Vinko Globokars Werk unter der Lupe

Mit einem Symposium, drei Konzerten sowie zwei Workshops widmete die Zürcher Hochschule der Künste dem 1934 geborenen Vinko Globokar einen umfangreichen Schwerpunkt.

Vinko Globokar. Foto: Max Nyffeler,Foto: Max Nyffeler

Kaum bemerkt von der grossen Musiköffentlichkeit veranstaltet die Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) regelmässig prominent besetzte Tagungen zu Komponisten, die die musikalische Moderne geprägt haben und die im Idealfall auch selbst zu Gast sind. Das Symposium in Anwesenheit Vinko Globokars schloss an Tagungen zu Alvin Lucier, Jannis Xenakis oder Gérard Grisey an und versammelte wiederum eine Schar profunder Kenner und Vertrauter des Komponisten.

«Es ist alles Zufall», meinte Vinko Globokar im Gespräch mit Jörn Peter Hiekel, Leiter des Symposiums, und Jens Schubbe, künstlerischem Leiter des Collegium Novum Zürich, zu seinem Werdegang. Der humoristische Tonfall und die Leichtigkeit überraschten. Denn mit Globokar, Komponist, Posaunist und Improvisator, verbindet man auf Anhieb eher archaische Körperkraft oder politisch-gesellschaftlichen Impetus. Als von Grund auf politischer Mensch stellt er in seinen Kompositionen konsequent das institutionelle Gefüge des klassischen Musikbetriebs, das Format des Konzerts wie auch Hierarchien des Klassiksystems in Frage. Zentrale Aspekte bilden dabei das Verhältnis von Körper und Instrument, von Komposition und Improvisation oder von Individuum und Gruppe. Legendäre Werke wie ?Corporel (1985) oder Res/As/Ex/Inspirer (1973) widmen sich ganz dem Körper oder dem Atem und führen Interpreten an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit.

Gerne zitiert Globokar die Beschreibung seines engen Komponistenfreundes Heinz Holliger, dass er «als Komponist einem Architekten gleiche, der komplizierte Gebäude konstruiere und gleichzeitig Bomben lege, um diese wieder zu zerstören». Dies erzählte Max Nyffeler (München) in seinem Symposiumsbeitrag und folgerte: «Eine prekäre Situation zu errichten, die jederzeit zusammenbrechen kann, zieht sich durch sein gesamtes Werk.» Er betonte zudem, dass es Globokar beim Komponieren nie um exklusives Wissen gehe, sondern dass er «inklusiv» komponiere. Viele seiner Werke riefen nämlich zum Teilnehmen auf. Bei der Einstudierung sei er folgerichtig möglichst immer dabei, so auch bei Proben zu Discours II für fünf Posaunen, dessen Aufführung durch Studierende der ZHdK auf das Symposium eingestimmt hatte.
 

Instrumente als Verlängerung des Körpers

Jörn Peter Hiekel strich Globokars Bedeutung für die Gegenwartsmusik in einer Weltbezogenheit gegenüber kulturellen und politischen Ereignissen heraus. Diese manifestiere sich in anarchischer Kraft, Performativität, dem Einbezug des Raumes oder im wesentlichen Beitrag zum Verhältnis von Komposition und Improvisation. Sabine Beck (Frankfurt) ging anschliessend auf dieses Zusammenspiel von Komposition und Improvisation näher ein. Zur methodischen Unterscheidung seien ein Zeit- und ein Handlungsfaktor ausschlaggebend: Beim Improvisieren entscheide man zeitgleich über das Vorgehen, bei der Komposition würden die Entscheide vorher gefällt. So meinte Globokar zum 1969 mitbegründeten Improvisationsensemble New Phonic Art: «Alles was passiert, passiert jetzt auf der Bühne; wir reden vorher nicht darüber, wir reden nachher nicht darüber.» Für Globokar brauche es den ganzheitlichen, selbstverantwortlichen Musikertypus, der immer auch Sänger und Performer sei und sich kritisch mit Musikbegriff und Gesellschaft auseinandersetze, so Becks Fazit. Matthias Arter am Lupofon und Vladimir Blagojevic am Akkordeon führten schliesslich in einer Lecture Performance anhand von Ausschnitten aus Septuor par treize sources (2017) spezifische Herausforderungen Globokars an die Interpreten vor Augen. Globokars neustes Kammermusikstück, das am abendlichen Konzert der pre-art soloists zu erleben war, verzichtet gänzlich auf Improvisation, verlangt vollen performativen Einsatz und setzt die Instrumente fast als Verlängerung der Körper ein.

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Matthias Arter bei der Lecture Performance

Am Vorabendkonzert des Collegium Novum Zürich, das Globokar neben Mauricio Kagel und Bernd Alois Zimmermann präsentierte, wirkten auch etwas ältere Stücke erstaunlich aktuell. In Dialog über Erde für Soloperkussion (1994) beispielsweise, von Julien Mégroz kongenial interpretiert, dreht sich alles um Wasser. Alle Arten von Rasseln kommen ausser- und innerhalb eines mit Wasser gefüllten transparenten Plexiglasbehälters zum Klingen, wodurch optisch und klanglich die Resonanz verschiedener Elemente vor Augen und Ohren geführt und die mit dem Titel verknüpfte Erwartungshaltung unterwandert wird. In La Prison für acht Instrumente (2001) hingegen setzt Globokar Grillroste als Klangkörper ein, die visuell an Gefängnisgitter gemahnen. Dabei lässt er die Interpreten keinen einzigen ihrem Instrument gemässen, «normalen» Ton spielen. «Ein Stück wie La Prison verweigert sich allen gängigen Kriterien wie Klangschönheit und Klangorganisation», meinte Schubbe.

«Es ist das erste Mal, dass jemand mit der Lupe auf mein Schaffen guckt. Ich war immer froh, dass einige Freunde interessant fanden, was ich mache», äusserte sich Globokar scherzend zum Ausklang des Symposiums. In seinem hintersinnigen Humor steckt eine Spur Wahrheit. Seine Wichtigkeit für die musikalische Avantgarde wurde zwar oft gewürdigt. Die Veranstaltung der ZHdK sucht aber sowohl in Umfang wie auch Vertiefung ihresgleichen.
 

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