«Schloss Dürande» wieder auf der Bühne

Othmar Schoecks letzte Oper wurde in der Fassung Micieli/Venzago am Meininger Staatstheater erstmals szenisch aufgeführt.

Kaum vorstellbar, dass eine Oper, von der man sagt, sie sei das Hauptwerk eines der bedeutendsten Schweizer Komponisten des 20. Jahrhunderts, nach ihrer Uraufführung an der Berliner Staatsoper und einem Zürcher Fiasko für 76 Jahren aus dem Repertoire verschwindet. Nur wer genauer hinsieht, sich die Umstände vergegenwärtigt und das originale Libretto aufmerksam durchgeht, wird rasch einen Eindruck davon bekommen, was geschah und warum es geschah. Trotz zahlreicher, vielfach vergeblicher Interventionen ging Othmar Schoeck als Komponist mit einem von Hermann Burte geschaffenen Textbuch allzu sorglos um: die Möglichkeit einer exponierten Inszenierung vor Augen und vermutlich auch bar jeder zeitgeschichtlichen Realitätseinschätzung. Der gesamte Schloss-Dürande-Text wird (mal deutlich, mal subkutan) von Burtes völkischer Gesinnung durchzogen, aber mehr noch ist er qualitativ unglaublich dürftig. Selbst Hermann Göring zeigte sich per Telegramm verwundert darüber, wie die am 1. April 1943 uraufgeführte Oper bzw. das ihr zugrunde liegende, als «aufgelegten Bockmist» bezeichnete Libretto von der Intendanz angenommen werden konnte.

Mit der Aufführung im braunen Berlin war die Oper freilich nach dem Zweiten Weltkrieg verbannt, obwohl schon nach der ersten Vorstellung klar war, dass es sich musikalisch um eine bedeutende Partitur handelte. Eine Entnazifizierung konnte indes nicht gelingen; die Tatsachen standen dem Werk ebenso nachhaltig entgegen wie die ungelenken Versuche, Gutgläubigkeit des Komponisten für dessen sträfliche Bedenkenlosigkeit ins Feld zu führen. Umso erstaunlicher ist, dass Schoecks Schloss Dürande in der gängigen Literatur zwar vernichtend besprochen wird, aber immer auch eine gewisse Neugier an der Musik bestehen bleibt. Zu Recht, wie nun am Meininger Staatstheater zu hören war. Auf den Pulten lag dabei eine Partitur mit einem von Francesco Micieli neu eingerichteten und von Mario Venzago in den Gesangslinien vorsichtig eingearbeiteten Text. Wissenschaftlich aufgearbeitet und begleitet in zwei vom Schweizerischen Nationalfonds unterstützten Publikationen ist so aus der Problemoper eine geschichtlich verspätete Grand opéra geworden: Im Zentrum steht das Schicksal des von falscher Bruderliebe geleiteten Renald Dubois (zunächst noch als um die Schwester besorgter gräflicher Jäger, später glühender Revolutionär in eigener Sache), der das tragische Ende aller bestimmt. Vier unterschiedliche Akte sind zu hören, von filmmusikalischen Adaptionen und erstaunlich retrospektiven Momenten über wagnersches Wehen bis hin zum Jazz der 1920er- und 1930er-Jahre. Schoeck fasst damit ein wahrlich «langes» 19. Jahrhundert zusammen und geht darüber hinaus – ohne Eklektizismus, wohl aber in der Vorstellung der breitestmöglichen Verfügbarkeit.

Was zunächst verwundert, gewinnt indes an Zusammenhang und eigenständiger, ja, eigenwilliger Konsistenz. Doch Fragen bleiben offen. So hat Micieli mit seiner Neufassung zwar das auf einer Eichendorff-Novelle beruhende Libretto trefflich gerettet. Freilich konnte er nicht dort bereinigen, wo schon im Original der Text retardiert und Schoeck ihm in der Partitur (zu) lange folgt. An der musikalisch-dramatischen Substanz aber wollte diesmal niemand den Rotstift ansetzen. So blieb etwa auf dem Finale ein leichter Schatten, wenn Renald vom sterbenden Diener Nicolas die Wahrheit über seine Schwester erfährt. Hier wird bei zukünftigen Inszenierungen die Regie (möglicherweise multimedial?) Lösungen finden müssen. Apropos Zukunft: Das Schloss Dürande hat in dieser neutralisierten, gelegentlich noch immer zu reimfreudigen Form eine Chance verdient, sich auch auf anderen Bühnen zu bewähren. Schon Brahms hatte das kleine, aber feine Meiningen für seine 4. Sinfonie zur Uraufführung gewählt, um sorgsam zu prüfen. Ein Repertoire-Stück wird Schoecks letzte Oper wohl aber dennoch nicht werden. Sie resümiert allein schon bei der Wahl des Sujets zu retrospektiv, zumal in einer Zeit, in der die Welt in Flammen stand. Der Premieren-Erfolg der Produktion (Regie: Intendant Ansgar Haag, musikalische Leitung: GMD Philippe Bach) war jedenfalls vollauf gerechtfertigt mit einer solide begleitenden, jedoch kaum interpretierenden Inszenierung, einer in sich respektablen Ensembleleistung und einer hervorragend disponierten Hofkapelle.

Weitere Vorstellungen
29. März, 28. April, 8. und 17. Mai, 27. und 30. Juni, 6. Juli 2019
meininger-staatstheater.de

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