jedes Gefühl der Vertrautheit. Die Figuren werden musikalisch nicht getragen, haben keinen Boden unter den Füssen. Furrers musikalische Sprache ist feingliedrig, vielstimmig und kurzatmig. Ein Stammeln wie nach einem Schock, ein Ringen nach Worten. Der Komponist kommt ganz ohne Elektronik aus, obwohl seine originellen Klangmixturen manchmal danach klingen. In seiner neunten Oper und seiner ersten Choroper hat sich der in der Schweiz geborene, österreichische Komponist dem 1979 erschienenen Roman Eisejuaz der argentinischen Schriftstellerin Sara Gallardo zugewendet, auf den er durch einen Kompositionsschüler gestossen war.
Beat Furrers erste Choroper. Paqui (Andrew Moore), Cantando Admont, Statistenverein am Opernhaus Zürich. Foto: Herwig Prammer
Andeutungsweise erzählte Geschichte
Im Mittelpunkt steht der indigene Schamanensohn Eisejuaz, der hin- und hergerissen ist zwischen Naturglauben und christlicher Erziehung. Er arbeitet in einem Sägewerk – und ist so mitverantwortlich für die Zerstörung des Waldes, dessen Bäume wie auch die Tiergeister er singen hören kann. Dass er sich um den rassistischen Kleinkriminellen Paqui kümmert, ist dem christlichen Einfluss geschuldet. Eisejuaz trauert um seine verstorbene Frau Lucia, wird von deren Schwester Mauricia, seiner heimlichen Geliebten, bedrängt, wieder zurückzukehren ins Indiodorf. In den lose aufeinander folgenden Szenen streitet er sich mit dem Missionar, trifft auf eine Seherin, lässt sich von Paqui herumkommandieren und schliesslich verraten. Sein Weg führt steil bergab – er wird vom Heilsbringer zum Verfolgten. Nur eine Indiofrau (Muchacha), die er heilt, spendet ihm am Ende einen Hauch von Trost, ehe sie ihn gemeinsam mit Paqui aus Versehen vergiftet.
Die mäandernde, auch in Rückblicken und inneren Monologen vermittelte Geschichte erzählt sich allerdings in der Oper nicht, sondern nur im Programmheft. Der häufige Wechsel zwischen Spanisch und Deutsch, die experimentelle Behandlung der Sprache, die Vervielfältigung mancher Figuren sorgen für Verunklarung. Ohne Übertitel, die auch die Handlung skizzieren, wäre man verloren. Auch Tatjana Gürbacas Inszenierung (Co-Regie: Vivien Hohnholz) im Einheitsbühnenraum von Henrik Ahr macht wenig konkreter. Stehende und hängende Pfähle mögen an gerodeten Urwald, an Vernichtung von Leben denken lassen. Eine schräge Scheibe, die sich immer wieder in Bewegung setzt, als Spielfläche, ein Radfahrer, der von der Decke hängt und in Zeitlupe nicht vom Fleck kommt, das ist zu wenig an szenischen Ideen, um den komplexen Stoff zu visualisieren und den Abend zu verdichten.
Brennende Ausstrahlung der Sängerinnen und Sänger
Es sind die Akteure, die durch ihre darstellerische Präsenz und musikalische Exzellenz theatralische Momente schaffen. Sämtliche Nebenrollen und die grosse Partie der Mauricia (Elina Viluma-Helling singt sie mit schlankem, schlackenlosem Sopran) werden durch Mitglieder von Cantando Admont besetzt. Friederike Kühl und Patricia Auchterlonie lassen Lucias Linien schweben, Helena Sorokina und Cornelia Sonnleithner schenken der alten Chahuanca dunkle Farben, Hugo Paulsson Stove gibt einen strengen, hell timbrierten Missionar. Die französische, auf Neue Musik spezialisierte Sopranistin Sarah Aristidou verleiht mit ihrem mitunter ganz vibratolosen, reinen Stimmklang der Muchacha enorme Ausstrahlung. Ob brüllend oder wimmernd, schmierig oder rauh: Mit seinem markanten Bassbariton macht Andrew Moore aus Paqui einen echten Kotzbrocken, der sich am Ende in einer skurrilen Szene vor dem glitzerbehängten Volk (Kostüme: Silke Willrett) selbst zum Wunderheiler stilisiert. Da ist Eisejuaz in seiner Leidensgeschichte endgültig gebrochen. Leigh Melrose lässt die Zerrissenheit dieses Protagonisten spüren. Eisejuaz ist ein Getriebener, der Haken schlägt und auf seinem verschlungenen Weg immer mehr ins Dickicht gerät. Aber auch dem erleuchteten, Geisterstimmen hörenden Eisejuaz gibt Melrose Raum.
Die Philharmonia Zürich setzt unter der Leitung des Komponisten die fordernde Partitur plastisch um. Es flüstert und wimmert im Orchestergraben. Die Kleinstpartikel sind modelliert. Auch die wenigen, massiven Ausbrüche, die kalten Blechschichtungen haben eine klare Formung. Nur die Holzbläser wirken manchmal in dem filigranen Stimmengeflecht zu grob. Und die Balance ist nicht immer optimal. Beat Furrers Das grosse Feuer enthält unerhörte Klänge. Die permanente Mehrdeutigkeit und Vielstimmigkeit überfordert dieses neue Musiktheater aber auch, dessen Spannung in den vielen Pausen, Brechungen und Mikrostrukturen immer wieder verlorengeht. Am Ende kehren die hohen Frequenzen im Akkordeon zurück. Und die Oper endet so leise, wie sie begonnen hat.
Weitere Vorstellungen: 25./28./30. März, 4./6./11. April 2025, opernhaus.ch
Mit Filmmusik kreieren wir eine emotionale Heimat
Diego und Lionel Baldenweg im Interview
Die Schweiz als Inspiration Was an unserem Land hat einheimische und ausländische Komponisten angeregt?
