Mutige Gegenwart
Wer Meiningens offizielle Seite im Netz anklickt, blickt zu allererst ins goldene Gewölbe des Theaters, ein Haus im Empirestil. Hier geht Philippe Bach ein und aus, dirigiert Konzerte und Opern, wie momentan gerade Straussʼ Capriccio oder Adèsʼ Powder Her Face. Es sei denn, der Generalmusikdirektor (GMD) sei mit seiner Hofkapelle unterwegs, beispielsweise im Dampflokwerk im Norden der Stadt oder immer wieder im grossen Saal auf der Wartburg bei Eisenach, wo jeweils Wagners Tannhäuser gewissermassen am «Originalschauplatz» gespielt wird – ein touristischer Anlass der besonderen Art.

2015/16 war für die Meininger Hofkapelle, die auch die Orchesterkonzerte im Theater spielt, ein Jubiläum angesagt. Das Orchester, das seit 2006 wieder seinen alten Namen trägt, feierte sein 325-jähriges Bestehen. Indes, um Mahlers vielzitiertes Wort zu paraphrasieren, Philippe Bach ist weit davon entfernt, die Asche vergangener Hochzeiten anzubeten, sondern entfachte seit seinem Amtsantritt gleich mehrere Feuer, helvetische nota bene. Sicher, da mögen Brahms, Strauss und Reger eine gewisse Vorzugsstellung geniessen, aber ein Interpret, der sein Handwerk bei Persönlichkeiten wie Peter Eötvös verfeinert hat, kennt die Gegenwart und blickt in die Zukunft. Dass dabei eine Art Schweizer Konstante seine Programme bereichert, ist erfreulich und vor allem nicht selbstverständlich.

Fruchtbarer Austausch
Philippe Bach lud beispielsweise von Anfang an regelmässig Schweizer Interpreten wie den Pianisten Adrian Oetiker, den Hornisten Olivier Darbellay oder den Dirigenten Kaspar Zehnder nach Meiningen ein. Kompositionen von Honegger, Martin oder Rudolf Moser dürfte das Meininger Publikum in einer Weise verinnerlicht haben, von der man hierzulande nur träumen kann. Wen wundert es da, dass sich Bach auch nicht zurückhielt, in der Jubiläumssaison mit Heinz Holliger und Mario Venzago zwei Schweizer Interpreten einzuladen. Umrahmt von frühen Werken von Richard Strauss, präsentierte Holliger fünf seiner Solo- und Duo-Kompositionen mit dem klangart-Ensemble dem begeisterten thüringischen Publikum. Daraus entwickelte sich ein vielperspektivisches meiningisch-schweizerisches Programm.

Konzertprogramme sprechen dann eine besondere Sprache, wenn sich die Stücke gegenseitig anschauen, sich ergänzen und in ihrer Konstellation über sich hinausweisen. Mario Venzago wagte mit der Verbindung von Arthur Honeggers Fünfter (di tre re) und Paul Juons A-Dur-Sinfonie gar ein rein schweizerisches Programm. Juons Sinfonie, die dem Komponisten zu Lebzeiten den ehrenden Titel eines «russischen Brahms» eintrug, war 1903 durch die Meininger Hofkapelle uraufgeführt worden. In der kommenden Saison präsentiert Philippe Bach in Meiningen mit dem Fagottisten Andrea Cellacchi, den Pianisten Adrian Oetiker und Teo Gheorgiu sowie dem Flötisten Matthias Ziegler erneut ein erstaunliches Schweizer Gastpaket. Gleichsam im Gegenzug wird im November Philippe Bach im Konzert des Berner Sinfonieorchesters Max Regers Variationen und Fuge über ein Thema von Mozart dirigieren, ein Werk, das der Komponist 1914 in Meiningen schrieb.

Da ist zwischen republikanisch-helvetischer Zurückhaltung und höfisch-thüringischer Geschichtsträchtigkeit eine ganz besondere musikalische Achse entstanden.

Kinderkonzert mit Philippe Bach in Meiningen. Foto: Michael Reichel