Volksmusik und Heimat – ein Etikettenschwindel?
Eine Welle volkstümlicher Klänge schwappt über die Schweiz.
Chatten über … Eigenheiten und Einzigartigkeit von Schweizer Musik sowie Swissness in der musikalischen Programmgestaltung.
Lena-Lisa Wüstendörfer und Martin Korn tauschen sich aus
(kursiv = Zusammenfassung in Deutsch des französischen Originalartikels)
Verdrängt KI die Kreativen?
Rechtsprechung im Bereich KI und Musik war das Thema des jüngsten Treffens der Parlamentarischen Gruppe Musik am 5. März in Bern. Die Ratlosigkeit war mit Händen zu greifen.
L’OSR se met à la réalité virtuelle
L’Orchestre de la Suisse Romande présente une application de réalité virtuelle permettant une immersion au coeur de l’orchestre.
Rechtsprechung im Bereich KI und Musik war das Thema des jüngsten Treffens der Parlamentarischen Gruppe Musik (PGM) am 5. März in Bern. Die Ratlosigkeit war mit Händen zu greifen.
Wolfgang Böhler
- 11. März 2025
Nationalratssaal in Bern. Foto: Olha Solodenko/depositphotos.com
Wir leben in bewegten Zeiten, Disruption ist das Wort der Stunde. Wie abrupt für sicher gehaltene Regeln der Weltpolitik ausser Kraft gesetzt werden können, war vor Kurzem noch kaum vorstellbar. Das gilt auch für die Kreativwirtschaft. Nach den Zerstörungen traditioneller Distributionsmodelle für Musik, Film, Literatur und Kunst durch Internet-Plattformen scheint nun ein zweiter Tsunami die Kulturschaffenden zu überrollen: Künstliche Intelligenz (KI) droht jetzt auch noch die Produktionsmodelle zu demontieren. Wie soll man darauf reagieren?
Kann es sein, dass es in absehbarer Zukunft keine Komponisten, Schriftstellerinnen, Modefotografen oder Regisseurinnen mehr braucht? Systeme wie Chat-GPT, Deepseek, Claude oder speziell in der Musik Mubert oder Suno erschaffen mittlerweile nach alltagssprachlich formulierten Anweisungen automatisch Werke: «Komponiere einen Tango im Stil von Piazzolla für Flöte und Kammerorchester! Schreib einen Popsong mit Reggae-Elementen als Ode an die Berge!» So etwas reicht als Anweisung, und selbst musikalische Analphabeten können sich von der Maschine Stücke nach ihren Wünschen zurechtschustern lassen.
Allerdings tun dies KI-Modelle erst, nachdem die Anbieter sie dafür mit real existierenden Vorbildern trainiert haben. Sie nutzen damit Werke, die eigentlich urheberrechtlich geschützt sein sollten. Die Frage, die im Zentrum des von Nationalrat Stefan Müller-Altermatt geleiteten PGM-Treffens stand, war denn auch: Gibt es rechtlich Möglichkeiten, den Anbietern der KI-Systeme gegenüber Ansprüche geltend zu machen?
Juristische Spitzfindigkeiten
Auf welche Schwierigkeiten man dabei stösst, erläuterten die Rechtsanwältin Chantal Bolzern und der Jurist Noah Martin, die beide für die Schweizer Rechteverwertungsgesellschaft Suisa tätig waren oder sind. Wie ihre Referate zeigten, herrscht auf dem Gebiet zurzeit tatsächlich noch Verwirrung. Das beginnt schon bei den Fragen, gegen wen man wo rechtlich vorgehen müsste. Die Akteure sind global tätig, mit komplexen internationalen Firmenstrukturen, was es ja schon schwierig gemacht hat, Rechtshändel mit Plattformen wie Facebook auszufechten. Es ist zudem völlig unklar, in welcher Art KI-Anbieter Originalwerke benutzen, um ihre Modelle zu trainieren, und welche Gesetze dabei relevant werden: Neben dem Urheberrecht könnten je nachdem auch Patent- und Wettbewerbsrechte ins Spiel kommen.
Chantal Bolzern betonte deshalb, die zentrale Voraussetzung für Rechtssicherheit auf dem Gebiet sei Transparenz. Wir müssten wissen, wie genau die Trainings gemacht werden. Dies offenzulegen, interessiert die KI-Anbieter aber kaum. Sie schützen ihre Geschäftsmodelle mit Geheimniskrämerei. Das hat zur Folge, dass Debatten geführt werden, die manchmal eher wie Wortklauberei anmuten. Zentral scheint der rechtlich definierte Begriff der «Verwendung» zu sein, der Urhebern Kontrolle über die eigenen Werke erlaubt.
KI-Anbieter stellen sich auf den Standpunkt, dass sie die Originalwerke zum Training ihrer Systeme eben gar nicht «verwenden», sondern – und jetzt wird es juristisch spitzfindig – sie bloss «geniessen», was urheberrechtlich frei machbar ist. «Werkgenuss» ist ebenfalls ein rechtlich definierter Begriff und meint «die blosse Kenntnisnahme eines Werks». Diese wiederum ist stets frei erlaubt. Und selbst wenn man Argumente dafür hätte, dass die KI-Anbieter die Werke im rechtlichen Sinne «verwenden», könnten diese sich auf den Standpunkt zurückziehen, dass sie sie bloss zu «wissenschaftlichen Zwecken nutzen», was wiederum frei möglich ist.
Sind also die rechtlichen Grundlagen zum Umgang mit dem neuen Phänomen KI noch völlig ungeklärt, so gilt dies noch mehr für die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen. Der am Treffen ebenfalls anwesende Neu-Nationalrat und Musiker Ueli Schmezer wies darauf hin, dass schon seit Jahren eine Motion von Balthasar Glättli zur Rechtsdurchsetzung im Internet hängig sei. Sie sollte dazu führen, dass Plattformen wie Facebook eine nationale Anlaufstelle einrichten. Auch da ist die Politik noch nicht weiter. Eine griffige rechtliche Strategie mit Blick auf die kommenden Herausforderungen durch die KI scheint damit in weiter Ferne. Und wenn man bedenkt, dass die Politikerinnen und Politiker zurzeit tatsächlich ganz andere Sorgen haben, dürften für die Kreativen schwierige Zeiten anbrechen.
Steter Hunger nach Originalwerken
Etwas Schadenfreude könnte allerdings doch übrigbleiben, denn es gibt Anzeichen dafür, dass die zurzeit überfallartig über die Kreativwirtschaft einbrechende künstliche Intelligenz schneller implodiert, als man meinen könnte. Am PGM-Treffen wiesen die Rechtsvertreter darauf hin, dass die statistischen Modelle der KI im Korpus der Trainingsdaten immer den Durchschnitt suchen. Mit jeder neuen Trainingsrunde dürften die Daten wiederum auch KI-generierte Werke umfassen und damit die Resultate immer flacher und nichtssagender werden. Ihre Kraft werden die Systeme nur behalten, wenn sie ständig mit originalen, von der Masse abweichenden Werken gefüttert werden.
Was das für die Geschäftsmodelle der Kreativen bedeutet? Angesichts der Ratlosigkeit ist die Versuchung gross, die Frage Chat-GPT und seinen Kumpanen zu stellen. «KI-Modelle haben das Potenzial, die Geschäftsmodelle kreativer Branchen erheblich zu beeinflussen. Sie bieten sowohl Chancen als auch Herausforderungen, da sie den kreativen Prozess verändern und neue Möglichkeiten schaffen», antwortet Chat-GPT. Na ja, so weit waren wir auch schon.
Hellwache Produzenten, mutlose Fernsehleute
Wer war der erste Popstar der Musikgeschichte? Warum unterfordern die Musikprogramme im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ihre Zuschauer? Was unternimmt der Met-Intendant gegen die Finanzierungskrise? Auskünfte zu diesen und vielen anderen Fragen erhielt man Mitte Februar in Berlin bei der internationalen Musikfilm-Messe Avant Première.
Max Nyffeler
- 03. März 2025
Peter Gelb, Intendant der Metropolitan Oper in New York, referierte über die Probleme der Klassikbranche weltweit. Im Vordergrund das Science-Fiction-Titelbild der gesamten Avant Première. (Wolfsschluchtszene aus Freischütz, Bregenz). Foto: Max Nyffeler
Musik in den Medien wird heute zunehmend über Streaming gehört. Belief sich der Umsatz 2006 noch auf 100 Millionen Dollar, so betrug er 2023 bereits 19,3 Milliarden, Tendenz steigend. Die physischen Verkäufe gingen im gleichen Zeitraum von 15,1 Milliarden auf 5,1 Milliarden zurück. Das sind die Zahlen des Weltverbands der Phonoindustrie (IFPI). Sie betreffen die nur gehörte Musik. Der audiovisuelle Sektor ist demgegenüber noch relativ klein. Das liegt weniger an den Marktmechnismen als an der Wahrnehmungssituation: Musik kann man nebenher hören, vielfach wird sie einem als Klangtapete aufgedrängt. Demgegenüber zwingt der Film zum Hinschauen.
Klassikfilme von Bruckner bis Stockfisch
Seit die Übertragungstechnik im Internet den Durchsatz grosser Datenmengen und damit eine ungeahnte Bild- und Tonqualität ermöglicht hat, findet auch der Musikfilm wachsende Verbreitung. Der Konzertsaal oder die Oper in HD auf dem heimischen Bildschirm, eine verlockende Möglichkeit. In dieser aufstrebenden medienästhetischen Gattung sind innovative Ideen und Entdeckungen noch an der Tagesordnung. Das betrifft vor allem den Klassikfilm; im U-Bereich sind die Übertragungen von Popkonzerten mit den immergleichen armschwenkenden Fans schon längst zur erstarrten Routine geworden.
Welche Überraschungen der Klassikfilm nach wie vor bietet, konnte man jetzt wieder bei der Musikfilm-Messe Avant Première in Berlin beobachten. Hier treffen sich jeden Februar Autoren und Produzenten, Betreiber von Internetsendern, Vertriebsleute und Rechtehändler aus der ganzen Welt, um vier Tage lang die Neuproduktionen zu begutachten, Informationen über die aktuellen Entwicklungen in der Branche auszutauschen und vor allem: mit den Neuheiten zu handeln.
Dazu gehört etwa Bruckners Neunte mit Herbert Blomstedt, eine Preziose von Musikfilm. Oder ein Dokumentarfilm über die Schwierigkeiten des Karrierebeginns mit der jungen Cellistin Anastasia Kobekina. Oder die international koproduzierte, achtteilige Dokuserie mit Kurzporträts von Komponistinnen von Hildegard von Bingen über Elisabeth Jacquet de la Guerre bis Ethel Smyth. Und dann das verrückte Projekt The Stockfish Opera: Es zeichnet den Weg nach, den der Stockfisch dank einem Schiffbruch venezianischer Seefahrer 1432 auf den Lofoten nach Venedig fand, wo er heute als «Baccalà Mantecato» eine Delikatesse darstellt. Auch die gemeinsam einstudierte Stockfish Opera folgt diesem Weg: Man sieht die Menschen aus dem hohen Norden, wie sie vor dem erstaunten Publikum in Venedig ihr Stück aufführen.
Künstlerisch Interessantes unter Druck
Auf insgesamt 61 Showreels von 12 bis 15 Minuten Dauer wurden rund 500 Neuproduktionen in kurzen Ausschnitten vorgestellt. Das waren zwar bloss Häppchen. Aber solche Momentaufnahmen geben einen Einblick in die ästhetische Ausrichtung der Produzenten und in die aktuellen Trends. Dabei stellt sich unweigerlich die Frage nach dem Verhältnis von Inhalt und kommerziellem Erfolg.
Noch haben künstlerisch interessante Neuheiten, auch Gewagtes, auf dem internationalen Markt eine Chance, wenn auch nicht mehr so häufig wie früher. Doch die Zukunftsaussichten sind eher düster. Die grösste Gefahr droht heute von den wirtschaftlich-politischen Unwägbarkeiten des Ukrainekriegs. Sie werden auch im Kulturbereich absehbar tiefe Spuren hinterlassen. Es liegt aber auch an den öffentlich-rechtlichen Anstalten, die schon seit einigen Jahren aus Angst, sie könnten elitär wirken und deshalb unter Beschuss geraten, solche Beiträge nicht mehr einkaufen, geschweige denn selbst herstellen. Mit ihnen als Koproduzenten gehen substanzielle Finanzmittel verloren.
Da bildet auch Arte keine Lösung, denn in der Regel kauft der deutsch-französische Sender nur ein, was in den Anstalten der beiden Länder produziert wird. Diese ziehen sich heute zunehmend auf Mainstreamprodukte zurück: Le Concert de Paris vor dem Eifelturm mit einem Publikum, das in die Zehntausende geht; Klassik am Odeonsplatz, ein anderer Schönwetter-Event, diesmal vom Bayerischen Rundfunk, ferner dasselbe aus Wien oder Berlin. Und dann natürlich das Wiener Neujahrskonzert, das bis nach Fernost ein sicherer Quotenrenner ist. Der Sieger für 2025 steht schon fest: der vor 200 Jahren geborene Johann Strauss, wenigstens kein Unsympathling. In Berlin ist er nun zum ersten Popstar der Musikgeschichte ernannt worden.
Auf diese problematische Mainstreamästhetik kam Reiner Moritz bei der Präsentation seines Showreels zu sprechen. Der international hoch dekorierte Produzent und Autor unzähliger Musikfilme seit den 1970er-Jahren, Inhaber einer Vertriebsfirma mit dem hübschen Namen Poorhouse International und noch mit 87 Jahren eine treibende Kraft hinter den Kulissen der Avant Première, sprach dabei die Kollegen von den öffentlich-rechtlichen Anstalten direkt an: «Bitte zeigt ein bisschen mehr Mut und seid ein wenig neugieriger! Es gibt so viele interessante Dinge, die das Publikum kennen sollte und die ihr ihm zeigen solltet.» Er berief sich dabei auf John Reith, den Gründungsdirektor der BBC London, der 1922 die Aufgabe des öffentlichen Rundfunks mit drei Stichworten umschrieb: Information, Bildung und Unterhaltung.
Schweizer Beiträge …
Aus der Schweiz war bisher immer das Tessiner Fernsehen dabei. Sein Kennzeichen sind Filme, die nicht mit dem Mainstream schwimmen: Etwa ein witziger Animationsfilm zu Beethovens 250. Geburtstag vor fünf Jahren, eine Dokumentation mit Liedern der im 19. Jahrhundert nach Lugano geflüchteten italienischen Anarchisten oder der grossartige Künstlerfilm Die Alchemie des Klaviers von Jan Schmidt-Garre. RSI fehlte in diesem Jahr, was hoffentlich kein Zeichen für eine Drosselung der Produktion ist. Doch es gab trotzdem etwas aus der Schweiz zu sehen: ein informatives, schön gemachtes Filmporträt von Frank Martin – produziert in den Niederlanden, wo der Genfer seinen Lebensabend verbrachte.
Frank Martin mit Papagei. Der Schweizer Komponist hatte einen speziellen Sinn für Humor. Das kommt auch im Dokumentarfilm «L’Univers de Frank Martin» zum Ausdruck. Er ist via frankmartin.org zu sehen. Foto: Frank Martin Society
… und amerikanische Perspektiven
Die Probleme, mit denen die Musikinstitutionen im Klassikbereich heute zu kämpfen haben, sind international. Peter Gelb, Intendant der Metropolitan Opera in New York, der bei der Avant Première den Eröffnungsvortrag hielt, erklärte mir im Interview, wie es in Amerika aussieht, wo Subventionen praktisch Null und Sponsoring und Ticketverkauf die einzigen Geldquellen sind. Im Bermudadreieck Publikum–Repertoire–Kosten sucht Gelb nach einer Lösung, um das riesige Haus von 3800 Plätzen überhaupt noch am Laufen zu halten. Nach der Pandemie, sagt er, seien viele ältere Besucher weggeblieben. Davor deckten Ticketverkauf und Einnahmen aus den Kinoübertragungen ungefähr fünfzig Prozent der Kosten von rund 300 Millionen Dollar ab, und die andere Hälfte, also etwa 150 Millionen, kam von privaten Spendern. Weil sich nach der Pandemie die Einnahmen nicht richtig erholten, muss der Spendenanteil nun auf rund 200 Millionen steigen. «Wir sind», sagt Gelb, «weltweit die einzige kulturelle Institution, die derartig hohe Summen beibringen muss.»
Er konstatiert eine Lücke zwischen dem langsam wegsterbenden, traditionsorientierten Publikum und den jüngeren, hippen Besuchern und fährt deshalb zweigleisig: einerseits Tosca und Aida, andererseits zeitgenössische Werke. Diese finden aber nur Anklang, wenn prominente Sänger auf der Bühne stehen, die Musik die Hörer nicht überfordert und das Werk auf intelligenten Libretti und Inszenierungen basiert.
Den Spielplan richtet Gelb konsequent nach dem Publikum aus: «Was ich nie verstanden habe, ist die Haltung vieler Kritiker, die meinen, Oper sei für sie gemacht. Nein, die Oper soll für möglichst viele Menschen da sein. So dachten schon Puccini, Verdi und Mozart. Nur so kann sie als Kunstform weiterbestehen, und nur so können auch neue Werke überleben. Sie sollten nicht für einen schrumpfenden Kreis von Insidern geschrieben werden.» Sein Fazit: «Ich weiss nicht, wie die Zukunft der Met aussehen wird. Nur eines weiss ich: Wir müssen die Kunst weiterentwickeln und Risiken eingehen. Zurückweichen oder Stehenbleiben ist das sicherste Rezept zum Scheitern. Bei einer alternden Kunstform wie der Oper sind Kreativität und die Suche nach Neuem die einzige Garantie für ihr Weiterbestehen.»
Wie geht es den Musiklehrpersonen in der Schweiz?
Matchspace Music hat eine Umfrage lanciert. Sie läuft bis Ende März.
PM/SMZ
- 03. März 2025
Foto: davizro/depositphotos.com
Matchspace Music bezeichnet sich selbst als «die grösste und vielseitigste Plattform für privaten Musikunterricht in der Schweiz». Die Firma hat eine Umfrage unter Schweizer Musiklehrpersonen gestartet. Sie möchte damit «ein umfassendes Bild über die berufliche Situation, aktuelle Herausforderungen sowie den Einsatz neuer Technologien im Unterricht» gewinnen. Die Befragung dauert etwa 5 Minuten und kann bis Ende März ausgefüllt werden. Geplant ist, die Resultate im April zu veröffentlichen.
Am 11. Februar brachte vokal:orgel zusammen mit rund 180 jungen Stimmen Mendelssohns «Walpurgisnacht» und weitere Werke in einer halbszenischen Aufführung im Stadtcasino Basel zu Gehör.
Lukas Nussbaumer
- 27. Feb. 2025
Bild: Fotoman
Die Musikstadt Basel scheint sich den Mai regelrecht herbeizusehnen. Ja, dann soll hier ja so ein grosser europäischer Musikwettbewerb stattfinden, und kurz darauf so ein grosses europäisches Chorfestival. Aber darum geht es hier nicht – nein, die Rede ist von der Walpurgisnacht, dem traditionellen «Tanz in den Mai».
Namentlich abgeleitet von der heiligen Walburga, wird das Fest spätestens seit der europäischen Hexenmanie im 16. und 17. Jahrhundert vor allem mit dem Hexensabbat auf dem Blocksberg assoziiert. Zementiert hat diese Bedeutung Goethe, der das Fest im Faust und andernorts mehrfach bildhaft poetisch beschrieben hat. Aus einer dieser Beschreibungen wurde schliesslich auch Musik: Nachdem sein Lehrer Carl Friedrich Zelter nicht wollte, komponierte Felix Mendelssohn auf Goethes Text die Kantate «Die erste Walpurgisnacht».
Dieses gut halbstündige Stück, das den Winter austreibt und den Frühling einläutet, war am 11. Februar 2025 im Stadtcasino Basel bereits zum zweiten Mal innert kurzer Zeit zu hören. Im vergangenen November hatten es das Collegium Musicum Basel und der Basler Bach-Chor aufgeführt, nun machte sich der junge Konzertveranstalter vokal:orgel daran. Während die erstgenannte Aufführung – entsprechend der beiden altehrwürdigen Institutionen – relativ traditionell daherkam, war die jüngste Umsetzung am 11. Februar 2025 eingebettet in ein durchchoreografiertes, halbszenisches Gesamtprogramm, das einen dramaturgischen Bogen vom tiefen, nordischen Winter zum feierlichen Frühlingsbeginn spannte.
Bild: Fotoman
Dunkler nordischer Winter
In kompletter Dunkelheit wurde eingangs der Flügel aus der Versenkung hochgefahren und Dominic Chamot spielte im Polar-Outfit Fanny Mendelssohns Januar aus den 12 Charakterstücken. Dazu begab sich ein Teil des Chors, gekleidet in Mönchskutten, auf die Bühne, wo er bald in das Rondo Lapponico von Gunnar Arvid Hahn einstimmte – ein frostiges Stück, das dem traditionellen samischen Joik nachempfunden ist, und die lappländische Natur (Gänse, Gewässer, Hügel, Wälder) besingt. Nach einer Sprechchor-Einlage («Kommt!») komplettierte sich während der anschliessenden Orgelkomposition Évocation II von Thierry Escaich der Chor und formierte sich mit dem Rücken zum Publikum. Es folgte das estnische Volkslied Lauliku Lapsepõli (dt. «Die Kindheit des Sängers») in der Version von Veljo Tormis, bei dem sich der Chor nach und nach zum Publikum drehte. Wie die meisten der vorgetragenen nordischen Stücke kreierte das Stück im Musiksaal des Stadtcasino eine gleichsam ätherische Atmosphäre, eine gläserne Klanglichkeit, wie verschiedene Eisflächen, die übereinandergeschichtet waren. Das Lied leitete über in diffuses Flüstern, aus dem sich schliesslich eine solistische Sprechgruppe herauskristallisierte und einen «Fluch auf das Eisen» in Szene setzte – ein eindringlicher poetischer Antikriegstext, der kurz darauf in Raua needmine in estnischer Originalsprache und mit schamanischer Trommelbegleitung auch chorisch ertönte. Das zwischenzeitliche christliche Volkslied Ma on niin kaunis stimmte versöhnlichere Klänge an, indem es die Schönheit der Natur, die Gnade Gottes und die singende Pilgerreise der Seele anpries.
Ein winterlicher, nordischer erster Teil wurde abgerundet mit Fanny Mendelssohns Andante espressive, währenddessen der Chor mit Fingerschnippen den einsetzenden Regen imitierte, der, ohne Verschnaufpause, in den Beginn – «Das schlechte Wetter» – der Walpurgisnacht von Fannys Bruder Felix überleitete.
Bild: Fotoman
Frühlingshafte Szenerie mit Orgel und Klavier
Für die Musik der Walpurgisnacht war am 11. Februar 2025 im Rahmen der vokal:orgel-Aufführung kein Orchester zuständig – dessen Partie wurde für Orgel, Klavier und Perkussion umgeschrieben und von Babette Mondry (Orgel), Dominic Chamot (Klavier) und Tomohiro Iino, Pablo Mena Escudero und Yi Chen Tsai (Perkussion) gespielt. Und wenn wir gleich bei den Beteiligten sind: Der Chor setzte sich aus jungen Stimmen der Gymnasien Muttenz und Laufen sowie der Steinerschule Birseck zusammen, mit dabei war zudem die Junge Oper des Theaters Basel – ein insgesamt 180-köpfiges Ensemble, zusammengehalten durch die Leitung von Abélia Nordmann.
Während der Ouvertüre der «Walpurgisnacht» wandelte sich das Bühnenbild von einer winterlichen zu einer frühlingshaften Szenerie – mit gelb-grüner Kleidung des Chors (der ausserdem bunte Blumenkränze hervorholte) und ebensolcher Beleuchtung. Mendelssohns Stück funktionierte auch in der speziellen Bearbeitung – die Metzler-Klahre-Orgel des Stadtcasino vermochte mit ihren rund 350 Registermischungen die verschiedenen Klangfarben des Orchesters stimmig zu suggerieren und der Musik dabei zugleich einen eigenen, gewinnbringenden Anstrich zu verleihen; das Klavier unterstützte vor allem in der Konturierung der Melodien. Gesanglich überzeugten nicht nur der Chor, sondern auch die Solistin und Solisten – besonders hervorzuheben ist Bariton Felix Gygli, dessen Volumen, Phrasierung und Bühnenpräsenz beeindruckten.
Bild: Fotoman
Auch die Integration der szenischen Elemente (für deren Konzeption Salomé im Hof verantwortlich zeichnete) gelang, beim maskierten Auftritt der «Menschenwölfe und Drachenweiber» kam im Stadtcasino kurzzeitig sogar schon ein bisschen Fasnachtsstimmung auf. Der dramaturgische Gesamtbau der Aufführung war sorgfältig und sinnvoll durchdacht – von Fanny bis Felix Mendelssohn, von Winter bis Frühling, von dunkel bis leuchtend; und im ersten Teil gab es mehrere Entdeckungen aus dem skandinavischen und baltischen Vokalrepertoire. Geradezu ansteckend wirkte der grosse Enthusiasmus der Beteiligten, allen voran jener des Chors. Fazit: Der Frühling kann kommen.
Transparenzhinweis:
Lukas Nussbaumer hat den Text im Auftrag von vokal:orgel verfasst und wurde dafür honoriert. Der Text ist zuerst auf der Website des Autors lukasnussbaumer.com erschienen.
Bild: Fotoman
Nils Pfeffer und Anna Krimm unterrichten ab Herbst in Zürich
An der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) kann ab Herbstsemester 2025 bei Niels Pfeffer das Hauptfach Lauteninstrumente und bei Anna Krimm das Hauptfach Viola studiert werden.
ZHdK
- 27. Feb. 2025
Anna Krimm. Foto: Ivel Hippolite – Niels Pfeffer. Foto Marc Weber
Niels Pfeffer studierte Generalbass, Cembalo, Gitarre und Laute in Stuttgart, Freiburg, Den Haag und Basel. Dabei wurde er durch ein Deutschlandstipendium sowie eine Excellence Scholarship gefördert und seine Master-Diplomarbeiten wurden preisgekrönt. Er unterrichtet Theorbe, korrepetiert an Cembalo und Laute an verschiedenen Musikhochschulen und verfolgt am Musikwissenschaftlichen Institut der Universität Tübingen sein Dissertationsprojekt. Mit seinen Instrumenten ist er ein gefragter Kammermusikpartner. Zahlreiche Aufnahmen und Wettbewerbe dokumentieren sein Wirken als Continuospieler. Pfeffer machte Fernseh- und Rundfunkaufnahmen und gab Konzerte und Meisterkurse in Europa, im Libanon, in Armenien und Mexiko.
Anna Krimm studierte Viola an den Musikhochschulen von Karlsruhe und Berlin (UdK, HfM Hanns Eisler) und Barockviola in Weimar. Sie ist Dozentin für Viola an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt am Main, Stellvertretende Solobratschistin im Beethoven Orchester Bonn und Mitglied bei der Formation Spira mirabilis. Als Gast arbeitet sie mit renommierten Ensembles zusammen, unter anderem mit dem Chamber Orchestra of Europe, dem Radio Sinfonie Orchester Stockholm, mit den Orchestern von RSB, WDR, SWR, dem Ensemble Resonanz und der Kammerakademie Potsdam.
In Dieter Ammanns Violakonzert «no templates» taucht das Soloinstrument manchmal völlig im Orchesterklang unter. Die Uraufführung vom 22. Januar mit Nils Mönkemeyer und dem Sinfonieorchester Basel begeisterte das Publikum.
Sibylle Ehrismann
- 19. Feb. 2025
Vorne, von links: Nils Mönkemeyer, Dieter Ammann, Fabien Gabel. Foto: Benno Hunziker
Vier Jahre lang hat Ammann mit Unterbrechungen an diesem Konzert gearbeitet, Damit beauftragt haben ihn gleich mehrere namhafte Orchester und Festivals: das Sinfonieorchester Basel, das Münchener Kammerorchester, das Lucerne Festival, das Tongyeong International Music Festival und das Esprit Orchestra in Toronto.
Der Orchestersatz ist für den international gefragten Dieter Ammann das liebste Tummelfeld. Er versteht es, die vielen Farben und strukturellen Beziehungen mit grosser Fantasie auszuloten. Die energiegeladene Dynamik und eine bis zur Mikrotonalität austarierte Harmonik weiss er mit überraschender Dramaturgie zu verbinden.
Nach mehreren erfolgreichen Orchesterwerken wie glut (2014–2016) und Turn (2010) wagte Ammann den Schritt zum Konzertanten. Die traditionsschwere Gattung des Solokonzerts kommt seiner Vorstellung von Virtuosität und dem subtilen Aushorchen des solistischen Instruments entgegen. Dabei geht es auch stets um den Kampf zwischen Soloinstrument und Orchester.
Dem Klavierkonzert Gran Toccata (2016–2019) und dem Konzertsatz für Violine und Kammerorchester unbalanced instability (2012–2013) folgt nun also das Violakonzert no templates (keine Schablonen). Für Ammann ist das Komponieren seit je «eine lange Reise ins Offene». Im Verlauf eines Stücks könne zu jedem Zeitpunkt alles passieren. Konstant sei nur der stete Wandel «vom fliessenden Übergang bis zur Ruptur».
Ringen um die solistische Position
Die Möglichkeiten der Bratsche werden in diesem Konzert radikalisiert. Der Solopart bewegt sich hauptsächlich in den tiefen Bereichen, neue Farben entstehen. «Die Tiefen haben etwas Archaisches, das mir gefällt», meint er dazu. Dass er sich darüber hinaus auf die tiefste Saite konzentriert, ist solistisch eine grosse Herausforderung. «Mich reizt die tiefe Lage der tiefsten Saite, weil dies das Spektrum ist, das ich in meinem Geigenkonzert nicht hatte und ich die Bratsche dort unten extrem gerne höre.»
Aber hat die Bratsche überhaupt eine Chance, im Orchesterklang herausgehört zu werden? Nur ab und zu. Nils Mönkemeyer kämpfte über weite Strecken mit rhythmischem Drive und virtuoser Kraft um seine solistische Position. Man sah es, hörte es aber kaum. Dann tauchte die Solostimme auf, um bald wieder abzutauchen. Das Soloinstrument führte einen vielschichtig variierten Dialog mit dem Orchester. Das ergab eine dramaturgische Innenspannung, doch das Ohr suchte den dunklen Bratschenklang oft vergebens.
Das Sinfonieorchester Basel trat dem Solisten mit grosser Besetzung und reichhaltigem Schlagwerk gegenüber. Ammanns fein vernetzte, harmonisch immer wieder «instabile» Musik forderte von den Ausführenden kammermusikalische Qualitäten. Unter der souveränen Leitung von Fabien Gabel, der viel Sinn für die klangliche Raffinessen zeigte, gelang den Baslern eine präzise und kraftvoll-dynamische Interpretation.
Spiel mit Quinten
Besonders originell ist der Anfang. Der Solist beginnt mit Pizzicati auf allen vier Saiten, als würde er sein Instrument einstimmen. Zuerst zupft er ein Cis auf der C-Saite, dann folgt die reine Quinte. So wirken die beiden untersten Saiten anfangs verstimmt. Auf eine weitere verminderte Quinte folgen zwei reine. So spielt Ammann mit Quinten. Er suggeriert damit auch eine «imaginäre» fünfte Saite. Aus der Quinte des Anfangs entwickelt der Komponist das weitere Geschehen und wagt damit eine unverstellte Tonalität. Das Intervall spielt strukturell eine wichtige Rolle und erscheint sowohl melodisch als auch harmonisch.
Die temperierte Stimmung reflektiert Ammann in bestimmten Akkorden. Diese «Zonen von Tonalität» werden verschiedenen Zuständen von (In)Stabilität ausgesetzt und mit klanglich ganz unterschiedlichen Atmosphären konfrontiert. Mikrotonalität, wie er sie etwa im Klavierkonzert mit Spektralharmonik verwendet hat, kommt aber noch immer vor. Das ist subtil gemacht und lässt aufhorchen.
Klage in hoher Lage
In die höheren Lagen durfte sich Nils Mönkemeyer nur in zwei Ausnahmefällen aufschwingen. Er machte wahrhaft magische Momente daraus, einmal aus dem Ende der Kadenz (Cadenza II, ins Offene). Es ist eine «zitathafte Klage», in der ein Schubert-Lied aufscheint. Mit dieser Klage gedenkt Ammann seines Komponistenfreundes Wolfgang Rihm, der kürzlich verstorben ist. Rihm und Ammanns Familie ist dieses Konzert gewidmet.
Mönkemeyer hebt diese Passage mit inniger Hingabe und subtiler Tongebung in eine andere Sphäre. Seine vergeistigte Musikalität offenbart sich auch im Schluss des Konzerts. Langsam steigt der Bratschenklang auf, ganz alleine, mit rein intonierten Flageoletts bis in die höchsten Höhen. Das ist betörend – wie schon der Anfang: ein grossartiger Einfall. Das Publikum war hingerissen und spendete allen Beteiligten begeisterten Applaus.
Das Sinfonieorchester Basel begleitete den Bratschisten Nils Mönkemeyer unter der Leitung von Fabien Gabel. Foto: Benno Hunziker
Exil als Biografie und Schaffensbedingung
Das 11. Mizmorim-Kammermusikfestival fand vom 29. Januar bis am 2. Februar in Basel und Baselland statt. Das Thema «Exil» liess es erneut zu einem Zyklus aktiven Erinnerns werden. Am 20. März ist auf SRF 2 ein Querschnitt zu hören.
Roland H. Dippel
- 17. Feb. 2025
Ilya Gringolts und Lawrence Power. Foto: Liron Erel & Co
Durch die aktuellen Entwicklungen gewann das Thema «Exil» weit über Basel hinaus an Relevanz – auch durch die Biografien vorgestellter Musikpersönlichkeiten, die vor dem Holocaust flohen oder in Konzentrationslagern Deutschlands den Tod fanden. «Exil» wurde als «Feier der vielfältigen Begegnungen von jüdischer Musik und westlicher Kunstmusik» erfahrbar, zwangsläufig auch die äusserst empfindliche Membran zwischen Kritikkompetenz und Antisemitismus.
Ein gutes Beispiel für angestossene Wissens- und Bewusstseinsprozesse war das Late Night Concert des Pianisten Denis Linnik, einem Empfänger der Mizmorim-Nachwuchsförderung. Dieser spielte im Teufelhof die Burlesken op. 31 des nach seinem amerikanischen Exil lange vergessenen Ernst Toch, ein Intermezzo des sich zwischen Skrjabin und Strawinsky positionierenden Arthur Lourié und die frühe Sonate des mit vermutlich 106 Jahren im Jahr 2002 verstorbenen Leo Ornstein. Solche Entdeckungen machen die Energie und den Anspruch des Mizmorim-Festivals aus. Die Kompositionen offenbarten unterschiedliche kreative Qualität.
Neben etablierten Konzertorten wie der Druckereihalle Ackermannshof fanden Konzerte in der 2024 eröffneten Kunsthalle Baselland statt. Das Start-Konzert in Zürich ausgenommen, gastierte das Mizmorim-Festival damit erstmals ausserhalb Basels.
Kurator Erik Petry vom Zentrum für Jüdische Studien der Universität Basel, zu dessen Studierenden Mizmorim-Leiterin Michal Lewkowicz gehörte, liegt die Verbindung von Programmgestaltung vor allem zur Geschichte des 20. Jahrhunderts am Herzen. Barbara Häne, auch sie eine Alumna von Petry, resümierte nach ihrer Führung über «Exil in der Schweiz» im Jüdischen Museum Basel: «Antisemitismus endet nicht an der Grenze.» Insofern ist eine Würdigung und Verortung des Mizmorim-Festivals nur nach Kriterien der Interpretation und der Qualität von Kompositionen definitiv nicht möglich, schliesst immer globale Migrationen von Juden und regionale Faktoren ein. Zumindest gilt das für die vor dem Millennium entstandenen Kompositionen. Der vom Geiger Ilya Gringolts betreute Kompositionswettbewerb für das Festival 2026 mit dem Motto «Jerusalem» blickt in die Zukunft, ebenso die Konzerte speziell für junges Publikum.
Verhallter Eröffnungsabend
Wenig erfolgreich war man mit dem Performance-Komponisten Janiv Oron. Sein Hauptbeitrag wurde zur Festivaleröffnung im Musiksaal des Stadtcasinos als Uraufführung angekündigt. Das rüde Stück Histoire du soldat des lange staatenlosen Exil-Russen Igor Strawinsky erwies sich als sinnfällige Schnittstelle zum Mizmorim-Motto. Orons Sounddesigns blähten die kleine Besetzung allerdings mit Halleffekten auf und überwölkten das Finale des in Hinblick auf Antisemitismus nicht ganz unbescholtenen Kosmopoliten Strawinsky.
Der Schweizer Charles-Ferdinand Ramuz hatte das Märchen 1917 aus der russischen Afanassjew-Sammlung in sein Heimatland versetzt sowie für drei Sprechrollen, eine Tänzerin und Kammerensemble mit exponierter Violine (idealer Part für Ilya Gringolts) eingerichtet. 1975 wurde der Neubau des Theaters Basel mit der auch bei der Mizmorim-Aufführung verwendeten deutschen Übersetzung von Mani Matter eröffnet. Eine Regie nannte man nicht für die halbszenische Aufführung, bei der das Parkett für einen langen Laufsteg leer blieb und das Publikum vom Rang auf die enervierende Inselsituation der Prinzessin und des ihr angetrauten Soldaten hinabblickte. Die profunde Einführung von Heidy Zimmermann in der Paul-Sacher-Stiftung, die Strawinskys Nachlass erschliesst, hatte die Aufmerksamkeit für die aussergewöhnliche Bedeutung des Werks geschärft. Das finalisierte Partitur-Autograf schenkte Strawinsky übrigens zum Dank für seine Hilfe dem Winterthurer Mäzen Werner Reinhart.
Weitgreifende Moderne
Die Mizmorim-Idee verwirklichte sich in den folgenden Tagen weitaus überzeugender. Das zweite Streichquartett des bei Krakau geborenen und an der Wiener Musikhochschule als Professor wirkenden Roman Haubenstock-Ramati erwies sich interpretiert vom Gringolts Quartet als brillantes Kompendium von Kompositionstechniken der Moderne. In der letzten Spielzeit wurde Haubenstock-Ramatis Kafka-Oper Amerika in Zürich mit sensationellem Erfolg aufgeführt. Die Materialien dazu gehen ebenfalls an die Sacher-Stiftung.
Affirmative Wildheit zeigte die bereits in Zürich erklungene Uraufführung des Duos sh’nayim levad (leàn?) – zwei allein (wohin?) des Composers in Residence Hed Bahack (geb. 1994). Ilya Gringolts und der Viola-Virtuose Lawrence Power steigerten die Vitalitätsrendite des Werks, in dem Bahack die Extremwerte zwischenmenschlicher Kommunikation von Angst bis Krisenerfahrung suggestiv auffädelt. Bahacks Stück ist auch ein performatives Ereignis – wie Mark Kopytmans October Sun für Singstimme, Flöte, Violine, Violoncello, Klavier und Schlagzeug (1974). In dieser Schweizer Erstaufführung zeigte das Mizmorim-Festival-Ensemble auch das organisiert Ziellose der in allen Stimmen und vielen Stilen mit atonalem Fortissimo-Aufbäumen mäandernden Komposition.
Das Spannende am Mizmorim-Festival war nicht nur der Streifzug durch unbekannte Musikgefilde mit Beiträgen von Exiljuden, deren Spur sich in den Wanderbewegungen des 20. Jahrhunderts oftmals verlor. Hörende sahen sich vor der Herausforderung, die bewusste Wahrnehmung der historischen Bedingungen mit unbefangener Offenheit für das Musikerlebnis abzuwägen.
Am 20. März 2025 ist auf SRF 2 um 20 Uhr in der Sendung Im Konzertsaal ein Querschnitt zu hören sein: